Die weise Schlange. Petra Wagner

Читать онлайн.
Название Die weise Schlange
Автор произведения Petra Wagner
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783959665964



Скачать книгу

und deutete auf die roten Punkte, die Viviane mit ihren Pfeilen eingestochen hatte.

      „Es ist tatsächlich ein Kreuz“, murmelten die Ersten, wobei sie verdutzt auf den Schild starrten. „Sie hat wahrhaftig ein rotes Kreuz aufgezeichnet!“

      Eifrig drehten sie sich zu ihren Nachbarn um und zeigten mit den Fingern auf den Schild.

      „Habt ihr das gesehen?! Ihr letzter Hit hat das Zentrum getroffen! Schaut hin! Der starke rote Punkt befindet sich mittig im Kreuz! Das ist ein kleines Sonnenrad, gar kein Zweifel!“

      Schwer beeindruckt wandten sich die Krieger Viviane zu und musterten sie von Kopf bis Fuß, obwohl sie immer noch weit hinten im Wald auf Dina saß und gar nicht richtig zu sehen war. Viviane wurde zunehmend rot unter ihren blauen Hautmustern.

      Sie ärgerte sich ein winziges bisschen. Genaugenommen war das Kreuz nicht klein; es maß mehr als zwei Handspannen von Punkt zu Punkt. Sie hätte besser getroffen, wenn sie absolut nüchtern gewesen wäre. Die Pfeile waren ihr doch ein wenig abgedriftet, aber dafür war der letzte so perfekt windschief im Zentrum gelandet, dass es am Ende wieder gerade aussah. Man musste nur den Kopf zur Seite neigen – schon konnte man Norden, Osten, Süden und Westen deutlich erkennen.

      Zum Glück hatte sie die rote Farbe genommen, wie Uathach ihr geraten hatte. Schwarze Punkte wären nicht so gut sichtbar gewesen, man hätte sie gar als Maserung im Holz abtun können.

      „Guckt sie euch an!“, tönte Merdin und streckte den Schild weit von sich. „Das Symbol der vier Himmelsrichtungen auf einen Schild geblasen! Ein Sonnenrad, auf diese Entfernung! Habt ihr je solche Treffer gesehen, derlei Kunstfertigkeit?!“

      „Nein!“, jubelten alle Krieger im Chor. „Vivian ist die Beste mit dem Elderstab!“ Prompt fiel einigen auf, was sie da gerade verkündeten, und sie verpassten ihren Nachbarn unauffällige Rippenstöße. Allesamt brüllten sie hinterher: „Uuuuathach ist die Beste mit dem Elderstab! Sie ist die beste jüngste Lehrmeisterin und Vivian ihre beste jüngste Schülerin! Sie können wahrlich stolz aufeinander sein!“

      Uathach drehte sich prustend um und zwinkerte Viviane zu.

      Viviane freute sich, wie glücklich ihre Freundin nun die Faust in Siegerpose reckte, und zwinkerte lachend zurück. Ja, sie musste sich kichernd hinter ihren Händen verstecken und den Kopf schütteln. Wenn jemand vor fünf Jahren prophezeit hätte, dass sie eines Tages stolz aufeinander sein würden, wäre er wahrscheinlich mit zwei Ohrfeigen abgezogen, denn damals hatten sie sich überhaupt nicht leiden können.

      Immer wollte Uathach recht haben, weil sie bereits ein Jahr Heilkunst absolviert hatte, bevor Viviane anfing. Immer wollte Uathach die Beste sein und Viviane hätte ihr das auch gegönnt, denn schließlich war Uathach eine Königstochter, eine gelehrige Schülerin der Medizin und eine faszinierende Kriegerin. Noch dazu äußerst klug, gut aussehend und üppig gebaut. Doch ständig hatte sie Viviane spüren lassen, dass sie selbst klein, mager und nicht von hoher Geburt war.

      Deswegen waren sie öfter aneinandergeraten, und irgendwann hätten sie sich wohl ernsthaft geprügelt, wenn sie in Vivianes erstem Jahr nicht zufällig beide krank geworden wären. Es war eine seltsame Krankheit – genauer, eine Trägheit – die sie tagelang ans Bett fesselte. Alle anderen Mädchen vergnügten sich draußen im Sonnenschein, sie jedoch lagen artig nebeneinander – zum gegenseitigen Zähne-Einschlagen fehlte ihnen schlichtweg die Kraft. Was konnten sie tun, bis es ihnen besser ging?

      Der Erste, der von ihrem lauten Gekicher angelockt wurde, war Akanthus, und er freute sich, dass seine Medizin nun offenkundig wirkte. Viviane hatte ihn bis heute im Verdacht, für Krankheit und Genesung selbst gesorgt zu haben. Doch wie überraschte ihn sein eigener Heilerfolg: Viviane und Uathach waren seit ihrer Zwangsstilllegung unzertrennlich. Niemals wieder ein böses Wort oder eine böse Tat. Wenn die eine etwas nicht konnte, brachte die andere es ihr bei.

