Uhlenbrock. Claudia Rimkus

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Название Uhlenbrock
Автор произведения Claudia Rimkus
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839270028



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mit Leben erfüllt. Anneliese war kurz zuvor von ihrer Freundin, der verstorbenen Operndiva Christa Bernhardt, testamentarisch damit beauftragt worden, eine Stiftung zu gründen, die mittellose Künstler unterstützen sollte, und den Vorsitz zu übernehmen. Philipp hatte dafür die Räumlichkeiten im Souterrain zur Verfügung gestellt. Ursprünglich wollten alle WG-ler in der Stiftung mitarbeiten. Nach ihrem Einzug hatten sie die Aufgaben im Haus jedoch neu verteilt. Dadurch waren es seitdem Anneliese und Charlotte, die sich überwiegend damit beschäftigten.

      »Wieso war Philipp eben so merkwürdig?« Anneliese griff im Stiftungsbüro nach mehreren Briefen, die sich in den letzten Tagen angesammelt hatten. »Er muss doch kein Geheimnis daraus machen, wo er war.«

      »Er war im Präsidium.«

      »Woher weißt du das?«

      »Ich habe seinen Wagen gesehen.«

      »Gibt es einen Grund, das zu verschweigen?«

      »Wahrscheinlich steckt er mit Hannes und der Staatsanwältin unter einer Decke.«

      »Das verstehe ich nicht.«

      »Wie ich das beurteile, haben sie Philipp ins Boot geholt, weil sie den besten forensischen Psychologen brauchen, den sie kriegen können, um ein Täterprofil zu erstellen. Nach dem, was passiert ist, als ich das letzte Mal ermittelt habe, wird er seine Zusage an die Bedingung geknüpft haben, dass ich nichts davon erfahren darf.«

      Nun verstand die Freundin.

      »Er hat Angst, du könntest dich allzu sehr für den Fall interessieren und eigene Recherchen anstellen, die dich in Gefahr bringen.«

      »Genau das vermute ich.«

      Nachdenklich setzte sich Anneliese an den Schreibtisch und schlitzte den ersten Umschlag mit einem silbernen Brieföffner in Form einer Ballerina auf.

      »Ist seine Sorge berechtigt?«

      Kopfschütteln.

      »Du würdest die Füße stillhalten – egal, was passiert?«

      »Das ist der Plan.«

      »Schade.«

      »Warum?«

      »Nach unserem Besuch im Präsidium wurde mir klar, dass ich da irgendwie mit drinhängen könnte. Eigentlich habe ich gehofft, du würdest mir helfen, rauszufinden, ob da was dran ist.«

      »Das ist Aufgabe der Polizei.«

      »Hast du deshalb alle Informationen, die dein Hauptkommissar an seiner Pinnwand aufgespießt hat, aufgesogen wie ein Schwamm?«

      »Ertappt.« Charlotte setzte sich auf den Stuhl gegenüber. »Natürlich interessiert mich, warum die beiden Männer sterben mussten, aber ich will mich nicht in die Ermittlungen einmischen.«

      »Und wenn die Polizei nicht weiterkommt? Kann ich dann mit dir rechnen?«

      »Warten wir es erst mal ab.«

      In den nächsten zwei Stunden beschäftigten sie sich mit Belangen der Stiftung. Als sie aus den Tiefen des Hauses nach oben stiegen, kam ihnen Elisabeth auf der letzten Stufe entgegen, um sie ans Abendessen zu erinnern.

      Zusammen betraten sie die Küche, in der die männlichen WG-Bewohner am Tisch saßen. Vor Philipp stand eine Suppentasse, aus der es dampfte. Conrad hatte für ihn etwas vom köstlichen Mittagessen aufgehoben und heiß gemacht.

      Die Damen setzten sich dazu. Im Nu waren sie beim Essen in ein angeregtes Gespräch vertieft.

      Charlotte half Elisabeth später, die Küche in Ordnung zu bringen. Aufräumen zählte zwar nicht zu ihren Lieblingsbeschäftigungen, aber sie wollte nicht, dass die älteste weibliche Bewohnerin diese Arbeit allein erledigte. Das führte jedes Mal zu Diskussionen, da Elli froh war, durch die Hausarbeit etwas Sinnvolles zu tun zu haben. So dauerte es an diesem Abend nicht lange, bis sie Charlotte aus der Küche scheuchte.

