Название | Der Dreißigjährige Krieg |
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Автор произведения | Axel Gotthard |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846345559 |
Wir können zurückblicken: Grundproblem der Liga in der Vorkriegszeit war die Frage nach der dominierenden Vormacht; ein gleichberechtigtes Miteinander von Wittelsbach und Habsburg, das war angesichts des komplizierten, spannungsvollen Verhältnisses zwischen den beiden Dynastien kaum zu bewerkstelligen. 1609 siegten die bayerischen Vorstellungen – zwei Direktorate, ein bayerisches und, in dessen Schlepptau (da ohne größeres, mächtiges Mitgliedsterritorium), ein rheinisches; forciert katholischer Charakter. 1613 setzten sich die habsburgischen Vorstellungen durch: Das konfessionelle Schutzbündnis wird zum Bund der Kaisertreuen umdefiniert, mit drei Direktoraten – zu den alten ein neues habsburgisches für den Innsbrucker Erzherzog. Die Folge: Desintegration, die seitherige Leitmacht Bayern zieht sich gewissermaßen in den Schmollwinkel zurück. Die Liga hat faktisch nicht mehr existiert – ehe die Ereignisse in Böhmen seit 1618 eine vorübergehende Interessenidentität zwischen Habsburg und Wittelsbach schaffen und somit die Liga revitalisieren werden.
Die einzige interkonfessionelle Gemeinsamkeit: Gefühl der Bedrohung
Aller internen Schwächen beider Allianzen unerachtet hat ihre bloße Existenz den lädierten Reichsverband natürlich zusätzlich strapaziert. Unter dem einen Dach des Reiches standen sich nun zwei Konfessionsbündnisse (weil Bündnisse zur Wahrung konfessioneller Besitzstände) gegenüber – zunächst lediglich politisch, nach 1618 militärisch. Nur in einem waren sich beide Lager von Anfang an einig: in der Bedrohungsanalyse. Der Widerpart war in wenig skrupulöser Offensive, selbst stand man mit dem Rücken an der Wand. Sogar die beiden Bundessatzungen zeigen es: Die Unierten schlossen sich zusammen zur Abwehr drohender „thetlichkeiten“, „wieder … unbefugten gewallt“. Es drohten „feindtliche thetliche handtlungen“, weil der Widerpart darauf aus war, „in dem gelibten Vatterlandt eine Unruhe nach der andern antzurichten, die friedliebende und gehorsame Stendte des Reichs zu uberziehen, und zubekriegen“ und so die „verfassung des Reichs in einen haufen zuewerfen“. Man vereinbarte sogar, wie nach „außgang des Kriegs“, der also offenbar absehbar war, mit erobertem Gebiet verfahren würde. Die Ligasatzung beginnt mit der Feststellung, dass „sich die leiff gantz sorgsamb und gefärlich erzaigen“, beschwört feindliche „Thatthandlungen“, es drohten die „Catholische Stennde des Reichs, von den unrüebigen“, also von unruhigen Leuten, „vergewaltigt, und uberzogen“ zu werden, ja, es [<<42] war die „ausreittung der alten wahren allein seelig machenden Religion … beneben undertrückhung aller gleichmessiger billicheiten, recht und Reichssatzungen zuegewartten“.
Ein pfälzischer Spitzendiplomat beschwor die als prekär empfundene Situation des deutschen Protestantismus im frühen 17. Jahrhundert im Brief an einen Kollegen (also nicht etwa in propagandistischer Absicht für Mit- und Nachwelt) einmal so: Die Katholiken haben „une generale et universelle intention, à exercer notre patience et à nous ruiner“, sie sind „par tout le monde presque coniuré à notre ruine“ – eine fast weltweite Verschwörung zum Zwecke der Vernichtung des Protestantismus also. Auf der anderen Seite charakterisierte der Erzkanzler des Reiches, der Erzbischof von Mainz, die reichspolitische Lage intern folgendermaßen: „Der Teufell feyert nit, seine instrumenta schlaffen nit, alle liste unnd gedichte gehen dahin wie im Römischen Reich Teutscher Nation die kayserliche Authoritet … vernichtiget, die catholische religion außgerottet, die geistliche Chur-, Fürsten und Stendte undertruckt unnd allein Calvini geist und dem zu gethane herrn alles eignen gefallens regieren und dirigieren möchten.“ Es hatten „ohngehorsamb, ohntrew, betrug und list uber hand genomen, [so] dass sich weder auf tewere wort, vertrösten und versprechen, noch auch brief und sigel, ja den schwur und aid selbsten ichtwas zu verlassen“. Die Evangelischen versuchten, halb Europa, ja, „Türcken und Tartarn“ zur „underdrückung“ des katholischen Glaubens zu mobilisieren – musste man sich denn von ihnen „vertrücken und verschlingen lassen“? Nicht nur in gedruckten konfessionellen Polemiken sind die Übergänge von der Vorkriegszeit in die Kriegsjahre hinein fließend.
