Es war Philip Killigrew, der den Toten in einem Haus der verlassenen Küstensiedlung Ernakulum fand. Der Mann lag hinter der Tür, auf dem Bauch und in verkrümmter Haltung, die Beine angezogen, als hätte er sich mühsam wieder aufrichten wollen. Er trug lediglich eine Wickelhose, deshalb fiel sofort auf, daß seine Haut von großflächigen Geschwüren überzogen war. Mindestens ein Dutzend Ratten waren über den Leichnam hergefallen. Da der Mann schon seit Tagen tot war, bot er einen entsprechend abstoßenden Anblick. Einige der Tiere reagierten aggressiv und griffen Philip an. Er hielt sie sich mit Fußtritten vom Leib und schlug mit dem Schiffshauer zu. Erst als mehrere blutige Kadaver vor ihm lagen, ebbte die Angriffslust der Ratten ab. Pfeifend verschwanden sie in ihren Schlupflöchern…
Don Juan de Alcazar verließ seinen Brander erst kurz vor der portugiesischen Galeone, auf die er verbissen zugesteuert war. Da wurde bereits auf ihn geschossen. Er ließ sich rücklings über das Dollbord fallen und atmete noch einmal tief ein, bevor das Wasser über ihm zusammenschlug. Kräftige Schwimmstöße brachten ihn aus der unmittelbaren Nähe der Galeone, und als er wieder auftauchte, geschah das weit von der Stelle entfernt, an der ihn die Portugiesen vermuteten. Wenig später schrammte der Brander am Rumpf der Galeone entlang. Die Flammen spragen auf Rüsten und Wanten über und begannen ihr zerstörerisches Werk. Dann zerriß eine ohrenbetäubende Explosion die lodernde Morgendämmerung über der Reede. Augenblicke später setzte ein Trümmerregen ein. Ringsum zischte und brodelte es, als brennende Wrackteile ins Wasser klatschten…
Dan O´Flynn und Smoky waren zum Lenzen im Vorschiff der «Respectable» eingeteilt, als sie plötzlich merkten, daß sich zu den Geräuschen des Sturms draußen auf See ein dumpfes, hohles Dröhnen hinzugesellte. Sie stellten das Pumpen ein und lauschten. Und da passierte es auch schon. Ein gräßliches, durch Mark und Bein gehendes Knirschen erklang, der Bug des Viermasters schien sich zu heben, ein harter Ruck folgte. Smoky krachte gegen die Lenzpumpe, Dan O´Flynn taumelte nach vorn. Die «Respectable» schrammte über den Grund. «Raus hier, wir laufen auf!» schrie Smoky. Splitternd und berstend bohrte sich was Mächtiges, Dunkles durch die Planken an Steuerbord, die wie dünne Hölzer geknickt wurden. Wasser spritzte schäumend nach allen Seiten, dann schoß es in mehreren armdicken Strahlen in den Raum…
Ich, Clinton Wingfield, hockte außenbords auf dem Bootsmannsstuhl und versah die Bordwand mit einem neuen Farbanstrich, als die See hinter der Schebecke plötzlich von einem Augenblick auf den anderen zu schäumen und zu brodeln begann. Eine unheimliche Wasserwand baute sich auf, gigantisch, furchterregend, tödlich. Ich hörte den Seewolf Befehle brüllen, aber ich war unfähig aufzuentern. Ich konnte den Blick nicht von der riesigen Welle lösen, die sich schäumend und tosend heranwälzte. «Clinton!» Jemand brüllte aus Leibeskräften meinen Namen. Vielleicht war es der Profos, möglicherweise auch Mister Shane. Mehr verstand ich nicht. Gischt und Schaum und gleich darauf eine erstickende Wasserflut schlugen über mir zusammen. Und dann hatte ich das Gefühl, rasend schnell in eine endlose Tiefe zu stürzen…
