Название | Die ersten 100 Jahre des Christentums 30-130 n. Chr. |
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Автор произведения | Udo Schnelle |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846346068 |
Soziale und kulturelle Konflikte
Unmittelbarer Auslöser für den jüdischen Krieg war das Verhalten des letzten römischen Prokurator Gessius Florus (64–66 n.Chr.), der sich am Tempelschatz vergriff158, was im April/Mai 66 n.Chr. in Jerusalem und in anderen jüdischen Gebieten zu einem offenen Volksaufstand führte. Im Jerusalemer Tempel wurde das tägliche Opfer für den Kaiser eingestellt, was einem offenen Bruch mit Rom gleichkam. Zugleich kam es innerhalb des Judentums zu erbitterten Auseinandersetzungen. Die Hohepriester, die Pharisäer und die Herodianer wollten eine weitere Eskalation des Konfliktes mit den Römern vermeiden, während vor allem die Zeloten für die Auseinandersetzung mit Rom waren und sich letztlich mit brutaler Gewalt durchsetzten. Sie vertraten eine radikalisierte politische Theologie, die in der Durchsetzung der kultischen ‚Reinheit‘ des Tempels und ganz Israels die Erfüllung des Willens Gottes sahen159. Deshalb mussten die ‚Unreinen‘ und d.h. zuallererst die Römer aus dem Land vertrieben werden. Die Zeloten standen zunächst unter der Führung von Menahem, einem Sohn des Zelotengründers Judas Galilaios, der sich in Jerusalem als König verehren ließ und wahrscheinlich messianische Ansprüche erhob160. Die Kriegspartei unter der Führung der Zeloten steckte den Palast des Hohepriesters an und verbrannte auch das Stadtarchiv, wofür Josephus als Grund angibt: „Danach legten sie Feuer an das Archiv und beeilten sich, die Schuldverschreibungen der Gläubiger zu vernichten, um so die Eintreibung der Schulden unmöglich zu machen und die Menge der Schuldner auf ihre Seite zu ziehen, sowie die Armen, ohne dass diese noch etwas zu fürchten brauchen, gegen die Reichen aufzuwiegeln“ (Bellum 2,724). Hier zeigt sich deutlich, dass ein Motiv des Aufstandes auch die soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeit in Judäa war. Offensichtlich wollten Teile der Zeloten eine Neuverteilung des Grundbesitzes erreichen, der hauptsächlich in der Hand der Oberschicht lag. Hinzu kamen ethnisch bedingte Konflikte, denn in vielen Gebieten Palästinas kam es nun zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen zwischen jüdischen und griechischen Bevölkerungsteilen, die einen Kampf gegen Rom befürworteten bzw. ablehnten. Auch ein Stadt-Land-Konflikt ist unübersehbar, denn während griechisch beeinflusste Städte wie Sepphoris und Tiberias mehrheitlich gegen den Krieg waren, wurde er von der zumeist armen Landbevölkerung unterstützt. Der weitere Verlauf der Auseinandersetzungen ist vielschichtig161. Nach anfänglichen Erfolgen der Aufständischen beauftragte Kaiser Nero seinen General Vespasian mit der Niederwerfung des Aufstandes in Judäa. Dieser begann seinen Feldzug im Frühjahr 67 mit seinem Sohn Titus, ihnen standen ca. 60 000 gut ausgebildete Männer zur Verfügung. Vespasian näherte sich immer mehr Jerusalem, musste aber wegen des Todes von Kaiser Nero (68 n.Chr.) und der damit verbundenen unsicheren Lage in Rom zunächst einmal alle Aktivitäten ruhen lassen. Am 1. Juli 69 wurde Vespasian von den ägyptischen Legionen zum Kaiser ausgerufen und innerhalb sehr kurzer Zeit vom ganzen Ostteil des Reiches als Kaiser anerkannt. Vespasian selbst konzentrierte sich nun auf die Ereignisse in Rom und beauftragte seinen Sohn Titus mit der Fortsetzung des Krieges. Im Frühjahr 70 begannen die Römer mit der Belagerung Jerusalems, schließlich wurde im August 70 n.Chr. der Tempel erobert und niedergebrannt, zudem auch die ganze Stadt fast völlig zerstört. Der Krieg war damit entschieden, obwohl die Zeloten noch bis 73 n.Chr. auf der Festung Massada anhaltenden Widerstand leisteten. Für den erbitterten Widerstand der Juden in Jerusalem macht Josephus vor allem das Auftreten von Propheten verantwortlich, die um den Tempel herum das Auftreten einer messianischen Rettergestalt verkündeten und so das Volk anstachelten (vgl. Bellum 6,285.311f).
