Название | Tatort Nordsee |
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Автор произведения | Sandra Dünschede |
Жанр | Триллеры |
Серия | |
Издательство | Триллеры |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783734994906 |
»Ach, fahr ihn doch so, mach ein altes Schild dran – das merkt doch kein Schwein hier, oder es ist ihnen egal …«
»Ja, und schon steht Holger Janssen, unser Dorfpolizist, vor mir, und ich hab ein Strafmandat an der Backe kleben.«
»Ach, Holger ist ein feiner Kerl … aber er nimmt seinen Dienst ernst, da hast du recht.«
»Du, da kennt der nix. Letztes Jahr habe ich eine halbe Stunde mit ihm diskutiert, weil ich mit der alten 250er-BMW eine Probefahrt gemacht habe. Freerk hat angeschoben, und plötzlich lief die Gurke wieder. War natürlich auch nicht angemeldet. Steht Holger da und macht Alkoholkontrolle, mit zwei Kollegen. Er war der Schlimmste. Also, am Ende haben sie mich gehen – oder vielmehr fahren – lassen, aber auf dem direktesten Weg nach Hause. Er hat mir ernsthaft mit Punkten in Flensburg, Führerscheinentzug und was weiß ich nicht noch allem gedroht … Was gibt’s denn eigentlich?«
»Hör zu«, sagte Wiard kurz, »ich habe gestern Abend noch etwas vergessen. Ich hatte dir doch erzählt, dass ich eine Zeit lang ganz in der Nähe der Bauleitung gearbeitet habe. Ein paar Mal war ich auch in deren Bude, da standen ganze Schreibtische mit Unterlagen herum, und die Ingenieure gaben sich die Klinke in die Hand. Außerdem kamen auch öfter welche vom Vorstand vorbei, die Besprechungen liefen da häufiger. Da ich mitunter auch als Informationsträger genutzt worden war, hatte ich mit einigen Ingenieuren Bekanntschaft geschlossen, und es fiel nicht besonders auf, wenn ich mich dort aufhielt. Ich habe die Leute hier und da auch mal gefragt, so nach dem Motto: ›Ich habe keine Ahnung, aber müsste es nicht so und so sein?‹ Die haben mir dann allerhand erklärt, alles habe ich nicht immer gleich kapiert, die einen können eben erklären, die anderen nicht. Aber ich habe was mitgekriegt und außerdem ein paar Unterlagen kopiert, die ich interessant fand und die damals noch mehr oder weniger herumlagen. Es achtete zunächst niemand auf die Dokumente, in den Bauwagen kamen ja im Prinzip nur die Ingenieure. Damals hatte ich aber schon einen Verdacht, habe den aber verdrängt, da viel anderes zu tun war, außerdem ging’s mir auch um das Geld, gar nicht so sehr um den Deich als solchen. Kurze Zeit später war man wesentlich restriktiver geworden. Ich denke, danach wurde alles noch schlimmer. Ich war nicht bis zum Bauende dort, weil die einen Ein-Euro-Job aus meiner Stelle machen wollten, das hätte mir aber nichts mehr gebracht. Da habe ich den Job besser gelassen. Ich habe die Dokumente jedenfalls mal schnell unter dem Vorwand, für irgendjemanden am Deich den ein oder anderen Planausschnitt vervielfältigen zu müssen, gleich doppelt kopiert. Eigentlich weiß ich heute gar nicht mehr so genau, weshalb ich das getan habe. Vielleicht Intuition. Ich habe auch noch eine Kopie für Dich.«
»Erst mal will ich sehen, was das überhaupt ist.« August war gleichermaßen neugierig wie unschlüssig, ob er das alles wirklich wissen wollte. Denn wenn auch nur ein bisschen stimmte von dem, was Wiard behauptete, war er Mitwisser, und Mitwisser, das wusste er aus amerikanischen Spielfilmen ebenso wie aus dem wahren Leben, lebten mitunter gefährlich. Gerade bei dem Gedanken an den Steinwurf und Wiards schwerer Verletzung wurde August zunehmend unwohler. Sie hatten inzwischen das Wohnhaus erreicht, und Freerk hatte tatsächlich Wasser aufgesetzt, das schon fast kochte. August wäre jede Wette eingegangen, dass sein Sohn es vergessen hatte. Nun gab er drei Löffel Tee in den Treckpott und übergoss das Ganze mit kochendem Wasser. Dann füllte den Tee in die neue doppelwandige Kanne um. Die hielt ihn so schön lange warm. Anhand dieser bahnbrechenden Erfindung hatte August neulich nach dem Fast-Tankerunglück vor Wilhelmshaven den Kindern erklärt, warum doppelwandige Tanker sicherer waren als viele der Seelenverkäufer, die nach wie vor auf der Seeschifffahrtsstraße, also nicht weit entfernt vom Wattenmeer, herumschipperten.
Wiard saß längst am Tisch und sah seine Kopien durch. Von Weitem erkannte August Zeichnungen, Tabellen und ein paar Texte, lesen konnte er aber nichts.
