Die Eifel und die blinde Wut. Angelika Koch

Читать онлайн.
Название Die Eifel und die blinde Wut
Автор произведения Angelika Koch
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839269022



Скачать книгу

hat, weiß man doch. Sie wird das verstehen. Kennt mich doch, bin doch ihr Papa. War noch nie ein Mann schwülstiger Worte. Mir wurde beigebracht, das Maul zu halten, Sentimentalitäten bringen doch nichts. Die helfen mir auch jetzt nicht weiter. Wer macht so was?

      Der Pole, dem würde ich das zutrauen. Als ich den vom Hof gejagt hab, da hat er mich verflucht. Richtig abergläubisches Zeug. Die sind da drüben auf eine Art katholisch, da schüttelt man nur den Kopf. So wie hier vor zig Jahrzehnten. Oder Jahrhunderten. Aber hier hat sich was bewegt. Ich habe was bewegt, klar. Das auch. Eigentlich kann ich stolz drauf sein. Bin ich auch. Aber der Pole? Lebt der überhaupt noch? Das ist lange her, der wird das vergessen haben. Es fällt einem doch nicht nach zig Jahren ein, dass man da gern mal wen … Quatsch.

      Vielleicht ist es doch irgendein Irrer. Vielleicht kennt der mich gar nicht. Gibt ja so Sadisten, das Internet ist voll von dem Zeug. Ich lese das gar nicht. Irgendwer hat neulich gesagt, dass die es auf mich abgesehen haben. Hass-Posts und so was. Wegen dem Müll … immer noch. Hört das denn nie auf? Wie kann man sich in etwas so verbeißen? Alles Trottel! Deswegen diese orangene Montur? Quatsch. Hunde, die bellen, beißen nicht. Verdammt, dieses Klebeband … Ich muss stillhalten. Das geht gleich vorbei. Da kommt jemand.

      Luft! Atmen! Ich wusste es doch, jetzt noch die Arme … Komm schon, beeil dich.

      Was … was willst du?

      Du?

      Ich glaube es nicht. Du? Komm, wir vergessen das hier, versprochen. Ich vergesse alles, ich schwöre.

      Nein, ich will das nicht. Du kannst mich nicht zwingen. Es reicht jetzt, hörst du!

      1

      Dieser Klang … ein wenig stockend erst und zart, dann voller Inbrunst, dazu ein leichtes Stöhnen des Pianisten, ein kaum hörbares Knarzen, vermutlich vom Klavierhocker. Er liebte sie so sehr, diese Aufnahme »The Köln Concert«. Und noch mehr liebte er es, dass seine Frau ihm in vollendeter Harmonie zu Keith Jarretts Spiel den Rücken massierte. Mit geschlossenen Augen lag Kriminalhauptkommissar Werner Baltes bäuchlings auf dem Bett, nackt, und seine Vera hockte genauso nackt auf seinem Hintern. Kein Leistungsdruck, nichts. Mit den Tabletten, die er nun schon seit einem Jahr nahm, war er sowieso zu nichts fähig außer zu wohligem Brummen. Sie wussten das beide und es war nicht schlimm. Er atmete tief ein, der Duft von Lavendelöl stieg ihm in die Nase. Dahindösen, sich ins Nichts streicheln lassen von ihren sanften und doch zuverlässigen Bewegungen … Beinahe gelang es.

      »Sag mal …«, murmelte er ins Kopfkissen.

      »Schschsch, willst du wohl still sein!« Sie klang wie eine Mutter und griff ihm entschlossen in den Nacken. »Du hast Feierabend, verstanden?«

      Er fügte sich sofort. Sie hatte ja recht. Vier Stunden Arbeit pro Tag, mehr nicht, und die waren um. Aber woher wusste sie, dass da doch wieder dieses Bild vom Müllcontainer vor seinem inneren Auge aufgetaucht war? Zwanzig Jahre Ehe und man hatte keinen eigenen Kopf mehr. Als wären seine eigenen Synapsen mit ihren verdrahtet. Schon rein äußerlich hatten sie sich einander im Lauf der Zeit angeglichen, als wären sie zweieiige Zwillinge, beide eher drahtig als pummelig, wie es mit Mitte fünfzig vielleicht normaler gewesen wäre. Beide standen zu ihrem grauen Haupthaar, wenngleich ihres zu einem mehr als schulterlangen Zopf geflochten war. Beide mit modischer Brille und einer Vorliebe für unprätentiöse sportliche Klamotten. Damit wagten sie sich sogar in die Symphonie nach Köln, um Lang Lang zu hören. Bei ihnen war keine Spur von traditionellem Landei, das es konservativ mag … Sie standen etwas quer im Eifeler Stall, wie die Nachbarn meinten, die auf ihre Katzen aufpassten, wenn die Baltes’ ihren Winterurlaub auf Norderney verbrachten. Und vielleicht hatte dieses Querstehen ihm das Leben gerettet oder im Gegenteil dazu beigetragen, dass er eines Tages einfach nicht mehr weiterkonnte. Er wusste es nicht, trotz seiner vierzehntägigen Therapiesitzungen bei einem Psychologen, die nach der Entlassung aus der Rehaklinik auf seiner To-do-Liste standen.

