Название | Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot |
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Автор произведения | Sibylle Berg |
Жанр | Языкознание |
Серия | Reclam Taschenbuch |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783159604152 |
PIT ärgert sich
Da war schon wieder so eine Frau. Immer sind da solche Frauen. Die heute hat die Journalisten-Nummer gebracht. Ich bin mit zu ihr gegangen. Die Frau war schon älter. Ich hatte eigentlich keine Lust auf sie. Aber ich wollte auch nicht alleine sein. Da bin ich mitgegangen. Die war wie ein Hund, die Frau. So aufgeregt. Ist um mich rumgesprungen. Hat mich ausgezogen und alles gemacht. Ich hätt auch alles mit ihr machen können. Hatt ich aber keine Lust zu. Ich hab dann mit ihr geschlafen. Weil ich ja nun mal da war. Und, ehrlich, mittendrin ist mir voll schlecht geworden. Ich sah mich auf dieser Frau liegen. Und wußte auf einmal gar nicht mehr warum. Dann fiel mir das zum Glück wieder ein. Es ist Rock ‘n’ Roll, man. Es ist mein Job. Da konnte ich die Sache dann zu Ende bringen. Ich weiß ganz sicher, daß ich das Zeug zu einem Star habe. Wüßte nicht wer sonst. Aber es ist bis jetzt einfach noch nicht richtig gelaufen. Ich war schon in vielen Bands. Immer waren es Stümper, ohne Starqualität. Einmal waren wir schon kurz vor einem Plattenvertrag. Aber der Plattenheini hat dann einen Rückzieher gemacht. Das ist doch alles eine Mafia. Heute was Individuelles zu machen ist fast unmöglich. Wenn ich mich ansehe, dann wird mir das klar. Ich bekomme Arbeitslosengeld und wohne in einer miesen, kleinen Bude. Weil keiner checkt, daß es echt Kunst ist, was ich bringe. Alles Arschlöcher. Überall.
RUTH sieht da was auf dem Nachttisch
Beim vorletztenmal hat er meine Hand genommen. Beim letztenmal haben wir uns geküßt. Heute gehen wir Arm in Arm. Es ist schon dunkel. Wir haben Kaffee getrunken. Und dann Portwein. Er bringt mich zu meinem Zimmer. Er kommt mit in mein Zimmer, und wir trinken Likör. Sitzen auf dem Bett. Dann beginnen wir uns zu küssen. Er macht das Licht aus, und ich höre seine Sachen rascheln. Ich habe seit 20 Jahren nicht mehr mit einem Mann geschlafen. Ich spüre seine Hand. Er öffnet die Knöpfe meiner Bluse. Zieht mich aus. Dann sind wir nackig. Liegen nebeneinander und ich höre ein Geräusch. Er hat die Armprothese abgemacht und sie auf den Nachttisch gelegt. Ich schmiege mich an ihn. So schön ist das, einen Körper neben sich zu spüren. Er legt sich auf mich. Soviel weiß ich noch. Daß ich weiß, daß sein Glied schlaff ist. Da kann man nicht zusammen schlafen. Er geht wieder runter von mir, und ich fasse sein Glied an. Es wird nicht steif. Er legt sich auf mich. Und versucht es so reinzutun. Das geht ein bißchen. Hoffentlich rutscht es nicht wieder raus. Draußen im Park gehen die Laternen an. Das Licht fällt auf den Nachttisch. Und da liegt die Armprothese. Ich guck die an, und mir wird ganz romantisch, ich meine, das ist ein Teil von meinem Geliebten, das da auf meinem Nachttisch liegt. Ich streichel ganz langsam über diese blöde Prothese und habe wirklich ehrliche Gefühle für sie.
NORA ist unterwegs
Das Licht ist dazwischen. Nicht hell. Nicht dunkel. Ein bißchen Nebel. Oder Staub.
Über die Straße weht Papier. Und ein Hund. Es wird früher kalt, als ich dachte. Ich laufe mitten auf dieser Straße. Neubauten. Vor 30 Jahren waren sie neu. Und der ganze Ort träumte vom Reichtum. Von Leben und Touristen. Die kommen, so wie die Häuser aussehen, schon lange nicht mehr. Kein Mensch. Ein paar Alte sind noch da.
Die träumen von nichts mehr. Und hoffen auf nichts. Die Jungen sind aufgebrochen. In die Stadt. Um dort weiterzuträumen. Es klappert. Jalousien. Längst nicht mehr benutzt. Die Straße endet am Meer. Das liegt da, in diesem komischen Licht und sieht so alt und abgestanden aus, wie alles in diesem Ort. Weiter hinten, in Richtung Horizont, stehen zwei dicke Männer bis zum Oberschenkel im Wasser. Sie sehen in entgegengesetzte Richtungen. Stehen einfach da.
Ich setze meinen Rucksack ab, mich darauf. Das Klappern hört man bis hier. So tot ist das Meer.
