Die weise Schlange. Petra Wagner

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Название Die weise Schlange
Автор произведения Petra Wagner
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783959665964



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      Merdin seufzte schwer.

      Alles Denken, alles Hinauszögern war umsonst. Ihre Wege würden sich trennen, unvermeidlich. Das Einzige, was er tun konnte, war, ihr seine Liebe zu gestehen. Doch für etwas dermaßen Wichtiges brauchte es einen anderen Ort und eine andere Zeit. Darum sollte er sich endlich aufraffen und von seinem Vater und den anderen Drachenkriegern Abschied nehmen. Allein das war schon schwer genug, denn auch sie würden nicht untätig bleiben, während er seine erste Mission bewältigte. Akanthus hatte recht, wenn er Wert auf die Verabschiedung legte; wenigstens wurde es in der allgemeinen Aufbruchstimmung nicht so schlimm wie befürchtet. Viel schwieriger war es, Uathach von Viviane loszubekommen, sie klebte an ihr wie Harz am Baum.

      Beim Anblick ihrer innigen Umarmung fühlte Merdin prompt Neid in sich aufsteigen, mächtig viel Neid. Ihn hatte Viviane noch nie so intensiv gedrückt und getätschelt und geküsst. Geküsst! Drei Mal geküsst! Auf die Wangen und auf den Mund! Und jetzt wollte Uathach noch mal, weil irgendwas verrutscht war! Viviane lachte und gab ihr drei, sechs, neun Küsse extra! Das war zu viel! Merdin platzte fast vor Neid.

      Doch die Missgunst verflog recht schnell und machte einer mächtigen Genugtuung Platz: Er war auserwählt worden. Er durfte mit Viviane auf Mission. Und solche Gemeinsamkeiten schmiedeten bekanntlich ein starkes Band.

      Uathach hatte einen anderen Auftrag bekommen, der sie leider in die entgegengesetzte Richtung führte. Und so blieb den beiden nichts weiter übrig, als sich viel Glück und eine gute Reise zu wünschen und sich ewige Freundschaft zu schwören. Danach fielen Uathach allerdings noch ein paar wichtige Ratschläge im Umgang mit Schwertern, Speeren, Äxten, Wurfmessern, Blasrohren, Pfeil und Bogen und Römern ein; und sie wollte hören, wie oft Viviane ihre Schwertklingen einzuölen gedachte.

      „Weißt du auch noch, wie du die besten Pfeile für deine Blasrohre zurechtschneidest?“

      „Ich komme doch wieder“, lachte Viviane und drückte Uathach zum siebten oder siebzehnten Mal ganz fest an sich. Energisch schob sie ihre Freundin schließlich von sich und rannte über die Lichtung zu ihrer kleinen weißen Stute, denn ihre Weggefährten warteten bereits und winkten ungeduldig.

      Endlich konnte Merdin auf Arions Rücken steigen und „die Konkurrenz sind wir los“ in sein Ohr knurren.

      Wie sehr er sich verrechnet hatte, zeigte sich abends, als sie das erste Mal Rast machten und zwölf Drachenkrieger mit Viviane Wasser holen wollten. Sie alle, einschließlich Merdin, erfanden die tollsten Geschichten von riesigen Bären bis hin zu bärtigen Riesen, die angeblich die Gegend unsicher machten. Sogar bösartige Elfen und Feen sollte es hier geben, winzig zwar, doch absolut gruselig – schließlich hatten sie die Hochebene verlassen, auf der die Drachen hausten, und die Geschöpfe in diesem Tal waren viel gefährlicher als alle Drachenkrieger zusammen.

      „Nun macht mal halblang“, gluckste Viviane. „Die Quelle ist bloß zehn Dutzend Schritt von hier entfernt und ich bin keine Jungfer in Nöten. Wer sollte mich angreifen oder gar fressen wollen?“ Demonstrativ schwang sie den Kessel und die Krieger, die ihr gegenüberstanden, rissen die Augen auf; nicht vor Angst, sondern weil sie Arbeit verteilte. „Ihr vier, Gegend absichern nach Norden und Osten. Ihr vier, nach Süden und Westen. Ihr vier, Zelte aufbauen und Feuerholz suchen. Aber Vorsicht, ihr alle, hinter jedem Grashalm könnte eine Fee lauern, wenn nicht sogar ich.“ Viviane schmunzelte und ging kopfschüttelnd ihrer Wege.

      Ob sie nun gerade in diesem Seitental rasteten oder den Pfaden gen Osten folgten - sie spähten zwar die Gegend aus, aber sie brauchten sich nicht sorgen. Silurer und Ordovicer waren die Herrscher dieser Lande, wenn die Römer auch ihre Krallen danach ausstreckten. Gut, sie hatten ihre Krallen schon ins Tiefland geschlagen und beiden Stämmen Verluste beigebracht, doch deren Gebiete waren riesig und Silurer wie Ordovicer behielten die Oberhand. Ihre Berge waren das Bollwerk, das jeder Wolfskralle standhalten würde.

