Unerlaubterweise übernahm Kapitän Granville von der «Discoverer» weitere Auswanderer, die mit zwei Booten zu der Galeone gepullt wurden. Das sollte alles schnell gehen und so passierte, was passieren mußte, als die beiden Boote längseits lagen. Von den Kerlen der «Discoverer» zur Eile angetrieben, drängten sich die Auswanderer an den Jakobsleitern, um aufzuentern. Dabei wurde das eine Boot einseitig belastet und kenterte. Im Nu war der Teufel los. Zwei der Rudergasten gingen über Bord, ein etwa zehnjähriger Junge versank schreiend in den Fluten. Ein hagerer Mann sprang ihm mit einem Schrei der Verzweifelung nach, erreichte ihn jedoch nicht mehr. Fast alle Auswanderer des gekenterten Bootes landeten in dem kalten Wasser. Sie begannen um sich zu schlagen und laut um Hilfe zu brüllen. Hasard und seine Arwenacks platzten fast vor Wut, während sie mit der Schebecke heransegelten…
Es begann das fürchterliche Finale. Zwei brüllende Horden, fanatischen Glanz in den Gesichtern, brachen übergangslos aus den beiden Türen des großen Hauses. Haß stand in ihren Gesichtern, den sie wild in die Welt hinausschrien. In den Fäusten hatten sie Entermesser, Säbel, Degen und lange Piken. Sie waren vom Kampfrausch befallen. Wahnsinnige, die nur noch Haß, Vernichtung und Verderben kannten – und wenn es ihr eigenes Verderben war. Von dem «Liebet Eure Feinde» waren sie so weit entfernt wie der Mond. Einige hatten Schaum vor dem Mund. Sie rasten heran wie losgelassene unberechenbare Verrückte, und sie hieben mit ihren Waffen bereits um sich, noch bevor sie auf die Mannen vom Bund der Korsaren stießen…
Kapitän Blair sprang einen Schritt zurück und zog die Pistole. Er zitterte vor Wut am ganzen Körper. Er hatte sie noch nicht richtig in der Faust, als er auch schon feuerte. Old O'Flynn sah die Waffe und rollte sich zur Seite. Dicht neben seiner Schulter schlug die Kugel ins Deck, haute eine Delle ins Holz und pfiff plattgedrückt gegen die Verschanzung. Was dann folgte, ließ die Kerle auf dem alten Seelenverkäufer augenblicklich zu Stein erstarren. Old O'Flynn, immer noch auf den Planken liegend, sah, daß Blair noch einmal feuern wollte. Da hob er das Holzbein etwas an und riß gleichzeitig an dem «Zöpfchen», der gespleißten Kordel am rechten Bein. Die Wirkung war erstaunlich. Aus seiner Beinprothese fauchte ein langer rötlicher Blitz. Es krachte laut, als sei das ganze Achterdeck geborsten…
Die ranke und kampfstarke Galeone, mit der die Seewölfe südwärts segelten, war die «Isabella VIII.», aber am Rio de la Plata hörten sie zu Ihrer Verblüffung, daß in diesem Gebiet eine spanische Galeone gleichen Namens erwartet werde – um Silberbarren zu übernehmen. Englische «Isabella» hin – spanische «Isabella» her, die Seewölfe witterten Beute, man brauchte sich ja nur als die spanische «Isabella» auszugeben. Und so geschah es, daß eine Ladung Silberbarren nach der anderen in den Frachträumen der «Isabella» verschwanden – bis der Schwindel platzte. Und da sagte Philip Hasard Killigrew nur kurz und lakonisch: «Schiff klar zum Gefecht....»
