Der Kerl war um einen Kopf größer als Ed Carberry, auch breiter, wuchtiger und schwerer. An seinen Lenden baumelten zwei Hände, die man getrost als Schmiedehämmer bezeichnen konnte. Pete Ballie, der mit Abstand die größten Flossen an Bord der «Isabella» hatte, verblasste dagegen wie ein Säugling. Solche Schaufeln hatte Ed Carberry in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen, und das wollte etwas heißen. Und dieser Kerl, das hatte sich Nathaniel Plymson so ausgedacht, sollte dem Profos das Fürchten beibringen – eine halbe Stunde später weinte der Goliath, und in der «Bloody Mary», Plymsons Schenke, legten die Seewölfe los, daß die Wände wackelten…
An Bord der «Isabella» ging das Rätselraten um die geheimnisvolle Seekarte weiter, die nur die Zwillinge entziffern konnten, denn diese Karte war in arabischen Schriftzeichen abgefaßt worden, und darauf verstanden sich die beiden Jungen. Auf den Maskarenen mußte ein Schatz existieren, das hatten sie bald herausgefunden. Doch als die Insel angelaufen wurde und die Schatzsuche begann, stießen die Seewölfe auf sehr geheimnisvolle Dinge. Da gab es eine uralte Grotte mit raffiniert angelegten Fallen. In eine von ihnen geriet Edwin Carberry, und fast hätte der Profos dabei sein Leben verloren…
Die Vorboten der Hölle tobten fauchend und brüllen heran. Zuerst war nur klagendes Jaulen zu hören, dann pfiff und orgelte es. Aus den grauschwarzen Wolken zuckten Blitze. Das Schwefelgelb wurde intensiver. Gleichzeitig verbreitete es ein trübes, fahles Licht, eine unwirklich erscheinende Dämmerung, in der die Gesichter der Arwenacks eigentümlich leuchteten. Strecktaue wurden gespannt, damit bei den heftigen Schlingerbewegungen niemand über Bord ging. Carberry, Ferris Tucker und Big Old Shane prüften, ob alles gut verzurrt war. Die ersten Brecher donnerten mit Macht über das Vorschiff. Rasmus stieg mit fauchender Gewalt ein und sang sein höllische Lied. Der nächste Brecher raste bis zum Achterdeck…
Jean Ribault und sein Kommandotrupp hatten sich an den Bauplatz auf dem Plateau über der Bucht herangeschlichen und mußten erstaunt feststellen, mit welcher Arbeitswut die frömmelnden Kerle des erhabenen Großmeisters ihre Burg Zion errichteten, die für mögliche Gegner unangreifbar werden sollte. Die Ringmauer mit den Schießscharten stand bereits. Jetzt waren mehr als zwanzig Männer damit beschäftigt, nach den Anweisungen ihres Großmeisters zwei Kanonen über den Strand und an Seilen hinauf zum Plateau zu ziehen – eine mühselige Plackerei. Aber die Jünger des Erhabenen murrten nicht, und sie nahmen es auch hin, daß ihr Großmeister bei der Schinderei keinen Finger rührte. Daß sie als willenlose Werkzeuge benutzt wurden, merkten sie nicht…
Der Raum war klein und von gespenstischem Halbdämmer erfüllt. In die Wände waren Nischen geschlagen worden, in denen kniehohe Holzgestelle standen – Kojen. Sie waren leer – bis auf jene in der letzten Nische. Und da schrie Philip junior auf und fuhr zusammen, daß er fast seinen Bruder umgerissen hätte. Auch Hasard junior wurde es mulmig zumute. In der Koje lag ein steinalter Mann. Im Dämmerlicht sah es so aus, als schlafe der Alte. Aber er war längst tot. Sein Gesicht glich den erstarrten Zügen einer Mumie. Pergamentartige Haut spannte sich über die Knochen. Die Augen waren geschlossen, ein weißlichgrüner Bart umrahmte das eingefallene Gesicht. Die welken Hände lagen seitlich am Körper. Auch sie hatten diese pergamentähnliche Haut, die an dünnes Leder erinnerte…