      Wie geplant erreichten sie am nächsten Tag Zoaks Dorf. Umgeben von mächtigen Buchen und Teppichen aus herrlich blauen Hasenglöckchen, hatte es tatsächlich etwas Mystisches an sich, zumal zwei riesige Bären am Tor standen – zum Glück nur aus Holz. Zoaks Mutter jauchzte glückselig, als er sie im Kreis herumwirbelte, und sobald sie wieder auf ihren Füßen stand, begrüßte sie die restlichen Drachenkrieger mit kräftigem Handschlag.

      In Windeseile versammelten sich Zoaks Großeltern, Vater, Brüder, Schwägerinnen, Nichten und Neffen auf dem Dorfplatz, hießen alle Drachen willkommen und geleiteten sie freudestrahlend ins Schwitzbad; danach ging es zum Fluss.

      Durch heißen Dampf, Wasser und Seife bekamen die Drachen neue Frisuren; der blauen Hautbemalung wurde mit Butter zu Leibe gerückt; es war von Kopf bis Fuß eine einzige Schmiererei und Dorfbewohner wie Drachenkrieger hatten mächtig viel Spaß.

      Auch Viviane und Merdin standen im Wasser, aber sie planschten nicht herum, sondern schauten wehmütig den blauen Schlieren nach, die flussabwärts trieben.

      „Kommt mir vor, als hätte ich gerade ein Stück von mir selbst verloren“, murmelte Merdin und wandte sich zum Ufer.

      „Was sein muss, muss sein“, sagte Viviane mehr zu sich selbst und fuhr sich durch ihre nassen Haare, die ihr nun lang bis auf die Hüften fielen, ohne Zöpfe. Sie seufzte schwer und wusch sich noch einmal das Gesicht, dann folgte sie Merdin aus dem Wasser.

      Zum Abendbrot hatte sie dunkelbraune Haare, genau wie alle anderen Drachen auch.

      Merdin musste grinsen, als Viviane ihn mit offenem Mund anstarrte. Aber sie konnte gar nicht anders, es war einfach zu verblüffend: Mit seiner neuen Haarfarbe sah er aus wie ihr Ziehbruder Silvanus daheim. Sogar Merdins verschmitztes Lächeln erinnerte Viviane an ihn. Nur die Augen waren nicht dunkelbraun, sondern immer noch unverkennbar himmelblau.

      Viviane war die Ähnlichkeit gleich bei ihrer ersten Begegnung mit Merdin aufgefallen, zumal sie damals, bei Dunkelheit, gedacht hatte, seine Haare wären braun statt rot. Doch jetzt, mit seinen dunkelbraun gefärbten Haaren glichen sich die beiden auf frappierende Weise. Natürlich wusste sie, dass man überall Leute treffen konnte, die einem ähnlich sahen.

      Viviane zuckte die Schultern. Ihr war das bislang noch nicht passiert, und sie maß dieser Beobachtung nicht viel Bedeutung bei. Bevor sie sich weiter wunderte, suchte sie lieber die großen Tische danach ab, was es Schönes zu essen gab. Ah, Kräuterquark und frisches Brot.

      Merdin seufzte. Vivianes moosgrüne Augen schauten nicht mehr auf ihn und strahlten trotzdem noch bewundernd; nein, sie flackerten regelrecht gierig von einer Schüssel zur nächsten. Er musste schleunigst zusehen, genug von dem leckeren Quark abzubekommen.

      Viviane aß und aß. Selbstverständlich ließ sie genug für ihre Drachenbrüder übrig, und sie ließ sich auch Zeit zum Genießen; nach dem Festessen und den vielen Fleischresten war ihr die einfache Kost mehr als willkommen. Bald waren alle Krieger so satt und müde, dass sie nur noch schlafen wollten.

      Nach dem obligatorischen Zähnepolieren wurden sie zu ihren Schlafplätzen geführt, die Männer auf den Dachboden des Langhauses, Viviane in eines der Grubenhäuser.

      Zoaks Mutter, Scilla hieß sie, schob die Tür auf und entschuldigte sich wortreich, weil in dem Grubenhaus sonst nur Flachs gelagert wurde und das Bett recht schmal war. Aber dafür war es von ihr höchstpersönlich mit Stroh und feinen Bettkräutern ausstaffiert worden. Viviane fand es großartig, ein eigenes Zimmer zu haben, von den riesigen Bündeln Flachs mal abgesehen, und versicherte Scilla, das Stroh dufte herrlich, genau wie bei ihrer Mutter daheim.

      Das brachte ihre Gastgeberin auf einen Gedanken und sie erzählte, wie gern sie zu ihren fünf Söhnen auch ein Töchterchen gehabt hätte, eines wie Viviane. Fürsorglich wickelte sie ihre neue Ersatztochter in eine flauschige Wolldecke und betrachtete sie mit großem Wohlwollen. Viviane wünschte Scilla eine gute Nacht und schlief fast augenblicklich ein, als wäre sie ein sattes, zufriedenes und sehr müdes kleines Mädchen.

      Das war es also, was Akanthus mit ‚bestens vorbereitet‘ meinte.

      Am nächsten Morgen, bei Haferbrei mit feinstem Honig, erzählte Viviane von ihrem Traum, bei dem fünf Mädchen im Grubenhaus Verstecken