Lernen mit Bewegung und Lernen in Entspannung. Jennifer Schilitz

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2008: 47)

      Allerdings darf der Wortschatz einer Person nicht als statisches Inventar gesehen werden. Vielmehr wird er „als dynamisches System bezeichnet, weil der Erwerbsprozess nie zum Abschluss kommt“ (Maljuna 2013: 3).

      2.3.1 Wortschatzklassen

      Thaler (2012: 224) unterscheidet aus didaktischer Sicht vier Wortschatzklassen im mentalen Lexikon (vgl. Kap. 2.3.2): den produktiven, rezeptiven, potentiellen und individuellen Wortschatz. Während der produktive Wortschatz, mitunter auch aktiver Wortschatz genannt, jedwede Begriffe umfasst, die eine Person selbst benutzen kann, sind mit dem rezeptiven Wortschatz all jene Wörter gemeint, die die Person verstehen kann. Nicht selten wird der rezeptive Wortschatz auch als passiver Wortschatz bezeichnet. Dies ist jedoch irreführend, da das Verstehen von Wörtern keineswegs ohne eigene Beteiligung erfolgt und eine aktive Leistung erfordert (vgl. Nodari 2010: 1). Zudem gestalten sich die Grenzen zwischen produktivem und rezeptivem Wortschatz fließend. „Ein Wort kann vom rezeptiven zum produktiven Wortschatz wechseln und bei mangelndem Gebrauch aber wieder in den rezeptiven Wortschatz zurückfallen.“ (ebd.) Zum potentiellen Wortschatz gehören all jene Wörter, welche eine Person zwar bisher weder gesehen noch gehört hat, die sie aber „dennoch verstehen und/oder verwenden kann (z. B. durch Weltwissen, Wortbildungskenntnisse, Vergleiche mit anderen Sprachen)“ (Thaler 2012: 224). Für Begriffe aus dem potentiellen Wortschatz gilt für die fremdsprachliche Wortschatzaneignung dank der Vermutung, dass solche Begriffe

      aufgrund von binnensprachlichen Ableitungen sowie von zwischensprachlichen Wortverwandtschaften von den Schülern eigenständig erschlossen werden können, so dass der Lernaufwand für den rezeptiven Sprachgebrauch entfällt und für den aktiven Sprachgebrauch stark verringert wird. (Reinfried 2006: 175)

      Alle Wörter, die einem Menschen persönlich und damit individuell zur Verfügung stehen, können als individueller Wortschatz bezeichnet werden (vgl. Thaler 2012: 224).

      2.3.2 Wortschatz und Grammatik

      Ein kurzer Exkurs zur Verbindung von Wortschatz und Grammatik soll an dieser Stelle erfolgen, da sich in der Perspektive, welchen Wert das eine im Vergleich zum anderen für das Sprachenlernen aufweist, in den vergangenen Jahrzehnten eine große Wende vollzogen hat. Wenngleich der Grammatik nach der bis ins 20. Jahrhundert angewendeten Grammatik-Übersetzungsmethode im Anschluss eher eine dienende Funktion beikommen sollte (vgl. Thaler 2012: 236), wird der Übergang zwischen Grammatik und Wortschatz inzwischen zunehmend als fließend erachtet (vgl. Neveling 2017: 378). „Vocabulary and grammar are not separate categories, but are inextricably linked. Separating them creates confusion not clarity.“ (Lewis 2005: 8) In seinem Ansatz des Lexical Approach stellt Lewis (1993) beide Kategorien als miteinander verbunden dar. Thaler (2012: 226) leitet daraus für den Fremdsprachenunterricht ab, „dass Wörter nicht als isolierte Einzelwörter, sondern in einem grammatischen Umfeld vermittelt werden sollten, in sogenannten chunks“. Der Sinn eines fließenden Übergangs von Wortschatz und Grammatik findet sich dadurch begründet, dass „die morpho-syntaktischen Informationen im […] mentalen Lexikon zusammen mit der Wortform gespeichert sind“ (Neveling 2017: 378).

      2.4 Das mentale Lexikon

      Um den menschlichen Wortspeicher genauer zu beschreiben, wird häufig der Begriff des mentalen Lexikons genannt (vgl. Aitchison 2012). Thaler (2012: 224) definiert es folgendermaßen:

      Das mentale Lexikon ist derjenige Teil des Langzeitgedächtnisses, in dem der gesamte Wortschatz eines Menschen geordnet gespeichert ist (human word store). Die lexikalischen Einheiten sind dabei in verschiedenen Netzen systematisch verbunden.

      Möhle (1994: 39) bezeichnet das mentale Lexikon im Langzeitgedächtnis als „Reservoir […], in dem unser Wissen über alle uns bekannten Wörter unserer eigenen und ggf. auch anderer uns verfügbarer Sprachen gespeichert ist“, woraus die Existenz „so viele[r] mentale[r] Lexika, wie es sprechende Menschen gibt“, resultiert. Jedoch ist die Metapher eines Lexikons hierfür nur bedingt passend.

