Platon und die Grundfragen der Philosophie. Günter Fröhlich

Читать онлайн.
Название Platon und die Grundfragen der Philosophie
Автор произведения Günter Fröhlich
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783846343982



Скачать книгу

wenn sich diese Fragen nicht eindeutig beantworten lassen. Und doch ist diese Orientierungslosigkeit einer der Hauptgründe dafür, dass sich sein Werk immer wieder neu lesen lässt. Bezeichnend ist vor allem, dass diese unterschiedlichen Lesarten die Auseinandersetzung mit seinen Schriften fortwährend bereichert haben und bereichern.

      Mit dem vorliegenden Buch soll ein Einstieg in die Lektüre Platons erleichtert werden. Ich stelle einige, meines Erachtens zentrale Textstücke aus Platons Werk vor und versuche Fragen und Probleme, die sich dabei auftun, zu erörtern. Im Zentrum steht zunächst die Person von Sokrates und Platons Philosophiebegriff sowie Aspekte seines Schreibens. Dann beschäftigen sich die Texte mit der Bestimmung der seelischen Vermögen, wozu auch die Erkennbarkeit der Welt gehört. Den Abschluss bilden zwei Kapitel, die ethische und politische Themen behandeln. Leider mussten drei Kapitel, über das philosophische Argumentieren, über den Weltentstehungsmythos des Timaios und über Platons Religionsbegriff, aus Platzgründen gestrichen werden.

      Die Textstücke, die vorwiegend aus Platons früher und mittlerer Schaffensphase stammen, werden zuerst immer ausführlich vorgestellt. Die Stellen sind stets angegeben, um Interessierten ein schnelles Nachschlagen zu ermöglichen. Danach diskutiere ich einige Schwierigkeiten, welche sich daraus ergeben, und versuche, die Aktualität der behandelten Fragen zu belegen. Dazu greife ich zuweilen über Platon hinaus. Diese Methode stellt nicht den ganzen Platon und seine vollständige Philosophie in ihrer Entwicklung vor, sondern konzentriert sich auf einige wenige Hauptaspekte seines Philosophierens. Die Lektüre soll eine Vorstellung davon vermitteln, wie Platon vorgeht und argumentiert; und sie soll anregen, die Texte selbst in die Hand zu nehmen, es genauer wissen zu wollen, um sich dadurch ein eigenes Urteil zu bilden, und um dieses mit anderen zu diskutieren. So leicht es Platon einem oberflächlich mit der Lektüre seiner Dialoge macht, so sehr erschließt er sich erst beim mehrmaligen Lesen und beim intensiven Durcharbeiten seiner Denkwege.

      Die Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur wurde stark beschränkt, auf die Rezeption der älteren wurde weitgehend verzichtet. Diese und ihre Positionen sind aber in der angegebenen Sekundärliteratur schnell aufzufinden. Ein tieferes Eindringen in strittige Fragen hätte schnell sowohl den Textumfang unangemessen ausgeweitet, als auch Leserinnen und Leser, die eine Einführung in das Denken Platons erwarten, unverhältnismäßig überfordert. Es wurden vor allem neuere Werke angegeben, welche wichtige Fragen zur platonischen Philosophie gestellt haben, so dass sich bei einem Rückgriff darauf die Schwierigkeiten und Diskussionen zu Einzelfragen schnell ausdifferenzieren lassen. Eine allgemeine Darstellung der Forschungsfragen zu Platon ist nur schwer möglich, weil auch das kleinste Problem bei Platon in Kürze unübersichtlich wird. Das Literaturverzeichnis ist damit überschaubar gehalten und enthält einige Kommentare, welche sicher meinen eigenen Vorlieben geschuldet sind. Die Übersetzungen folgen Schleiermacher.

      Ich danke Ulrike Angermeier und Christina Burger für Korrekturen und Hinweise zum Verständnis meiner Darstellung. Ihre Hinweise haben erheblich dazu beigetragen, den Text lesbarer zu machen. Weiter danke ich dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, und insbesondere dessen Programmleiterin für Philosophie, Dr. Martina Kayser, und dem Verantwortlichen für die UTB-Reihe, Kai Pätzke, sowohl für die Aufnahme des Bandes in die Studienbuchreihe als auch für die hervorragende Betreuung bei der Endfassung. Mögen die Grillen zahlreich sein, die den Musen das ihre berichten! Denn, um einen wahren Logos aufzufinden, ist besser als das bloße Lesen, wie Platon will, das Sich-mit-andern-Unterreden.

Regensburg, im März 2015 Günter Fröhlich

      Alle philosophischen Fragen, die wir kennen, lassen sich im Kernbestand auf Platon zurückführen (vgl. Wieland 1996, 5). Der Reichtum seines Denkens (vgl. Whitehead 1995, 92) ist schier unerschöpflich. Das liegt nicht zuletzt an seiner Methode, seine Leser in Gespräche zu verwickeln, statt uns nur die Ergebnisse seines Nachdenkens und die möglichen Gründe dafür zu präsentieren. Eine wesentliche Rolle in seinen Schriften spielt sein Lehrer Sokrates, den er als Zeugen für das lebenslange Suchen schildert, die Grundlagen eines gelingenden Lebens aufzuspüren. Diese Suche nach dem wahren Wissen setzt er entweder zum Anspruch in Kontrast, ein Wissen zu haben, das sich schnell als vermeintliches Wissen entpuppt, oder gegen die Ansicht, es könne für den Menschen überhaupt keine Erkenntnis geben.

