Bringt sie um, die Christenhunde! Das hatten die Seewölfe oft genug in den letzten Wochen gehört- so auch dieses mal wieder, als die Kameltreiber angriffen, um die Männer in den beiden Jollen vom Erdboden zu tilgen. Aber sie setzten sich zur Wehr, die Männer der «Isabella», die zwar ihr Schiff, nicht aber ihren Mut verloren hatten. Hasard feuerte als erster auf einen der Angreifer, und dann krachten auch die Tromblons und Musketen seiner Männer. Ein Bleihagel fegte den Kamelreitern entgegen und erzielte eine verheerende Wirkung. Fast die Hälfte der Bande wurde aus den Sätteln gerissen, schreiend landeten die Kerle im Wasser. Aber dann wollten sie die beiden Jollen in die Zange nehmen…
Es war, als habe sich der Atlantik gegen die Seewölfe verschworen, gegen jene Männer und die beiden Jungen, die unter Philip Hasard Killigrew quer durchs Mittelmeer gesegelt waren – nur ein Ziel vor Augen: Nach England zurückzukehren.. Vor wenigen Stunden erst hatten sie den Durchbruch in den Atlantik geschafft, nach einem letzten wilden Gefecht gegen Uluch Ali und seine Halsabschneider. Und jetzt schlug der Atlantik zu und zeigte seine grimmigen Zähne. Da waren zuerst die Vorreiter des Sturms gewesen – Böen, die von Westen heranjaulten und die See aufrissen, daß es aussah, als fletsche ein riesiges Raubtier den Fang. Ja, ein Raubtier war der Atlantik, und jetzt schickte er sich an, die lächerlich kleine Tartane zu zerfetzen…
Die Brandpfeile rasten wie Boten der Hölle auf die «Isabella» zu. Aus den Höhlen unterhalb der Tempel des Horus wurden sie abgefeuert. An Deck herrschte Wuhling wegen des unerwarteten Überfalls, aber die Seewölfe faßten sich schnell. Wegen der Brandpfeile gerieten sie nicht in Panik. Mit so was kannten sie sich aus. Pützen flogen außenbords, wurden wie irre Hand in Hand nach oben gehievt und über den ersten Brandherden ausgekippt. Es zischte und dampfte. Qualmwolken trieben über die Decks. «Feuer frei auf die Höhlen!» gellte Ben Brightons Stimme. Und da verwandelte sich die «Isabella» in eine feuerspeiende Festung…
Wie eine verendete Kuh torkelte die «Isabella» durch die Fluten des Atlantik. Ein Panzer von Muscheln und Seepocken umschloß in tödlicher Umarmung ihren Rumpf. Ein Leichenschleier von Tang und Algen waberte um sie herum. Und Tanger war noch eine halbe Tagesreise entfernt. Aber da langte der Wind zu – nur mit einer samtenen Katzenpfote, jedoch von verheerender Wirkung. Unendlich langsam verneigte sich die «Isabella» nach Lee, fast demütig und zum Sterben bereit. Und den Männern standen die Haare zu Berge. Denn die «Isabella» verharrte in ihrer Schräglage, bereit zum Kentern…
Die Jolle schoß vorwärts, von peitschenden Riemenschlägen getrieben. Vor ihrem Bug schäumte das Wasser, Gischt flog von den Ruderblättern, wenn sie nach dem Durchholen aus dem Wasser gerissen wurden. Hasard spähte über die Schulter zurück. Die Seesoldaten auf der «Revenge» hatten die Musketen angehoben. Hasard legte Ruder und steuerte die Jolle hart nach Backbord und kurz darauf wieder nach Steuerbord. Genau dazwischen krachte die Salve von Bord der «Revenge». Hasard biß die Zähne zusammen…