      Der Begriff des mentalen Lexikons ist jedoch auf den ersten Blick irreführend, denn es ist keineswegs mit einem Wörterbuch vergleichbar, in dem Lexeme üblicherweise alphabetisch mit den für ihren Gebrauch relevanten Informationen nach einheitlichen Kriterien in einer festen Reihenfolge aufgelistet sind. (Haudeck 2008: 50)

      Ebendiese unveränderliche Anordnung von Wörtern in gedruckten Wörterbüchern lässt den Vergleich nur teilweise gelingen, da das mentale Lexikon als Wortspeicher nicht statisch, sondern vielmehr unentwegt, und dies lebenslang, dynamisch Veränderungen erfährt. Daher empfiehlt Wolff (2000: 102) aufgrund der Flexibilität in Anordnung, Vernetzung und Überschneidungen der Begriffe vielmehr einen Vergleich des menschlichen Wortspeichers mit Wörterbüchern im CD-ROM-Format (vgl. Haudeck 2008: 50). Aitchison (2012: 14) weist aufgrund der Dynamik des mentalen Lexikons jedoch diesen Vergleich zurück: „The fluidity and flexibility of the mental lexicon, then, contrasts strongly with the fixed vocabulary of any book or even an electronic dictionary.“ Zudem sind bei Sprachrezeption sowie Sprachproduktion nicht nur die Verarbeitung, Vernetzung und Speicherung der jeweiligen Lexeme unter Berücksichtigung ihrer diversen Strukturebenen zu nennen, auch die unbegrenzte inhaltliche Speicherkapazität ist für das mentale Lexikon charakteristisch (vgl. Haudeck 2008: 50). Börner und Vogel (1997: 3) weisen darauf hin, dass Sprachwissen und Weltwissen im mentalen Lexikon miteinander vereint werden:

      Im mentalen Lexikon sind Wortformen und semantische Konzepte (Sprachwissen) sowie kognitive Konzepte (Weltwissen) gemeinsam und dennoch zugleich autonom repräsentiert: Das mentale Lexikon ist also kein von der Kognition abtrennbares Modul der Sprache, sondern Schnittstelle sprachlicher und konzeptueller Strukturen.

      Wie aber funktioniert das mentale Lexikon? Haudeck (2008: 59) thematisiert die Notwendigkeit eines „doppelten Zugang[s], zum einen für die Sprachrezeption, zum anderen für die Sprachproduktion.“ Aitchison (2012: 215) sieht Worterkennung und ‑produktion als zwei einander spiegelnde Vorgänge an:

      [P]roduction and recognition seem to be mirror images of one another. When producing a word, humans must pick the meaning before the sound. When recognizing a word, they must start with the sounds, then move on to the meaning.

      Allerdings kann auch laut Aitchison (2012: 215) dennoch nicht einfach angenommen werden, dass dieselben Prozesse lediglich in einer anderen Reihenfolge verwendet werden. Haudeck (2008: 59) erklärt die Vorgänge folgendermaßen:

      Bei der Worterkennung (word recognition) muss ein Hörer Phonemfolgen erkennen und mit passenden Worteinträgen in Form von Klangstrukturen in seinem Lexikon und den damit verknüpften Konzepten vergleichen […]. Bei der schriftlichen Worterkennung kann man analog davon ausgehen, dass zunächst Graphemfolgen mit entsprechenden graphematischen Einträgen abgeglichen werden, allerdings ist davon auszugehen, dass sie gleichzeitig über die dem Leser vertrauten Graphem-Phonem-Korrespondenzregeln mit der Lautung und damit mit den Klangstrukturen verknüpft sind.

      Dadurch, dass eine Person einem Wort auf verschiedene Weisen begegnet und es mit anderen Wörtern, Emotionen und dem eigenen Weltwissen verknüpft, werden Assoziationen geschaffen, aus denen vielzählige, untereinander verknüpfte Netzwerke für mitunter Begriffs-, Wortfamilien-, Klang- oder auch affektive Netze entstehen (vgl. ebd.: 57f., Neveling 2004: 41ff.). Dies vereinfacht es, neue Wörter aufzunehmen, zu speichern und letztendlich abzurufen.

      Nachdem erörtert wurde, worum es sich bei dem mentalen Lexikon handelt und inwiefern Wörter für die rezeptive sowie produktive Verwendung zur Verfügung gestellt werden, ist von Interesse, auf welche Weise Wörter überhaupt erst zur Speicherung ins mentale Lexikon und damit ins Langzeitgedächtnis gelangen. Dies ist Gegenstand des nun folgenden Teilkapitels über das Gedächtnis.

      2.5 Das Gedächtnis

      Das Gedächtnis ist „die Fähigkeit eines Organismus, Informationen zu speichern […] und sie auf Abruf hin wieder verfügbar zu haben“ (Michel & Novak 2004: 148). Die Idee, zu erfahren, an welcher Stelle im Gehirn das Gedächtnis verortet ist, klingt interessant. Jedoch lässt sich „eine