      Platon spricht zu uns als Autor seiner Werke. Nun wendet er sich allerdings nie direkt an seine Leser. Er selbst kommt in seinen Gesprächen (Dialoge) nicht einmal vor und tritt als Gesprächspartner niemals auf. Nach einer Bemerkung von Walter Bröcker spricht Platon dennoch zu uns, noch mehr: Er möchte ein Gespräch mit uns, seinen Lesern, führen (vgl. Bröcker 1999, 9). Warum versteckt er sich aber dann hinter seinen Texten? Wie soll ein Gespräch zustande kommen, wenn uns der unmittelbare Gesprächspartner fehlt?

      Die Weise, in der Platon mit uns spricht, ist also dezidiert eine indirekte. Wir können darauf vertrauen, dass Platon die volle Verantwortung für seine Texte übernommen hat, denn seine Schriften sind aufs Äußerste durchkomponiert und seine Sprache gehört zum Gewähltesten und Außergewöhnlichsten, das wir in griechischer Diktion haben – sie sind im besten Sinn des Worts „Weltliteratur“. Die Verantwortung allerdings dafür, mit ihm ins Gespräch zu kommen, hat er uns, seinen Lesern, überlassen!

      Wie ein Leser einen Text versteht, hängt in entscheidender Weise von ihm selbst ab. Doch im Normalfall gehen wir davon aus, dass ein Autor uns in seinem Text etwas Bestimmtes vermitteln will. Wenn wir die Intention eines Autors missverstehen, hat er sich entweder schlecht ausgedrückt, oder uns fehlen Informationen, die uns erlauben, den Text richtig aufzufassen – dabei kann es sich um Themen handeln, welche nur die allerwenigsten Menschen verstehen, weil die Materien so schwierig sind; denken wir z. B. an die mathematischen Formulierungen der modernen Quantenmechanik. Bei Platon allerdings geht es um die Probleme, welche den Menschen als Menschen betreffen. Das erklärt schon zum Teil seine andauernde Aktualität.

      Platon ist sich aller Schwierigkeiten, die beim Lesen von Texten auftreten können, offensichtlich voll bewusst. Dabei vermeidet er in seinen fingierten Gesprächen, die Dialogpartner unmittelbar darüber reden zu lassen, was er uns tatsächlich sagen will. Und dennoch ist er offenbar der Meinung, dass im Prinzip jeder Leser in der Lage ist, das, was er sagen will, auch richtig zu verstehen. Er hält die Gegenstände, über die er schreibt, im Wesentlichen nämlich nicht für dunkel, für verworren oder für besonders schwierig. Er weiß aber darum, dass kleine Änderungen von der Wahrheit, wie er sie versteht, zu gewichtigen Falsch- und Fehldeutungen führen können. Er kennt die Gefahren des Missverstehens. Falsche Meinungen über einen Text und die Intentionen seines Autors haben zumeist die Folge, dass die Missverständnisse dem Autor zugeschrieben und angelastet werden. Diese Gefahr möchte Platon gerade meiden. Zuletzt geht es ihm dabei allerdings gar nicht um sich und seine Texte, sondern um die Gegenstände, die er behandelt: denn die sind seiner Ansicht nach entscheidend. Die Lebendigkeit, mit der Platon seine Gespräche schildert, führt uns sein Philosophieren sozusagen im Vollzug vor Augen (vgl. Bordt 2004, 46–51).

      Es ist darauf hingewiesen worden, dass Platon unterschiedliche Gruppen von Lesern vor Augen hat (vgl. Erler 2006, 112). In diesem Sinne variiert er je nach Gesprächspartner und dessen Rolle seine Themen sowie die Art ihrer Behandlung und die Lösungen (vgl. Frede 2006, 47, 49, 55–58): Zunächst soll jeder Leser von falschen Meinungen befreit werden. Das ist sozusagen ein negatives Ziel, das man aber auch mit „Befreiung von Unwissen“ betiteln kann (ebd. 68). Darüber hinaus soll der Leser angeregt werden, selbst über die aufgeworfenen Fragen nachzudenken. Leser, welche schon fortgeschritten sind und die diskutierten Probleme einordnen können, finden darüber hinaus zahlreiche Hinweise, an welcher Stelle man besonders aufpassen muss (z. B. wenn Sokrates behauptet, „einen kleinen Punkt“ nicht verstanden zu haben), die Platon im Text versteckt (vgl. ebd. 67). Der versierte Leser ist auch in der Lage, die Hinweise aufzufinden und zum Ausgangspunkt weiterer Überlegungen zu machen. Platon selbst expliziert das z. B. mit der Aussage des Alkibiades im Symposion: Zunächst erscheint