»Kekse?« fragte er Wiard.
»Nee, lass man, habe eben erst gefrühstückt.«
»Eben erst gefrühstückt, das muss man sich mal vorstellen. Es ist nach 10 Uhr. Das ist ein Leben – Urlaub pur.«
»Ich habe vor dem Frühstück schon eine Menge zutage gefördert bei meinen Recherchen. Nu sett di mol henn und guck mal.«
»Nicht so hektisch, Wiard, hier ist erst mal dein Tee.« August stellte eine Tasse des dampfenden Heißgetränks vor Wiard hin. Aus einer großen Schüssel, die er aus dem Kühlschrank holte, schöpfte er die Sahne, die sich oben abgesetzt hatte, ab und gab in beide Tassen ein wenig davon hinein. Wie eine Wolke breitete sich die Sahne im Tee aus, ein Schönwetter-Kumulus.
»Tee as Ölje, Kluntje as’n Schliepsteen und Rahm as’n Wulkje«, wiederholte Wiard, gebannt auf die sich schlierenförmig auf dem Tee ausbreitende Sahne starrend, den Werbespruch einer größeren Teefirma, die diesen allerdings auch nicht erfunden hatte. Für einen Augenblick war er vom Deich ab- und auf den Tee gekommen.
»Hallo, Herr Nachbar!«, rief August Wiard in die Realität zurück, »was hast du da denn nun Feines?«
Wiard sah ihn kurz an und fragte sich, weshalb heutzutage nicht einmal Zeit ist, dem Tee nicht nur als gewöhnlichem Getränk, sondern vielmehr als philosophischem Medium zur Anregung aller Sinne – nicht nur derjenigen, die für den Geschmack zuständig waren – zu huldigen. Doch dann nahm der Deich wieder vollständig seine Gedankenwelt ein. Er legte drei DIN-A4-Bögen so auf den Tisch, dass beide gute Sicht hatten.
»Hier, das ist die Ostkrümmung«, begann er und deutete mit einem Bleistift auf eine Biegung in einem Sammelsurium von parallelen, senkrechten und manchmal auch schräg stehenden Linien, die den neuen Deich kennzeichneten. »Hier war ich ein paar Wochen direkt am Deichbau beteiligt. Und hier – er zeigte auf ein paar andere Striche – haben sie angefangen, auf entscheidende Dinge zu verzichten, weil die Zeit nicht mehr reichte, die Firma nicht mehr im Plan war und die Leute panisch wurden, allen voran der Vorstand, dazu zeige ich dir noch etwas.« Wiard machte eine kurze Pause.
»Guck dir mal die zweite Kopie hier an.« Auf dieser waren neben allem, was auch auf der ersten zu sehen war, einige Anmerkungen angebracht, aus denen August aber nicht schlau wurde.
»Hmm«, machte der, »und?«
»Ja, genau so habe ich auch reagiert und mir zunächst nichts dabei gedacht. Aber mittlerweile ist es mir klar geworden, hier sieh mal, hier steht ›k.w.‹ und hier ›w.m.‹, weißt du, was das bedeutet?
»Nee, bin ja kein Deichbauer.« Wiard hörte die Ironie in Augusts Worten.
»Das hat mit Deichbauer nichts zu tun, August, bleib fair, lass mich wenigstens erklären, was ich dir sagen will, am Ende kannst du entscheiden, ob du mir glaubst oder nicht.«
»Nun mal nicht so empfindlich. Red mal weiter, neugierig bin ich, aber auch kritisch.«
»Ja, ich kenne dich lange genug. Also, beim Finanzamt gab’s auch immer Abkürzungen, eine schöne war ›k.w.‹, das stand für ›künftig wegfallend‹ und wurde für Personalstellen verwendet, die nach Ausscheiden des entsprechenden Mitarbeiters nicht wieder besetzt wurden, weil es neue Einsparauflagen von oben gab.«
»Das macht mich nicht schlauer, was soll das auf einem Deichbauplan? ›Künftig wegfallend‹ …«
»Hier heißt es natürlich etwas anderes, du musst nur ›künftig‹ durch ›kann‹ ersetzen.«
»Ist aber schlechtes Deutsch.«
»Blödmann. Streich das letzte ›d‹. Sei doch mal ernst, Mann, ich meine es jedenfalls bitterernst.«
»Ja, ja. Kann wegfallen«, murmelte August und schenkte erneut Tee ein. »Und?«
»Mann, du bist aber auch ein Bauer, wie er im Buche steht«, lamentierte Wiard, wurde aber unterbrochen:
»Wie war das mit dem fair Bleiben?«, fuhr August dazwischen.
»Ist ja schon gut. Also, wenn da ›kann wegfallen‹ steht, heißt das, dass hier etwas ursprünglich Vorgesehenes nicht mehr in den Bau eingefügt werden soll. Und dann muss man mal genau gucken, wo der kleine, schwache Pfeil hinzeigt, an dem ›k.w.‹ steht.«
Wiard