Weihnachten. Karl-Heinz Göttert

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Название Weihnachten
Автор произведения Karl-Heinz Göttert
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783159617695



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bedarf es eines Blicks in die römische Geschichte, bei der die meisten ein wichtiges Datum kennen: die »Bekehrung« Konstantins des Großen zum Christentum, was zuerst die Duldung der bislang verfolgten neuen Religion bewirkte und später ihre Erhebung zur wichtigsten Religion im Staat.

      Im 1. Jahrhundert, zur Zeit der Evangelisten, war diese Entwicklung völlig unabsehbar gewesen. Damals hatten sich im Mittelmeerraum überall christliche Gemeinden gebildet, was allein schon eine erstaunliche Leistung war. Aber es fehlte der Zusammenhalt, es fehlte an einfachsten übergreifenden Institutionen. Ein bedeutender Fortschritt lag in der Ernennung von Bischöfen, die miteinander in Kontakt treten und sich auf Zusammenkünften oder brieflich absprechen (oder natürlich auch streiten) konnten. Dies geschah zuerst im Osten, in der Nähe des Heiligen Landes, weniger im immer wieder von Krieg und Zerstörung heimgesuchten Jerusalem als in den großen Städten wie Antiochia in Syrien oder Alexandria in Ägypten – zunächst auch nicht in Konstantinopel, das noch längst nicht das »neue Rom« war. Rom selbst hatte seit dem Weggang des Kaisers mehr und mehr an Bedeutung verloren, zumal in der Zeit des Mehrkaisertums Trier, Mailand und Ravenna im Westen, Nikomedia und Thessaloniki im Osten als Residenzen dienten. Dass dem römischen Bischof Damasus im 4. Jahrhundert der Durchbruch gelang und er sich einigermaßen unangefochten als Papst durchsetzte, gehört zu den Meilensteinen in Richtung einer wirklichen Großkirche – darauf ist noch zurückzukommen.

      Die Initialzündung hatte jedoch zweifellos Konstantin gegeben, auch wenn das Mittelalter sein Bild verklärte, ja grotesk verfälschte, wenn es ihn als denjenigen Kaiser darstellte, der »Papst« Silvester in der »Konstantinischen Schenkung« Rom überließ – die Fälschung des 8. Jahrhunderts, als Fresko im Oratorio di San Silvestro der Kirche Santi Quattro Coronati in Rom noch im 13. Jahrhundert triumphal dargestellt, wurde 1433 von Nikolaus von Kues aufgedeckt. Tatsächlich besiegte Konstantin 312 an der Milvischen Brücke seinen einstigen Mitkaiser Maxentius, was er selbst auf die Hilfe des christlichen Gottes zurückführte, der ihm in einer Erscheinung den Sieg versprochen habe, sofern er in seinem Zeichen kämpfe. Fest steht, dass Konstantin die Politik seines Vorgängers Galerius fortsetzte, der den Christen im Mailänder Edikt 311 Toleranz gewährte, um ihre Führer anschließend immer mehr in seine Politik einzubinden. Als Konstantin 324 auch seinen letzten Mitkaiser Licinius aus dem Weg räumte und allein die Macht innehatte, machte er das Christentum zur bevorzugten Religion im Reich, protegierte dessen Vertreter und stiftete repräsentative Basiliken.

      Die Konstantinische Schenkung auf einem Fresko in der Silvesterkapelle bei der Basilika Santi Quattro Coronati in Rom, 1246

      Wieweit Konstantin persönlich Christ wurde, ist umstritten – die Taufe fand erst auf dem Sterbebett statt. Seine Politik war nie gegen das Heidentum gerichtet, im Gegenteil unterstützte er dessen Kulte und baute auf die nach wie vor überwiegend heidnisch gebliebenen Staatsdiener, speziell die Senatoren. Konstantin muss jedoch begriffen haben, dass die neuen christlichen Führungspersönlichkeiten ihm mit ihrer Fürsorge für die notleidende Bevölkerung nützten. In den ständig auftretenden Ernährungskrisen war es die Kirche, die einsprang, wo der Staat versagte. Allein die Organisation der Kirche, die der karthagische Bischof Cyprian im frühen 3. Jahrhundert als »militärisch« charakterisierte, ihre Mitglieder als »Krieger Gottes«, durch »den Kitt des Glaubens zur festen Einheit eines Körpers verbunden«, musste den Kaiser beeindrucken.

      Es lohnte sich für beide Seiten. Das Leben in deutlich abgemilderten Hierarchien, der faktische Zusammenhalt mit entsprechender Solidarität führte der von Konstantin ebenso geschützten wie ausgebeuteten Kirche als einer »Demokratie der Herzen«, wie sie Peter Brown nennt, immer mehr Mitglieder zu. Sie wuchs gerade in den Städten sprunghaft, wurde selbstbewusst, bis Ambrosius von Mailand 391 über Kaiser Theodosius wegen eines Massakers eine Kirchenbuße verhängen konnte – zu dieser Zeit bereits mit einer Gemeinde im Rücken, die durchaus Drohpotential besaß. Von ganz besonderer Bedeutung war es, dass sich irgendwann nicht mehr nur die Unterprivilegierten als Mitglieder aufnehmen ließen, sondern die Reichen und sogar Superreichen. Der gerade erwähnte Historiker Peter Brown hat darüber ein 800-Seiten-Buch geschrieben unter dem Titel Der Schatz im Himmel. Denn die Geschichte vom reichen Jüngling, dem Jesus riet, seinen Besitz zu verkaufen und den Erlös den Armen zu geben, um auf diese Weise »einen Schatz im Himmel« (Mt 19,21) zu gewinnen, wurde Wirklichkeit. Spektakuläre Bekehrungen reihen sich in den 370er Jahren aneinander.