      Rückblickend musste er sagen: Es hatte lange vorher schon Anzeichen gegeben und er hatte sie alle übersehen. Er war niemand, der jammerte. Er stand stramm und fand, das müsse so sein. Aber jede Nacht nur drei Stunden durchschlafen, bis sich sogar die belanglosesten Routinefälle in seinen Dämmerzustand fraßen … die Reizbarkeit gegen seine Kollegen und gegen Vera, die ihn vergeblich zu entspannenden Konzertbesuchen überreden wollte … die Unfähigkeit, sich auf irgendetwas zu konzentrieren – nicht einmal die hundert Quadratmeter Rasen hinterm Haus konnte er am Stück mähen. Es gab unerklärbare Wechsel zwischen Appetitlosigkeit und Heißhunger und eine merkwürdige Unlust beim Joggen, keine Spur mehr von läuferischer Leichtigkeit. Als ob er immer atemlos bergauf rennen müsste. Er wusste jetzt, es konnte jeden treffen, tröstlich irgendwie.

      Und dann dieser Tag, der das Stoppschild setzte. Diese provisorische Verkehrsführung in Daun kannte er doch: zwei Supermarkteinfahrten einander vis-à-vis, unmittelbar an der Autobahnzufahrt und Bundesstraße in Personalunion, ohne Abbiegespuren, Kreisel, Ampel oder sonstiges Beiwerk, das im Berufsverkehr ein Entkommen von den Supermarkt-Parkplätzen erleichtert hätte. Man war eingekeilt zwischen Einkaufswagen, Kinderwagen, Rollatoren und vor allem zwischen Autos, deren Insassen vermutlich auf ihre sogenannte defensive Fahrweise stolz waren. Manchmal wagte eine gefühlte Viertelstunde lang keiner der an vorderster Front abbiegewilligen Fahrer, sich beherzt in den auf der Bundesstraße fließenden Verkehr einzufädeln. Insbesondere junge Mütter und Omas, fand Werner Baltes in einem Anfall von untypischem Machismo, sollten allesamt am Nürburgring ein Rallyetraining absolvieren, zwangsweise. Er hatte sich auf Platz vier der automobilen Warteschlange vorgekämpft, vor ihm ein wuchtiger SUV mit den widersprüchlichen Botschaften am Heck, dass ein süßer Schnullerträger namens »Paul« an Bord war und dass man »Böhse Onkelz« toll fand. Er hatte Eis gekauft, für das Terrassenvergnügen mit Vera. Das Gefrorene der Sorte Eierlikör-Vanille war keins mehr, sondern matschige Soße. Er schlug aufs Lenkrad. Er brüllte: »Fahr los, verdammt noch mal, du Arsch mit Ohren!« Eine innere Stimme, die sehr nach Veras melodischem Alt klang, raunte: »Du kannst doch nicht …« Eine andere innere Stimme, die sehr nach Werner Baltes im Alter von drei Jahren klang, schnaubte: »Kann ich wohl!« Dann gab er Gas, schlitterte an mehreren vor ihm stehenden Wagen vorbei und hinein in einen Kombi mit einem niederländischen Touristenpaar samt Hund, der in Richtung Autobahn unterwegs war. Seine Kollegen vom Streifendienst nahmen sich der Sache an. Zum Glück hatten die Niederländer nur ein verstörtes Tier und Blechschaden. Mehr war nicht passiert. Bei seinem eigenen Auto hingegen lagen die Trümmer eines Kotflügels auf dem Asphalt. Dafür war etwas anderes neu: die Erkenntnis, es geht nicht mehr, Pausenzeichen für viele, viele Monate. Er wehrte sich nicht mehr.

      Feierabend. Baltes drehte den Kopf zur Seite, damit er besser atmen konnte. »Wenn ich dich nicht hätte, Vera.«

      Die knetete jetzt vehementer, sodass die perlenden Klaviertöne von ihren Kniffen überlagert wurden. »Hast mich aber. Tut dir das schon leid?«

      »Nee. Noch nicht. Wenn du allerdings so weiterfolterst …«

      »Das. Ist. Gesund«, entgegnete sie und unterstrich jedes Wort mit einem zusätzlichen Druck auf seine Schultermuskulatur. »Außerdem habe ich keine Lust, dich irgendwann im Knast zu besuchen, weil du dich beim nächsten Mal nicht damit begnügst, Parkplätze umzupflügen, sondern Geiseln nimmst.«

      »Tue ich nicht«, versprach er und legte sein Gesicht wieder auf dem Kissen ab. Aber so dick, dass es seine Ohren bedecken würde, war es leider nicht.

      »Du verspannst dich schon wieder, das merke ich doch.« Sie ächzte leicht bei ihrem Tun, er konnte ihre schaukelnden Bewegungen auf seinen Pobacken spüren. Etwas regte sich in ihm, ebbte aber sofort wieder ab. Die Serotoninwiederaufnahmehemmer leisteten ganze Arbeit. »Und das Leben ist zu kurz, um es mit Müll zu verbringen«, mahnte sie. Sie kannte den Fall, an dem er zurzeit saß, um sich allmählich wieder an die Arbeitswelt zu gewöhnen. Er hatte ihr immer erzählt, was ihn beschäftigte, fast immer jedenfalls und zumindest in groben Zügen, obwohl er es nicht durfte. Aber er wusste, dass es seine Kollegen mit der Verschwiegenheit nicht anders hielten. Ohne darüber reden zu können, wäre er wohl schon viel früher ausgerastet. Ausrasten, das war es gewesen, und er schämte sich dafür, obwohl sein Therapeut sagte, es sei die Antwort einer gesunden Seele auf krankmachende Umstände.