Als der Schrei des Nachtvogels verklungen war, überkletterten siebzig Krieger der Timucuas die Palisaden rund um die spanische Siedlung. Zum Teil hangelten sie an Pflanzenseilen hoch, zum Teil überwanden sie die Umzäumung mit Bambusleitern. Aber dann wurden sie von den Posten am Haupttor entdeckt. Schüsse und Alarmschreie ertönten, um die Soldaten zu alarmieren, die in ihren Quartieren schliefen. Die Timucuas brauchten nicht mehr leise und vorsichtig zu sein. Mit gellenden Schreien stürmten sie vor. Der Kampf Mann gegen Mann begann, und er wurde von seiten der indianischen Krieger mit gnadenloser Härte geführt. Zu lange hatten sie Schimpf und Schmach und Demütigungen erduldet, zu häufig waren sie ausgepeitscht, getreten und geschunden worden. Jetzt schlugen sie zurück, um sich ihre Freiheit zu erkämpfen…
Der Sturm schlug zu. Und noch während die Steuerbordrahen der «Vencedor» nahezu im Wasser schleiften – soweit krägte sie, getroffen vom Fausthieb der tobenden Elemente über -, krachte die Steuerbordseite des Viermasters «Roter Drache» und hämmerte den Tod in den aufgebäumten Rumpf des spanischen Flaggschiffs. Dort platzten vier, fünf Löcher auf – unter der Wasserlinie, von gräßlicher Größe, aber noch in der freien Luft, weil sich das Flaggschiff soweit nach Lee verneigt hatte. Dann richtete sich die «Vencedor» wieder auf, mühsam zwar, aber sie schaffte es. Sie wollte noch nicht sterben. In die Löcher jedoch, jetzt unterhalb der Wasserlinie schossen die Wassermassen, unaufhaltsam und mit berstender Kraft…
Wegen der Mumien an Bord waren die Seewölfe aus dem Häuschen, und der Krach war da. Ja, Carberry ging auf seinen Kapitän los, stur wie ein Büffel und zu allem entschlossen. Der Seewolf explodierte jäh und wild. Alles, was sich seit Ferris Tuckers Verweigerung , den zweiten Schrein zu öffnen, in ihm angestaut hatte, lag in seiner rechten Faust. Sie krachte dem Profos als Haken unter das Kinn. Ein Stöhnen durchlief die Crew – und die Zwillinge hatten tellergroße Augen. Das war ein Schlag, mit dem man Ochsen fällte. Dem Profos erging es um keinen Deut anders. Es hob ihn buchstäblich aus den Stiefeln, und er pfiff aus dem letzten Loch, der eisenharte Profos…
Die Jolle war knapp vor der Grottentreppe, zu der Mac Pellew die ertrinkende Frau durchs Wasser geschleppt hatte, da wimmelte es plötzlich von Kerlen, die wie aus dem Nichts zwischen den Felsen aufgetaucht waren. Und alle hielten sie Pistolen oder Musketen in den Fäusten. Was das für Kerle waren, brauchte niemand den vier Arwenacks zu sagen. Das waren Galgenvögel der übelsten Sorte. Die Weiber bei ihnen waren genauso schlimm, vor allem jene, die ihnen das Ertrinken vorgespielt hatte. Dieses Weib verpaßte dem guten Mac einen bösen Knietritt, so daß er die Treppe hochflog und unsanft landete. Und schon hielt ihm ein dunkelhaariger Mann mit einem eiskalten Gesichtsausdruck ein Messer an die Kehle. «Scheiße!» sagte der Kutscher erbittert. «Scheiße, verfluchte…»
In Cadiz versengte Admiral Drake dem König Phillip von Spanien den Bart, und daran hatte Philip Hasard Killigrew, Kapitän der «Isabella» auch gar nichts auszusetzen. Aber was ihn erboste und rebellieren ließ, war die Tatsache, daß der sehr ehrenwerte Admiral auch über Schiffe herfiel, die weder die spanische noch die portugiesische Flagge führten. Und die Gebote der Menschlichkeit wurden ebenfalls mißachtet. Darum setzte sich die «Isabella» von dem Verband ab, aber bei den Azoren begegneten sie sich wieder, und da zahlte der Seewolf zurück…