      „Alles hervorragend erledigt“, gluckste Uathach, die nun unvermittelt vor Viviane stand.

      „Ich bin höchst zufrieden mit dir, meine Kleine, und dafür geleite ich dich nun höchst feierlich zur Feststätte zurück.“ Kurzerhand zog sie Viviane vom Pferd, legte ihr strahlend den rechten Arm um die Schultern und rüttelte alles, was daran hing, kräftig durch.

      „War also doch nicht umsonst, wie ich dich unter meine Fittiche genommen habe. All die Jahre voller Mühsal und Tobsuchtsanfälle …“

      Uathach wischte sich ganze Sturzbäche imaginären Schweißes von der Stirn und stöhnte vor Anstrengung. Unvermittelt griff sie Viviane unter die Arme und hob sie mit einer Leichtigkeit an, als wäre sie aus Stroh.

      „Ja, das hat sich wirklich gelohnt“, lachte diese und tänzelte mit den Füßen durch die Luft „Das fühlt sich prima an! Mach weiter!“

      „Die Grashalme, die kitzeln?“

      „Das Gras, der Südwind, das Kampfspektakel, die blaue Farbe … einfach alles!“

      „Ach, und meine Kraft? Pass auf, du kleiner Grashüpfer!“

      Uathach packte fester zu und zog Viviane noch höher, sodass sie weit über den Grashalmen schwebte und jauchzte: „Beim Geweih von Cernunnos, du bist das stärkste Weib! Ich bin so glücklich, dass du meine Freundin bist! Keiner fühlt sich heute so leicht und frei wie ich!“

      „Das möchte ich meinen. Immerhin wirst du von einer zukünftigen Königin der Nebelinsel auf Händen getragen. Wer könnte das noch von sich behaupten?“

      Fragend schauten sie sich an und prusteten gleichzeitig los.

      Es gab tatsächlich niemand anderen, den Uathach jemals umhergetragen hätte. Sie trug nur ihren Stolz, ihre Waffen und manchmal eben Viviane. Das war ihr beider größtes Vergnügen, seitdem sie ihre Freundschaft entdeckt hatten, und Viviane vermutete, dass sie gerade deswegen umhergeschleppt wurde. Zum einen war Uathach fast zwei Köpfe größer, zum anderen war es wohl eine Art Wiedergutmachung für all die üblen Tage, die sie vorher miteinander durchlebt hatten.

      „Ich könnte dich noch ewig so weiterschleppen! Doch halt, Seitenwechsel und Endspurt, jetzt wird gefeiert!“ Uathach sprang um Viviane herum und hob sie auf ihren linken Arm. „Ach, da kommt ja noch ein Helfer angestolpert! Da schaff ich’s vielleicht doch noch zum Met, bevor ich das Fass auslecken muss! Gib mal Rückenwind, kleiner Grashüpfer!“

      „Ganz wie zukünftige Nebelkönigin wünschen!“

      Lachend flatterte Viviane mit den Armen und Uathach trabte mit einer Leichtigkeit vorwärts, die selbst den entgegenkommenden Merdin zum Staunen brachte. Er verlangte aber dennoch, sie solle ihm die Hälfte abgeben und schob seine Hand unter Vivianes freigewordene Achsel. Nun konnte diese noch leichter und viel, viel höher durch die Luft sausen. Allerdings hing sie ein bisschen schief, weil Merdin ein winziges Stück größer war als Uathach und auch mehr Kraft hatte – beides wollte er gut sichtbar zur Schau stellen.

       Die Spur der Drachen

      Beim ersten Vogelgezwitscher verspürte Viviane den starken Drang, sich ausgiebig zu rekeln, und wäre beinahe vom Ast gefallen. Gerade noch konnte sie sich festklammern und einen erschrockenen Blick nach unten werfen. Prompt wechselten sich bei ihr Blinzeln, Stirnrunzeln, Augenaufreißen und -zukneifen in rascher Folge ab. Nur den Klammergriff behielt sie bei und mit ihm die Erkenntnis.

      Sie war wach, kein Zweifel. Doch wieso war sie auf einer knorrigen Buche, erste Etage, aufgewacht?

      Von der guten Aussicht – wenn es irgendwann hell würde – mal abgesehen, war ihr Schlafplatz eher ungewöhnlich, ja, geradezu exzentrisch, und noch dazu weit weg von den anderen. Zum Glück war die Astgabel, auf der sie lag, breit und voller Moos, und zwei flauschige Wolldecken sorgten für Behaglichkeit. Dennoch, gemütliche Wärme hin und weite Sicht her – wieso lag sie nicht unten auf der Erde wie jeder normale Mensch?

      Das Korma war schuld. Offensichtlich hätte sie nicht so viel von dem Gebräu in sich hineinschütten dürfen. Aber nachdem das Kampfspektakel