      Sie ging zum Wohnzimmer hinüber, um nachzusehen, wo die anderen steckten. Es war aber nur Philipp anwesend, der die Holzscheite im Kamin angezündet hatte und nun gedankenverloren mit einem Feuerhaken darin herumstocherte.

      »Bleib bitte«, sagte er, als Charlotte sich zurückziehen wollte. Er richtete sich auf und hängte den Haken zum übrigen Kaminbesteck an den Ständer. »Ich hätte dich vorhin nicht so abkanzeln dürfen.« Mit bedauernder Miene trat er zu ihr. »Es tut mir leid.«

      »Das war meine Schuld.«

      »Wie meinst du das?«

      »Ich hätte dich nicht fragen sollen, wo du warst. Wahrscheinlich haben sie dich ins Präsidium gebeten, weil du ein Täterprofil erstellen sollst.«

      Verwundert kam er näher, bis er dicht vor ihr stand.

      »Woher weißt du das?«

      »Ich habe deinen Wagen dort gesehen – und 2 plus 2 zusammengezählt.«

      »Kann man vor dir eigentlich nichts geheim halten? Ich habe Frau Dr. Pauli nur unter der Bedingung zugesagt, dass du nichts davon erfährst. Sie hat die ganze SOKO dazu verdonnert, dir kein Sterbenswörtchen zu verraten.« Behutsam legte er die Hände auf ihre Schultern. »Was mache ich nur mit dir?«

      »Du könntest mich zum Beispiel küssen. Das wäre ein netter Anfang.«

      »Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?«

      Er zog sie an sich und küsste sie zärtlich.

      »Und nun?«

      »Ganz einfach, mein Lieber: Während du das gewünschte Profil erstellst, suche ich mir eine andere Beschäftigung.«

      »Ist das dein Ernst?«

      »Ich mische mich nicht in deine Arbeit ein.«

      Kapitel 7

      Leise fluchend stieg der Mann aus seinem klapprigen schmutzig-blauen VW-Polo. Umständlich schloss er den Wagen ab und versenkte den Schlüssel in der Tasche seiner abgewetzten schwarzen Lederjacke. Ein kalter Windstoß fegte über den Asphalt, trieb trockenes Laub vor sich her. Unwillkürlich stellte der Mann den Jackenkragen auf. Dadurch wurde sein strähniger grauer Pferdeschwanz verdeckt, zu dem sein dünnes Haar gebunden war.

      »Scheißwetter«, brummte er und schnippte die halbgerauchte Kippe in den Rinnstein. Geräuschvoll zog er die Nase hoch und spuckte den Schleim in die gleiche Richtung. Seit Tagen plagte ihn eine hartnäckige Erkältung. Er hatte sich darauf eingerichtet, im Bett zu bleiben und sich mit einer Mischung aus heißem Tee und hochprozentigem Rum zu kurieren, bevor er sich seiner Leidenschaft hingeben würde: den Toten. Nichts faszinierte ihn mehr. Filmreif inszeniert, übten sie einen besonderen Reiz auf ihn aus. Leichen, die bereits auf den ersten Blick die Fantasie anregten, die auf eine Weise positioniert waren, die Rätsel aufgab. Die dazu aufforderten, ein Puzzleteil nach dem anderen aufzuspüren und zusammenzusetzen, bis ein stimmiges Bild entstand.

      Die letzten beiden Ermordeten in dieser Stadt waren ausgesprochen kunstvoll in Szene gesetzt worden, als hätte ein Meister seines Fachs akribisch das Bühnenbild für eine finale Aufführung erschaffen, ehe der Vorhang für immer fallen würde. Im ersten Akt war ein Psychologe der Hauptdarsteller gewesen, im zweiten ein Pfarrer. Damit war das Stück aber nicht beendet. Bis zum Schlussapplaus würden einige Tote hinzukommen – ganz sicher.

      Der Mann vergrub die Hände in den Jackentaschen und schlurfte mit gesenktem Kopf zum Eingang des Polizeipräsidiums.

      Bei seinem Eintreten lehnte Pia Wagner am Tresen und sprach mit dem uniformierten Beamten, der dahinter stand.

      »Der hat uns gerade noch gefehlt«, raunte Siegfried Welsch seiner jungen Kollegin zu, worauf sie sich halb herumdrehte. Beim Anblick des Mannes unterdrückte Pia einen Seufzer. Bartholomäus Plaschke, kurz BP genannt, bezeichnete sich gern hochtrabend als freier Journalist, war aber eher ein Sensationsreporter, der seine Storys an jedes Revolverblatt verkaufte.