"Vorwärts!" rief der Seewolf halblaut. Die ahnungslosen Portugiesen an Bord der «Cabo Mondego» wußten nicht, wie ihnen geschah, als sie sich plötzlich fast zwei Dutzend «Ar-we-nack!» brüllenden Kerlen gegenübersahen, die sich geschmeidig an Steuerbord über die Verschanzung schwangen. Bis sie sich von dem ersten Schreck erholt hatten, lagen die ersten schon bewußtlos auf den Planken, von eisenharten Fäusten niedergestreckt. Aber dann begannen sie, sich erbittert zur Wehr zu setzen. Den Profos traf von hinten ein Schlag mit einer Spillspake zwischen die Schulterblätter, der jeden anderen sofort gefällt hätte. Der Profos fing sich aber schon nach wenigen Schritten und drehte sich bedächtig nach dem Gegner um. Und dann legte er los…
"Du Affenarsch!" brüllte der Profos auf spanisch. «Dir ziehe ich die Haut in Streifen ab !» Eine solche Drohung hatte noch niemand gegen Carmona ausgestoßen. Kein Wunder, daß dieser es vorzog, sich erstmal außer Reichweite der anstürmenden Meute zu begeben. Er schwang sich aufs Schanzkleid und sprang außenbords, als Carberry wie ein Stier zu toben begann. Auch sein Kumpan Pilar Aparicio legte keinen Wert darauf, mit dem berüchtigten Profoshammer Bekanntschaft zu schließen. Schlimmer meckerned als eine Ziege, verschwand er ebenfalls in der Tiefe. Zwei Pistolenkugeln, die ihm gegolten hatten, hämmerten ins Schanzkleid. Als wären die Schüsse das Signal gewesen, brach ein Eisengewitter über die Schebecke und die Arwenacks herein…
Carberry schauderte, als er die nadelspitzen Zähne des Meeresräubers sah. Das Biest war verdammt schnell heran. Der Profos drehte sich unter Wasser zur Seite und stieß mit dem Dolch zu. Aber er hatte den Widerstand unterschätzt, den ihm das Wasser entgegensetzte. Die Klinge glitt ins Leere, seine beine krachten gegen den Bauch des Hais, und er hatte das Gefühl, als würde ihm die Haut abgeschmirgelt. Seine Hose hing danach vom Knie an abwärts in Fetzen. Er unterdrückte die Regung, aufzutauchen. Statt dessen rollte er sich zusammen, um geschickter reagieren zu können. Schon glitt der Hai erneut heran – ein lautloser Mörder, dessen Gebiß die tückischste Waffe war, die man sich vorstellen konnte. Carberry spürte Panik in sich aufsteigen…
Die jäh vernehmbaren Laute waren ein Gemisch aus Wiehern, Stöhnen und Gurgeln, wie sie der Piratenkapitän Jerome und seine Kerle noch nie zuvor gehört hatten. Geblendet von den eigenen Fackeln, sahen sie zwar einige dürre, verkrüppelte Bäume, aber nichts, was die gräßlichen Laute erzeugte. Das änderte sich schlagartig, als plötzlich fauchend eine Flammenwand aufzuckte. Schwefelgestank breitete sich aus. Jerome erkannte eine gebückte Knochengestalt hinter den Flammen. Doch nicht die Knochen-Kreatur von vorhin war wieder erschienen, denn die hier hatte zwei unübersehbare «Hörner» auf dem Schädel. «Satanas!» stöhnte einer der Kerle. Im nächsten Moment war wirklich die Hölle los. Blind vor Entsetzen stoben die Männer davon, egal wohin, nur fort von diesem verfluchten Ort…
Angeblich sollte Philip Hasard Killigrew, Ben Brighton und Dan O'Flynn die Schatzkammer des Padischah von Surat gezeigt werden. Der Seewolf roch den Braten erst, als er unter dem Palast in einen kahlen Raum blickte. Doch da saßen sie bereits in der Falle. Die Inder zogen ihre Schwerter und drängten sie in den Raum. Hasard donnerte dem ersten die Faust ins Gesicht. Der Kerl ging lautlos zu Boden und riß einen anderen mit. Ben Brighton reagierte nicht minder schnell. Er zerrte einem Angreifer den Turban so weit ins Gesicht, daß der nichts mehr sehen konnte. Und dann verpasste er ihm einen Tritt in den Allerwertesten. Dan O'Flynn hatte von Anfang an zwei Inder gegen sich. Und der Seewolf begriff, daß sie es nicht schaffen konnten. Es waren zu viele – da war es gesünder, die Flagge zu streichen…