Ich bin müde. Ich werde nicht mehr weitergehen. Ich habe alles gesehen. Der Ort ist ehrlich. Ich laufe seit einem Monat. Ich schlafe draußen, wenn es dunkel wird. Und wache auf und laufe weiter. Inzwischen stinke ich. Meine Sachen stinken, meine Haare, meine Zähne. Alles stinkt. Nach dem Wein, den ich abends trinke. Nach Staub, nach Autos.
Ich glaube, gestern hatte ich Geburtstag. Ich bin 17 geworden.
Ich habe gedacht, wenn ich weg wäre, von zu Hause, wäre es besser. Aber es war ein Irrtum. Hier ist nichts besser. Hier ist es nur häßlicher.
Ich sitze auf meinem Rucksack und sehe zu, wie es dunkler wird. Die Männer sind weg. Ich habe sie nicht gehen sehen. Gott hab sie selig.
Ein Typ steht neben mir. Er grinst, und sein Mund ist voller Zahnlücken. Er hat schwarze Haare und spricht spanisch. Auf mich ein. Ich habe wenig geredet. Seit einem Monat. Eigentlich gar nicht mehr geredet. Ich werde auch mit ihm nicht reden. Er faßt mich an. Ich lasse mich anfassen. Er grinst. Ich sehe in seinen Mund.
Natürlich gehe ich mit ihm. Ich bin bis jetzt noch mit jedem gegangen. Was soll ich sonst tun. Wir laufen schweigend nebeneinander. Wieder diese tote Straße. Es gibt nur die eine, in diesem Ort. Das Klappern hat aufgehört. Jetzt heult der Wind, und die Straßenlaternen quietschen. Ich hinter dem Jungen her in so ein Haus. Dreck im Hausflur. Die Beleuchtung flackert. Zweiter Stock. Eine gelbe Wohnung und ich im Flur. Im Zimmer, eine Matratze. Ein Tisch mit Wachstuchdecke.
Eine Neonlampe. Und natürlich kaputte Jalousien. Aus dem Haus kommt kein Laut.
Ich sitze an dem Tisch und starre an die Wand. Ich denke darüber nach, was irgendwen dazu bringen konnte, eine rosane Tapete mit kleinen Schiffen zu bedrucken. Der Junge kommt und stellt einen Teller vor mich und Wein. Wir essen irgendwas auf. Ich mag nicht rausfinden, was es ist. Und er steht dann auf und zieht mich auf die Matratze, zerrt an meinen Sachen herum, und ich liege da. Ich sehe mir seinen Mund an.
Der Mund redet spanische Sachen. Er zieht mich nicht ganz aus. Vielleicht, weil das Licht an ist und er meinen Geruch zu sehr sehen kann. Er legt nur Partien frei. Ich zähle die Schiffe. 10, 11, 12 Schiffe. Beim 30sten Schiff ist er fertig und rollt ab. Ich stehe auf, und es läuft mir die Beine runter. Ich mache endlich dieses mistige Licht aus. So im Dunkel kann ich liegen und kurz glauben, ich wäre nicht allein. Ich liege und sehe, wie lange die Nacht anhält. Und wie es zu dämmern beginnt. Und dann gehe ich. Ich fühle mich verklebt, und der Morgen ändert nix daran. Die Straße zum Meer hinunter.
Die beiden Männer stehen bis zum Oberschenkel im Wasser und sehen einander nicht an. Mein Mund schmeckt nach Wein, und ich friere.
Ein Laster nimmt mich mit. Ich habe nicht verstanden, wohin. Ein dicker alter Mann. Wir fahren durch leere Landschaften, tote Orte. Ich glaube, ich kann gar nicht mehr reden. Noch nicht mal mehr mit mir selbst. So eine Stille ist das. Alles eingefroren. Zurück kann ich nicht. Ich weiß, daß es dort nicht anders wäre. Ich kann nirgendwohin. Ich fahre Laster und habe Angst davor, daß die Fahrt zu Ende ist. Ich aussteigen muß. Ich will mich nicht mehr bewegen. Alles starr in mir. Der dicke Mann redet ab und zu. Sein Blick stimmt nicht. Er lügt. Er will mich und denkt, ich will nicht. Er weiß nicht, daß ich gar nichts will und er mich einfach haben kann. Jeder kann mich haben. Es macht mir nichts. Es ist besser, als allein zu sein. Sie nehmen mir für einen kurzen Moment die Entscheidung ab, wohin ich gehen soll, diese Männer.
Der Laster hält an. Vor einem verfallenen Haus. Schrott davor und ein paar Hunde.
Daneben ist eine alte Fabrik. Wir gehen in das Haus, und er zeigt mir einen Platz, an dem ich schlafen kann. Kalt ist es. Die Matratze ist klamm. Als der dicke Mann kommt, weiß ich gar nicht, ob er es wirklich ist