      Paulinus von Nola war der erste Senator, also ein wirklich Superreicher, der sein Vermögen stiftete. Er war beeinflusst von Priscillian, Bischof von Avila, einem berühmt-berüchtigten Asketen. Bischöfe entwickelten sich zu Spezialisten der Umgarnung, eine Art Drittmitteleintreibung in Zeiten der Spätantike. Vor allem Witwen waren die »Opfer«, was bei Neidern zu entsprechender Polemik führte – zum Beispiel zur Bezeichnung als »Ohrlöffel der Matronen« (mit solchen Ohrlöffeln entfernte man das Ohrenschmalz). Aber auch die »normalen« Reichen leisteten ihre Beiträge, wozu bei jedem Gottesdienst der Opfergang eingerichtet war, bei dem Spendenwillige ihren Beitrag zum Altar trugen und daraufhin unter namentlicher Nennung Applaus erhielten (was Hieronymus sarkastisch damit kommentierte, dass es sich nicht um ihren eigenen Reichtum handelte).

      Das Christentum wuchs also, die aus dem Boden schießenden Kirchen entstammten den Geldbörsen reicher Spender. Doch etwas anderes lastete schwer auf dieser Entwicklung. Es gab keine Einigkeit über die theologischen Grundlagen. Im Gegenteil: Die frühe Kirche hatte zwar einen Abwehrkampf gegen heidnische Philosophen geführt – wie zum Beispiel Origenes gegen den Neuplatoniker Celsus, bei dem das Versprechen der Auferstehung nur Spott auslöste: »Das ist eine Hoffnung, die geradezu für die Würmer passend ist! Denn welche menschliche Seele dürfte sich wohl noch nach einem verwesten Leibe sehnen?« Und wenig später sollten die siegreichen Christen nach ihrer eigenen Verfolgung zur nicht weniger blutigen Heidenverfolgung übergehen, der zum Beispiel die ebenfalls neuplatonische Philosophin Hypatia zum Opfer fiel, als ein christlicher Mob sie nackt steinigte, ihren Leichnam anschließend zerstückelte und verbrannte. Aber die frühe Kirche kannte ebenfalls und zunehmend Abweichler, weil sich ohne »Haupt« die Dinge überall anders entwickelten. Es muss für Konstantin ein schwerer Schock gewesen sein, als er merkte, dass diese Kirche, auf die er so sehr setzte, in sich zerstritten war. Das Reich hatte er politisch geeint, er herrschte unangefochten. Und dann dieses Auseinanderfallen ausgerechnet bei denen, die er für die innere Befriedung so dringend brauchte.

      Charakteristischerweise zeigte sich dieses Auseinanderfallen auch an dem damals wichtigsten Fest der Christenheit überhaupt: an Ostern. Es wurde, wie schon gesagt, teils am Wochentag der Auferstehung gefeiert, teils stets am Sonntag, was sich ja schließlich durchsetzte. Wer denkt, ein solches Nebeneinander müsse tolerierbar gewesen sein, täuscht sich in der Mentalität von Theologen, die ihre Existenz dafür aufs Spiel setzten, »richtig« zu feiern. Und dann setzte auch noch der Kampf um die Trinität ein, die Frage, wie es mit der Person Jesu als Sohn bestellt war. Der alexandrinische Presbyter (Priester) Arius hatte in diesem Punkt die Position eingenommen, dass Jesus von Gott »erschaffen« wurde, ihm also nicht wesensgleich, nur wesensähnlich war. Das lief auf einen »reinen« Monotheismus statt der Trinität von Vater, Sohn und Heiligem Geist hinaus – eine durchaus einleuchtende Erklärung, die ganz nebenbei einen der wichtigsten Einwände des Islam gegen das Christentum verhindert hätte. Sie wurde über ein ganzes Jahrhundert hinweg niedergerungen, mit viel Blutvergießen auf beiden Seiten.

      Konstantin hatte dies also direkt vor Augen und reagierte. Er rief 325 eine Versammlung der gesamten Kirche ein, das erste ökumenische Konzil. Der Ort lag ganz in der Nähe seines Regierungssitzes Konstantinopel, in seinem Sommerpalais von Nicäa auf der anderen Seite des Bosporus, idyllisch gelegen am Iznik-See. Um die 300 Bischöfe kamen unter Erstattung der Reisekosten zusammen, darunter sieben aus dem Westen. Der Kaiser saß der Versammlung auf einem goldenen Sessel vor, griff in die Debatten ein und feierte am Ende sein 20-jähriges Dienstjubiläum, ehe er die Bischöfe reich beschenkt entließ – die bei ihm eingegangenen Briefe, in denen diese Bischöfe ihre Kollegen anschwärzten, hatte er zuvor einfach vernichtet. Alles schien in Ordnung. Ostern wurde auf Sonntag fixiert, auch die Modalitäten der Berechnung festgelegt. Arius wurde verurteilt und verbannt, heraus kam das Glaubensbekenntnis, das mit geringen Abwandlungen unverändert blieb, in der