Sacklzement!. Katharina Lukas

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Название Sacklzement!
Автор произведения Katharina Lukas
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839269787



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Bäckermeister hatte nämlich beschlossen, sich zu wehren. Denn etwas Ungeheuerliches war geschehen. Man wollte ihn vernichten. Ihm alles nehmen. Weil er sein ganzes Leben lang geschwiegen hatte.

      Um 18 Uhr ging es los. Im großen Saal im Obergeschoss beim Bräu stellte Bürgermeister Bernleitner die Finanzlage von Hintersbrunn vor. Es wurde über einen neuen Straßenbelag abgestimmt, über den neuen Wertstoffhof debattiert und die Erweiterung des Friedhofs beschlossen. Die neue Laufbahn auf dem Sportplatz, die fast nichts kostete, weil der Fürbitten-Franz alles allein machte, wurde beklatscht. Neben dem Bürgermeister, den Gemeinderäten und dem Bauleiter all der ehrgeizigen Projekte, Joachim »Django« Schickaneder, waren fast alle männlichen Dorfbewohner da. Dazu ein paar engagierte Jugendliche und zwei Frauen. Eine davon die Kramer Liesi. Als der Bürgermeister mit seiner positiven Jahresbilanz fertig war, waren zwei Stunden vergangen, die meisten hatten drei oder vier Halbe intus, und dem alten Bäckermeister schlug das Herz bis zum Hals, weil er immer noch keine Gelegenheit gehabt hatte, das himmelschreiende Unrecht anzusprechen. Da ergriff Professor Sackbauer das Wort.

      »Wer genau ist denn dieser Professor Sackbauer?«, fragt Gundi.

      »Der hat den Kransederhof gekauft, vor jetzt …« Liesi muss ein paar Sekunden nachdenken. »Das muss jetzt 20 Jahre her sein. Weißt schon, der Kranseder, der mit seiner Frau da oben auf dem Hang zum Scheideggerholz ohne Strom und Wasser gehaust hat wie vor hundert Jahren. Vor dem wir Kinder uns so gefürchtet haben.«

      »Ja klar. Ich weiß schon noch. Wenn du bei dem am Haus vorbeigehen musstest, ist er dir mit der Mistgabel hinterhergerannt!«, erinnert sich Gundi.

      »Nicht wirklich«, verbessert Liesi sie und schüttelt milde lächelnd den Kopf. »Das haben uns die Erwachsenen und die großen Kinder nur eingeredet, damit wir Angst bekommen. Der war in Wirklichkeit ein ganz trauriger und verbitterter Mann. Eine alte Streitsache hat dem keine Ruhe gelassen. Meine Mutter hat erzählt, dass der Kranseder wahrscheinlich wegen nicht gewährter Rentenansprüche gemütskrank geworden ist und deswegen mit niemandem aus dem Dorf etwas zu tun haben wollte.«

      Liesi macht eine Pause und sammelt sich.

      »Auf alle Fälle hat der weltfremde Sonderling vor ungefähr 20 Jahren seine Frau umgebracht und sich ein paar Wochen später aufgehängt. Im Scheideggerholz.« Sie stutzt. »Da, wo der Franz gestern den Struppi gefunden hat.«

      »Und? Hat man jemals aufklären können, was den Kranseder zum erweiterten Selbstmord getrieben hat?« Gundi muss heimlich über sich selbst lachen. Die alte Neugier aus den ehrgeizigen ersten Berufsjahren ist immer noch da.

      »Nicht wirklich. Der Kranseder hat sein Geheimnis mit ins Grab genommen. Sein Hof hat keinen Erben gehabt und ist an die Gemeinde gefallen. Einen handfesten Skandal hat’s damals gegeben, weil ausgerechnet Django, der Sohn vom Bürgermeister, das Grundstück haben wollte. Da sind die Leute auf die Barrikaden gegangen, von wegen Spezlwirtschaft und so.«

      »Also hat der Django den Hof nicht bekommen …«

      »Es hat sich ein Interessent von auswärts gefunden. Das war der recht bekannte Bildhauer Anselm Sackbauer. Von dem steht ein steinerner Reiter im Central Park in New York, in Salzburg soll er mal einen großen Brunnen entworfen haben, solche Sachen hat der gemacht.«

      Gundi zieht ein Bein unter ihren Hintern und schaut in ihr Proseccoglas.

      »Was will denn ein internationaler Künstler mit einem alten Bauernhof im Nirgendwo?«

      »Der hat den ganzen Hof – verfallen, wie er war – und den ganzen Grund dazu von der Gemeinde gekauft und eine Pferderanch daraus gemacht. Ein Gestüt. Seine Pferde gewinnen Rennen und mit seiner Zucht macht der ein Riesengeschäft, sagt man. Inzwischen ist er ein Kunstprofessor in München, lebt aber die meiste Zeit auf dem alten Kransederhof.«

      »Ich bin jetzt genau seit 20 Jahren wohlgelittener Bürger von Hintersbrunn und ich möchte etwas zurückgeben«, begann der Professor, nachdem er sich gegen Ende der Bürgerversammlung zu Wort gemeldet hatte. Etwas großspurig, wie es seine Art war, hatte er sich vor die Stuhlreihen der versammelten Dorfbewohner gestellt. Und wie immer hatte er seinen großen weißen Hund dabei, der ruhig und wachsam an seiner Seite saß und dem Professor eine herrschaftliche Aura verlieh.