Die Folgen der Niederlage waren für die Juden verheerend. Es änderte sich der politische Status, denn Judäa wurde eine selbständige römische Provinz, für die der syrische Legat nicht mehr zuständig war, und dort wurde eine ständige Legion stationiert. Ganze Siedlungen waren zerstört und entvölkert. Viele Menschen fanden bei den Kämpfen oder infolge der Kämpfe den Tod, andere wurden in die Sklaverei verkauft. Insgesamt kam ca. ein Drittel der Bevölkerung um. Der Grundbesitz fiel an den Kaiser, wobei unklar ist, ob es sich um den gesamten Grundbesitz handelte oder um den sogenannten Kronbesitz. Die ohnehin durch den Krieg schon stark benachteiligte Landbevölkerung verarmte noch mehr. Fast alle jüdischen Bauern wurden zu Pächtern, die das Land gegen Pachtzins bearbeiteten. Das bisherige religiöse Leben, das seit Jahrhunderten auf den Jerusalemer Tempelkult ausgerichtet war, konnte nicht mehr weitergeführt werden. Die Juden mussten nicht nur ohne Staat, sondern auch ohne Tempel leben. Damit war auch das Ende des Hohepriesteramtes gekommen. Von den Religionsparteien vor 70 n.Chr. gingen die Zeloten, Sadduzäer und Essener unter; nur die gemäßigten Pharisäer/Schriftgelehrten blieben übrig, die dann als Rabbinen in die jüdische Geschichte eingingen. Das frühe Christentum wurde durch die Ereignisse des Jahres 70 ebenfalls schwer getroffen, denn die Jerusalemer Gemeinde ging in den Wirren des Krieges unter (s.u. 9.2). Damit hatte die Bewegung ihren Ausgangspunkt und bleibenden Orientierungspunkt verloren. Zugleich bewahrte aber die vor allem von Paulus betriebene Verlagerung der Missionsaktivitäten nach Kleinasien, Griechenland und Rom das Christentum vor dem Untergang.
Für die Römer zählte der Sieg über die Juden keineswegs nur als einer unter vielen. Titus kehrte nach Rom zurück und feierte im Jahr 71 zusammen mit seinem Vater Vespasian einen Triumphzug. Schon dies war außergewöhnlich, denn normalerweise wurde ein solcher Siegeszug nur bei der Eroberung einer neuen Provinz abgehalten, hier gelang aber lediglich die Befriedung eines Teils der bestehenden Provinz Syrien162. Zudem wurden im ganzen Reich Münzen geprägt mit der Aufschrift: „Judaea capta“ („Judäa besiegt“). Der Sieg Jupiters über Jahwe dokumentiert sich auch in der Einführung des ‚fiscus Judaicus‘, einer Steuer (s.u. 9.2), die von jedem Juden (auch in der Diaspora) erbracht werden musste und die faktisch an die Stelle der Tempelsteuer trat163. Der nach dem Tod des Titus (81 n.Chr.) errichtete Titusbogen in Rom zeigt schließlich, wie stark die Flavier den Sieg über die Juden propagandistisch nutzten.
Titusbogen in Rom (heute Forum Romanum); nach dem Sieg