Old O´Flynn erwachte aus seiner Bewußtlosigkeit und hatte noch nicht den richtigen Durchblick. Als jedoch seine Erinnerung wieder einsetzte, drehte er erneut durch. Mit einem wilden Schrei sprang er auf die Beine und knallte prompt gegen den Stamm der Palme. Die war vom Sturm bereits geschüttelt worden. Jetzt sorgte die Erschütterung dafür, daß auch ihre beiden letzten Nüsse nach unten fielen. Eine schlug neben Nils Larsen in den Sand. Die andere knallte mit einem dumpfen Ton genau auf Old Donegals Schädel. Er knickte in den Knien ein, sein Blick wurde glasig, und er wackelte ein bißchen mit dem Kopf. Dann kippte er in den Sand und nippelte ein zweites Mal ab…
Zuerst hatte Zardo, der Ankerwächter auf der «Bonifacio», den fürchterlichen Schrei gehört – aus dem Achterdeck der Galeone. Dann entschloß er sich nach sekundenlangem Zögern, nachzusehen. Und so stieg er auf die Kuhl hinunter. Er hatte gerade den Niedergang hinter sich, als er abrupt stehenblieb. Er glaubte, ein Monster vor sich zu sehen, ein wildes, unbändiges Monster, das zudem noch einen Tobsuchtsanfall hatte und Amok lief. Zardo wagte keine Bewegung mehr. Er starrte nur entsetzt auf das, wa da plötzlich geifernd und brüllend an Deck erschien. Der Kapitän war es, Della Rocca, der mit den irrlichternden Augen eines Wahnsinnigen aus dem Schott zum Achterdeck hervorbrach…
Der Rammsporn der türkischen Riesengaleere kam näher. Er wirkte wie ein gräßliches Ungeheuer, das sich auf sein wehrloses Opfer stürzen will. Wenn er traf, würde er die Dubas in zwei Teile spalten oder völlig zersplittern. Die Arwenacks rannten nur so. Carberry kappte achtern die Leine, Smoky vorn. Batuti und Roger Brighton drückten den Zweimaster von der Pier ab. In einem wahren Affentempo wurden die Segel gesetzt. An den Drehbassen standen Al Conroy , Ferris Tucker und Jack Finnegan. Hasard selbst hatte die Pinne übernommen und legte Hardruder. Sie hatten nur noch ein paar Sekunden Zeit, dann würde die schwimmende Festung ihre Dubas in Kleinholz verwandeln…
Als Mönche verkleidet standen Philip Hasard Killigrew und der Kutscher vor der riesigen Mauer der Festung von Cadiz – und wie die neugierigen Bürger der spanischen Hafenstadt studierten sie den Anschlag, der dort hing. Auf ihm waren die Namen jener verzeichnet, die man der Ketzerei beschuldigt und hingerichtet hatte. Don Juans Name war nicht darunter. Ein weiterer Anschlag trug die Namen der Verurteilten, die sich noch in Haft in der Festung befanden und deren Hinrichtung bevorstand. Zwei Kaufleute aus Huelva waren darunter, eine «Hexe» aus Cadiz, ein Händler aus Cadiz, drei Plünderer sowie zwei Mörder aus Rota. Hasard und der Kutscher studierten sorgfältig die Namen, und dann zuckten beide zusammen. «Juan de Alcazar» stand dort – «zum Tode durch die Garotte verurteilt wegen Hochverrats». Das Datum der Hinrichtung war nicht angegeben…
Der gefesselte Carberry sah mit Entsetzen, wie der verrückte Gordon Brown die andere Laterne holte und das Öl entzündete, nachdem er den Inhalt der ersten Lampe bereits auf die rauhen Dielen gekippt hatte. Seine Hände zitterten, und fast wäre ihm die Lampe aus den Fingern gerutscht. Dazu kicherte er wie ein Irrer. Eine kleine Flamme zuckte auf. Sie wurde rasch größer und lief in einer Schlangenlinie über die Dielen. Das Holz war knochentrocken, und das anfangs kleine Feuer griff in rasender Eile um sich. Es begann bereits, sehr heiß zu werden. Gordon Brown näherte sich der halboffenen Tür. Der leichte Luftzug fachte die Flammen noch schneller an. Ein wildes Fauchen raste durch die Windmühle. Carberry wand sich in seinen Fesseln und wußte doch, daß er keine Chance hatte…
Als auf dem Brander des Seewolfs mittschiffs ein Feuerschein aufzuckte, fing es auch zur selben Zeit auf den anderen Brandern an zu brennen. Lichtsäulen erhoben sich, Feuer zuckte zum Himmel und beleuchtete die unheimlichen Schiffe, die ziemlich rasch auf die dicht an dicht ankernde Armada zutrieben. Die spanischen Ankerwachen schrien entsetzt auf und brüllten Ihre Alarmrufe. Der Anblick der heranjagenden Höllenschiffe ließ bei Ihnen das blanke Entsetzen hochsteigen. Panik brach aus, Befehle wurden durcheinandergeschrien, die keiner beachtete. Auf der Reede war der Teufel los – und immer näher rückten die Brander, unaufhaltsam…