      »Ich möchte Hintersbrunn Ehre erweisen. Hier leben einfache Menschen. Menschen, die sich nicht hervortun, sondern die klaglos ihrer Arbeit nachgehen und ihre Kinder großziehen. Keine Berühmtheiten, keine großen Entdecker, keine Geistesgrößen und keine Helden.«

      Die ersten Dorfbewohner schauten sich irritiert an. Will der uns beleidigen?

      »Und ein Großkotz!«, rief einer und der ganze Saal brüllte vor Lachen.

      Solcherlei gewohnt, ließ sich der Professor nicht beirren und predigte weiter.

      »Aber manchmal, da geschieht es, dass die Zeiten nach Helden verlangen. Und dann stehen die Mutigen unter uns auf. Meistens Menschen, von denen man es gar nicht erwartet. Helden aus dem Volke.«

      Die Bürgerversammlung wurde unruhig und man murmelte leise durcheinander. »Was redet denn der?«

      »Wen meint denn der?«

      »Was will denn der jetzt?«

      »1945«, fuhr der Professor fort, »war so eine Zeit. Als der Krieg verloren war, war das Morden noch lange nicht vorbei. Belegt ist, dass es im Nachbardorf Haunzenberg zu einem Haberfeldtreiben kam. Eine SS-Werwolfkompanie übte in den letzten Kriegstagen Lynchjustiz an vermeintlichen Antifaschisten, fünf Männern und einer Frau, verraten von ihren Nachbarn und denunziert als Volksfeinde.«

      Jetzt war es mucksmäuschenstill im Saal.

      »Sinnloses Morden, tragische Schicksale!«, rief er sichtlich zufrieden. Jetzt hatte er sie. Er wurde lauter. »Aber es gab Mutige, die sich diesem Wahnsinn widersetzten! Die Schluss machen wollten mit dem Schlachten! Auch in Hintersbrunn gab es solche aufrechten und mutigen Menschen. Einer davon war Josef Krans­eder, dessen Tagebücher ich in München mithilfe eines befreundeten Professors für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte ausgewertet und nachrecherchiert habe.«

      »Der sonderbare Kranseder? Der Hinterwäldler?«, erinnerte sich laut einer der anwesenden Bauern und der Professor nickte.

      »Er und ein Gleichgesinnter, ein kleiner Landwirt namens Andreas Schmied, haben sich mutig den unverbesserlichen letzten Schergen des Nationalsozialismus entgegengestellt. Andreas Schmied hat dabei tragischerweise sein Leben verloren. Ermordet in der letzten Nacht des Dritten Reichs von …«

      »Halt’s Maul!«, schrie Django und stand von seinem Platz in der ersten Reihe neben dem Bürgermeister auf. »Du redest von meiner Familie! Mein Onkel war damals erst 15. Er wusste es nicht besser, wie viele damals. Dass du ihn jetzt nach so langer Zeit an den Pranger stellst, das werde ich nicht zulassen!« Django war hochrot im Gesicht.

      Der Professor schaute ehrlich bestürzt und in den hinteren Reihen brach Streit aus. »Es geht mir nicht um die Verurteilung der damals Verblendeten«, sagte er. »Ich möchte ein Mahnmal stiften. Eine Erinnerung an die mutigen Menschen des Widerstands aus euren eigenen Reihen! Damit nicht nur die Namen auf den Kriegerdenkmälern …«

      »Schluss!«, schnitt ihm Django erneut das Wort ab und blickte nach hinten. »Was damals passiert ist, war tragisch. Dass mein Onkel … fast noch ein Kind … dass er kurz vor Kriegsende den Schmied im Streit erschossen hat, das wissen alle im Dorf.«

      Ein paar der Dorfbewohner waren inzwischen aufgesprungen.

      »Aufhören!«, schrie einer.

      »Er hat seine Untat bereut und mit seinem Leben bezahlt«, versuchte Django die aufgebrachte Menge zu übertönen. »Hat sich am nächsten Tag, als die Ami-Panzer kamen …«

      Da schepperte es hinten im Saal. Der alte Bäckermeister war aufgestanden und hatte dabei seinen Stuhl krachend umgeworfen. Die ganze Versammlung drehte die Köpfe nach hinten, wo Erwin Starck bis dahin unbemerkt gewartet hatte. Jetzt stand er da und schnaufte schwer. Er beugte sich nach vorn, stützte sich auf dem Tisch ab und fegte dabei sein Bierglas um.

      »Der