1.3.4 Letztlich vergebliche Versuche, die Sprachlosigkeit zu überwinden
Gelehrte und publizistische Bemühungen
Seit 1608 stand Mitteleuropa im Vorhof eines von vielen erwarteten, befürchteten Konfessionskriegs. Nicht, dass Deutschlands Eliten damals gedanken- und sorglos in ihr Verderben gerannt wären! Nach gemeinsamen kulturellen Werten fahndend, wurden manche bei der Sprache fündig: 1617 wird die erste von bald zahlreichen deutschen Sprachgesellschaften, die „Fruchtbringende Gesellschaft“, gegründet. [<<43] Nicht alle Publizisten spien den üblichen konfessionellen Geifer aus; der eine und andere ließ sich von Süd- und Westeuropa anregen, wo schon etwas länger eine frühe politologische Literatur reüssierte, die in betont kühler, nüchterner Diktion die Eigengesetzlichkeiten politischer Ordnungsstiftung abzustecken suchte. Ihren eigenen Sachzwängen gehorchende Politik wurde mit der „ratio status“ (der Staatsräson) auf den Begriff gebracht. Ausgerechnet in der Vorkriegszeit begann der Terminus auch in Ratsprotokolle einzusickern, erreichte er also den mitteleuropäischen Politikbetrieb.
Das Projekt eines „Kompositionstags“
Ein interessantes Projekt politischer Praktiker war der „Kompositionstag“. Der Begriff „composition“ (lat. componere = zusammenbringen, vereinigen) hat in diesen Zusammenhängen nichts mit Tonkunst zu tun. Ein „composition tag“ sollte ausgleichsbereite Vertreter beider Konfessionen an einen Verhandlungstisch bringen. In konstruktiver Atmosphäre, ohne Abstimmungen und Majorisierungsversuche, sollten sie sich auf einen Rettungsplan für das zerschlissene Reich verständigen. Wir würden heute von einem „runden Tisch“ und von gruppendynamischen Effekten sprechen. Aufgebracht haben die Idee einige Unionshöfe, so insbesondere der in Stuttgart unter dem württembergischen Herzog Johann Friedrich. Und das war, unter den damaligen Umständen, auch schon ein Grund für das Scheitern des zukunftsweisenden Projekts. Fast alle Ligahöfe lehnten es entschieden ab.
Aus katholischer Warte sah die Sache so aus: Das Reichsoberhaupt ist katholisch, die „Nummer zwei“ des Reiches, der Erzkanzler, auch. Damit ist der kaiserliche Reichshofrat katholisch und der Direktor jenes Reichstags, in dessen maßgeblichen Kurien katholische Positionen jederzeit die Majorität besitzen. Warum sollen wir diese im politischen System strukturell angelegten Vorteile preisgeben, wo wir doch unsere Ansichten von Reich, Recht und Gesetz auf dem Rechtsweg und durch Stimmenmajorität jederzeit geltend machen können? Die Protestanten hatten endlich botmäßig zu werden, sich Richterspruch und katholischen Majoritäten zu fügen. Alles andere war dreister „Ungehorsam“, wie der zentrale Begriff des katholischen Reichsdiskurses lautete. Protestanten waren eben „ungehorsam“.
Die Kommunikationskreise sind großflächig gestört
Die desintegrativen Kräfte ließen sich nicht mehr bändigen. Vom alltäglichen Zusammenleben, beispielsweise in bikonfessionellen Kommunen, über das Versickern der Face-to-Face-Kommunikation der [<<44] Entscheidungsträger bis hin zu einer hitzigen Kampfpublizistik, in der die Gelehrten ihren andersgläubigen Kollegen verbal die Scheiterhaufen aufrichteten: Die Kommunikationskreise waren nachhaltig und großflächig gestört.
Es ist bezeichnend, in welcher Atmosphäre die „Säulen des Reiches“ (wie die Kurfürsten genannt wurden und sich auch selbst zu apostrophieren beliebten) zusammenkamen, als der Tod des Kaisers im Sommer 1619 doch wieder einmal eine ständische Versammlung, nämlich einen Kurfürstentag erzwang: Beide Lager ergingen sich in bizarren Rüstungsszenarien wie Angstfantasien, fürchteten eine deutsche Bartholomäusnacht. Vor Ort ließ sich „ein sehr großes mißtrauen vermerkhen“, die verängstigten geistlichen Kurfürsten dachten ernsthaft über einen vorzeitigen Abzug nach. Als das kurmainzische Begrüßungskomitee für den Kandidaten, König Ferdinand, durchnässt unter dem Sachsenhausener Stadttor Zuflucht suchte, hieß es, die katholischen Kurfürsten wollten sich der Tore „bemächtigen“ – Alarm, Tumulte, von den Frankfurtern in Dienst genommene Unionstruppen marschierten auf, „daruber die Burgerschafft zusamb geloffen“. Man versperrte die Tore, zog Ketten über die Straßen, da ein katholischer Okkupationsversuch drohe; es gab Schießereien, Messerstechereien, denen ein