Berlin erlesen!. Bernhard Hampp

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Название Berlin erlesen!
Автор произведения Bernhard Hampp
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783839268643



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logierte sich Hoffmann 1807 für ein weiteres Jahr in Berlin ein. Er hatte seine Anstellung in Warschau, das von den Truppen Napoleons besetzt war, verloren. Während dieser Zeit voller Geldsorgen und Zukunftsängste nahm sich der Entlassene ein Zimmer im Gasthof Zum Goldenen Adler in der Leipziger Straße, im Hotel Brandenbourg in der Charlottenstraße und zuletzt in der Friedrichstraße. Hoffmann verließ Berlin 1808, um in Bamberg den Traum vom Leben als Künstler wahrzumachen. Seinen dritten Vornamen Wilhelm hatte er aus Verehrung für Wolfgang Amadeus Mozart damals schon geändert. Viereinhalb Jahre verdiente er als Kapellmeister, Bühnenmaler, Theaterkomponist, Musikleiter und kurzzeitiger Musikdirektor sein Geld – allerdings viel zu wenig. Anschließend wirkte er als Musikdirektor in Leipzig und Dresden, ehe er 1814 mit seiner Frau Mischa wieder nach Berlin zog. Der Schulfreund Theodor Gottlieb von Hippel hatte ihm dort eine feste Anstellung am Kammergericht vermittelt. 1816 stieg Hoffmann sogar zum Kammergerichtsrat auf. In dieser Zeit glückte endlich auch der Durchbruch als Autor mit den Erzählbänden Fantasiestücke in Caillot’s Manier, Nachtstücke und Serapionsbrüder. Der Schriftsteller wohnte erst in der Französischen Straße, ab 1815 schließlich in der Taubenstraße 31. Aus dem 1775 erbauten Eckhaus genoss er den Blick auf den Gendarmenmarkt. Er selbst beschrieb ihn in der Erzählung Meines Vetters Eckfenster: »Dabei liegt aber meines Vetter Logis in dem schönsten Theile der Hauptstadt, nehmlich auf dem großen Markte, der von Prachtgebäuden umschlossen ist, und in dessen Mitte das kolossal und genial gedachte Theatergebäude prangt.«

      Den ab 1688 prunkvoll gestalteten Platz prägten schon damals der Französische Dom und die Neue Kirche – heute Deutscher Dom –, beide ab 1701 errichtet und ab 1780 mit Türmen verschönert. Besonders gerne blickte Hoffmann auf das 1802 erbaute Nationaltheater. Dieses führte ab 1816 seine Märchenoper Undine auf und verhalf dem Künstler auch zu Erfolg als Komponist. Aus dem Eckfenster musste er allerdings 1817 mitansehen, wie das Gebäude aus ungeklärter Ursache abbrannte. Das Feuer vernichtete außerdem die Kulissen der Undine, die nach dem Bühnenbild des Baumeisters Karl Friedrich Schinkel gestaltet worden waren. Schinkel war es ebenfalls, der den Neubau des Schauspielhauses – heute Konzerthaus – an gleicher Stelle ab 1817 verantwortete. In seinem Schatten steht nun eingewachsen von Büschen ein Denkmal, das die Berliner Künstlerin Carin Kreuzberg 1998 schuf. Es zeigt den lächelnden Hoffmann mit der Schlangenprinzessin Serpentina aus seinem Märchen Der goldne Topf.

      Im selben Wohnhaus war auch Hoffmanns Freund und liebster Gesprächspartner, der Schauspieler Ludwig Devrient, eingemietet. Obwohl das Originalgebäude nicht mehr steht, weht hier ein hoffmannesker Geist. An derselben Stelle wurde 1997 das Gasthaus Lutter & Wegner eröffnet. Der Name lehnt sich an die gleichnamige Weinhandlung an, die sich einige Häuser weiter, an der Charlottenstraße befand und den Zweiten Weltkrieg nicht überlebte. Für die Nachtgestalten Hoffmann und Devrient war das Weinlokal ein zweites Zuhause. Gemeinsam mit den Autoren Adelbert von Chamisso, Julius Eduard Hitzig, Friedrich de la Motte Fouqué und weiteren begründeten sie dort die Tafelrunde der Serapionsbrüder, die Hoffmann literarisch verewigte. Diese beseelten Runden sollten 1851 die Franzosen Jules Barbier und Michel Carré zum Theaterstück Les contes d’Hoffmann – Hoffmanns Erzählungen – inspirieren. Komponist Jacques Offenbach vertonte sie als gleichnamige Phantastische Oper. 1881 in Paris uraufgeführt, verwebt sie verschiedene Hoffmann-Geschichten wie Der Sandmann, Rat Krespel und Die Geschichte vom verlornen Spiegelbilde. Die Oper beginnt und endet in der Weinhandlung Lutter & Wegner. Das heutige Lokal gleichen Namens besitzt eine Hoffmann-Stube als Nebenraum für geschlossene Gesellschaften und kleine Dinner. Die Wände sind geschmückt mit fast 100 Aquarellen des Frankfurter Künstlers Ferry Ahrlé zu Episoden aus Hoffmanns Leben und Werk.