Drei Stücke der «Estrella de Malaga» donnerten los und spien glühende Nadeln aus. Drei weitere Culverinen entluden sich mit donnerndem Getöse. Die Dons auf der «Neptuno» hatten wieder danebengeschossen, diesmal allerdings haarscharf am Bug der «Estrella de Malaga» vorbei. Dann krachte es drüben auf der «Neptuno» überlaut, zweimal hintereinander, Holz zersplitterte. Eine der drei ersten Eisenkugeln fuhr allerdings schmetternd in die Felsen. Die drei anderen saßen als Treffer voll im Ziel. Der Großmast der Galeone wankte, als könne er sich nicht entschließen, auf welche Seite er fallen solle. Er schwankte noch stärker und stürzte unter lautem Knirschen und Krachen über den Steuerbordbug…
Kein Zweifel, in der Vorpiek der auf die Riffs gebrummten Galeone befanden sich noch Menschen. Aber die Piek war mit einem Eichenschott verrammelt, zwei mächtige Riegel mit zwei schweren Trumms von Eisenschlössern versperrten den Zugang. Ferris Tucker hielt sich nicht lange damit auf. Er hatte seine Zimmermannsaxt dabei und schlug mit der stumpfen Seite zu, daß die Funken stoben. Mit ein paar Schlägen zersprengte er die bei den Schlösser. Der Seewolf schob die Riegel zurück und riß das Schott mit einem Ruck auf. Ein infernalischer Geruch drang ihnen in die Nase – und dann sahen sie die Gestalten, hohlwangig, bärtig, nur noch dreckige Lumpen am Körper, und sie waren in Ketten gelegt…
Ein glühendheißer Windstoß raste heran. Er brachte eine Wolke aus Sand und Staub mit sich und ließ die «Isabella» erbeben. Weit hinten, wo langgestreckte Dünen, Hügel und Wellentäler zu sehen waren, erhoben sich Sandmassen, die erst um sich selbst wirbelten, dann in die Höhe gerissen wurden und sich wie gigantische Laken in der Luft verteilten. Es wurde merklich dunkler. In der Luft war ein Klagen und Heulen, ein Winseln und Klingen. Überall wirbelten jetzt große Tücher auf, trichterförmige Walzen wurden aus dem Boden gerissen. Es begann zu orgeln wie bei einem beginnenden Orkan. Eine lange Bahn aus dunklen Schatten trieb auf die Galeone zu…
Der Weißhai hatte es offenbar auf das Ruderblatt der Jolle abgesehen. Vielleicht hielt er es für einen besonderen Leckerbissen. im übrigen hatte er bereits einen halben Riemen verspeißt, den ihm Dan O'Flynn ins Maul gestoßen hatte. Auf den Riemen konnten sie verzichten, nicht aber auf das Ruderblatt, für das sie keinen Ersatz hatten – und bis Panama lagen noch Hunderte von Meilen vor ihnen. Als der Weißhai zum zweiten Male auf das Ruderblatt zupfeilte, sich etwas drehte und das Maul zum Biß aufriß, schoß ihm Batuti einen Pulverpfeil in den Rachen. Der Hai schnellte steil aus dem Wasser, drehte eine Rolle rückwärts und verschwand wieder in der See. Sekunden später explodierte der Pulverpfeil mit einem dumpfen Laut…
An diesem 15. März des Jahres 1595 brach über Panama ohne Vorwarnung das Unheil herein. Auf der Reede wurden fünf eigenartig aussehende Schiffe gesichtet, die unbeirrbar Kurs auf den Hafen nahmen. Es waren seltsame Schiffe mit merkwürdig geformten und versteiften Segeln. Und die Kerle an Bord trugen dunkle Pumphosen und hatten lange Zöpfe im Genick. Die einfachen Bürger von Panama staunten nicht schlecht, aber ihr Staunen wandelte sich in Entsetzen, als von diesen Schiffen fauchende Feuerpfeile in den abendlichen Himmel stiegen. Diese Pfeile zogen einen rauchenden und funkensprühenden Schweif hinter sich her und verursachten entsetzliche Geräusche…