      Das Haus am Gendarmenmarkt bewohnte der Dichter die letzten sieben Jahre seines Lebens. Wegen satirischer Schriften geriet er jedoch ins Visier der Vorgesetzten: Bange sah er einem Disziplinarverfahren entgegen, als dessen Folge ihm die Rückversetzung in die preußische Provinz drohte. Besonders aber machte dem Autor seine stets fortschreitende Rückenmarkslähmung zu schaffen. Hoffmann starb am 25. Juni 1822 in seiner Wohnung. Er wurde 46 Jahre alt.

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      Restaurant Lutter & Wegner in E.T.A. Hoffmanns ehemaligem Wohnhaus

      Nicolaihaus – Ein Haus der Deutschen Stiftung Denkmalschutz

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      Wo werden nicht überall Bücher besprochen. In Zeitungen, Radiosendungen und Fernsehshows, Blogs, sozialen Netzwerken oder auf den Seiten von Online-Buchhändlern. In Berlin waren Mitte des 18. Jahrhunderts drei Freunde für die Buchkritiken zuständig: der Philosoph Moses Mendelssohn, der Dichter Gotthold Ephraim Lessing und der Verleger Friedrich Nicolai. In ihren ab 1759 gemeinsam herausgegebenen Briefen, die neueste Litteratur betreffend, nahmen sie die Gegenwartsliteratur unter die Lupe. Fiktiver Adressat der Schreiben war ein gemeinsamer Freund, den sich die drei wegen einer Kriegsverletzung ans Bett gefesselt vorstellten. Die Stoßrichtung der Zeitschrift, für die außer den dreien noch andere Autoren wie der Philosoph und Schriftsteller Thomas Abbt zur Feder griffen, war klar: Die Zeitgenossen sollten sich im Namen der Aufklärung ihres eigenen Verstandes bedienen und dabei für Rationalität, gegen Aberglauben und Bevormundung Partei ergreifen.

      Die Berliner Aufklärer kamen mit Vorliebe in Friedrich Nicolais Wohnhaus zusammen. Ein solcher Treffpunkt wurde auch das Domizil in der Brüderstraße 13, das Nicolai 1787 mitsamt Verlag und Buchhandlung bezog: Lessing und Mendelssohn waren zu diesem Zeitpunkt zwar bereits verstorben, aber weiterhin kamen Intellektuelle aller Altersgruppen, um mit Nicolai zu diskutieren, aus ihren Werken zu lesen oder musikalischen Vorführungen zu lauschen. Das 1664 errichtete und später zum Palais ausgebaute Gebäude ist eines der wenigen erhaltenen Barockhäuser Berlins. Es beherbergt heute das Berliner Büro der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Die gemeinnützige Organisation kümmert sich um den Erhalt historischer Bauten und hat im ersten Stock einen Museumsraum eingerichtet, der an ausgewählten Tagen für Besucher geöffnet ist. Mit Buchausgaben, Schautafeln und Exponaten erzählt die Ausstellung von Friedrich Nicolai, seinen Weggefährten und der Zeit, als in Preußen Friedrich der Große und seine Nachfolger Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wilhelm III. regierten.

      Der gebürtige Berliner Nicolai hatte den 1713 gegründeten Verlag von seinem Vater Christoph Gottlieb Nicolai geerbt. Standen für diesen Schulfibeln und theologische Werke im Mittelpunkt der Verlagsarbeit, so widmete sich der Sohn vor allem Rezensionszeitschriften wie der Allgemeinen Deutschen Bibliothek, die sämtliche Neuerscheinungen auf dem deutschen Buchmarkt vorstellte. Nicolai verlegte aber auch Werke Lessings wie die Briefe antiquarischen Inhalts (1768) und das Hauptwerk Mendelssohns, Phaedon oder über die Unsterblichkeit der Seele (1767). Darüber hinaus griff der Verleger selbst zur Feder – und zwar nicht nur, um die neuesten Bucherscheinungen zu rezensieren. Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker heißt sein dreibändiges satirisches Reise- und Sittengemälde aus den Jahren 1773 bis 1776. Eine zwölfteilige Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz verfasste Nicolai ebenso wie den ersten Berlin-Führer: 1769 legte er seine Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam vor. Selbst der König lobte das Buch. Besucher finden im Ausstellungsraum des Nicolaihauses die Erstausgabe und die niederländische sowie die französische Übersetzung, die nur wenige Jahre nach dem Original erschienen.

      Im Museum sind ebenfalls Werke zu sehen, die der Verlag unter Friedrich Nicolai und seinen Nachfolgern auf den Markt brachte. Immer bildeten auch naturwissenschaftliche Veröffentlichungen einen wesentlichen Teil des Programms. Vorgestellt ist etwa Friedrich Anton Mesmers System der Wechselwirkungen, Theorie und Anwendung des thierischen Magnetismus von 1812. Oder daneben Julius Ratzeburgs bebildertes Lexikon über die Forst-Insecten von 1837 ebenso wie sein zweibändiges Werk zum Thema Waldsterben aus dem Jahr 1866: Die Waldverderbniss oder dauernder Schade, welcher durch Insektenfrass, Schälen, Schlagen und Verbeissen an lebenden Waldbäumen entsteht. Auch der Leiter der Berliner Sternwarte, Johann Elert Bode (1747–1826), brachte seine Anleitung zur Kenntniß des gestirnten Himmels mit ausklappbarer Sternenkarte ab der neunten Auflage bei Nicolai heraus.