Der Ankerwächter lehnte am Schanzkleid, hatte einen glasigen Blick drauf und befand sich in dem Zustand zwischen Halbschlaf und trägem Wachsein. Als er dann endgültig schlief und sogar schnarchte, gingen Carberry und Stenmark ans Werk. Sie verhohlten die Jolle zum Vorschiff, rundeten es und erreichten die schräg in die See ragende Ankertrosse der «San Jacinto». Während Stenmark den pennenden Kerl oben am Schanzkleid scharf im Auge behielt, säbelte Carberry mit ein paar Schnitten die Ankertrosse durch. Ohne den Halt des Ankers begann die Galeone sanft über den Achtersteven wegzutreiben. Der Kerl oben schnarchte weiter. Na, das würde sich bald ändern, und vermutlich standen dem Schnarcher schwere Zeiten bevor…
Al Conroy senkte die Lunte, zündete die Culverine und sprang zurück. Das Geschütz brüllte auf, spie seine Ladung aus und fing sich in den Brooktauen. Der Stückmeister der Arwenacks hatte auf die Zinnen und Mauern der Bastion von Dieppe gezielt. Die Schebecke lag ruhig in der Strömung des Arques und schaukelte nicht. Das Rohr der Culverine deutete in einem spitzen Winkel in die Höhe, ebenso wie die Rohre der benachbarten Geschütze. Das Geschoß schlug ein. Zwei gemauerte Zinnen und mehrere klobige Quadersteine wurden gleichzeitig zu Staub und Splittern zerhämmert und flogen in alle Richtungen davon. Ein Geschütz kippte in die Höhe, und die Körper von fackeltragenden Männern wurden durch die Luft gewirbelt…
Die kleine Crew der Schebecke dachte nicht daran, ihr Schiff kampflos aufzugeben. Ramón Vigil, der Bootsmann Don Juans, und die acht anderen Männer warfen sich den Schergen des Gouverneurs entgegen. Schon nach wenigen Minuten klirrte das Metall der Waffen gegeneinander, Stiefelabsätze polterten über die Decksplanken, Flüche und Drohungen wurden ausgestoßen. Dazwischen ertönte immer wieder die schrille Stimme des Stadtkommandanten, der Befehle für seine Kerle brüllte oder Don Juans Crew aufforderte, sich zu ergeben. Ramón Vigil kämpfte wie ein Teufel. Seinem ersten Gegner, einem Sargento, schlug er den Degen aus der Hand und verpaßte ihm dann einen Fausthieb, der den Mann zum Schanzkleid fegte…
Die Flammen leckten an den Masten der «Scorpion» hoch, das Rigg war bereits verbrannt und verkohlt. Das Feuer hüllte nun auch das Vor- und Achterkastell ein. Kerle rannten über die Decks, einige hatten Feuer gefangen und wirkten wie wandelnde Fackeln. Schreiend sprangen sie in die See. Die Haie waren wieder da und zerrten sie in die Tiefe. Gellende Schreie ertönten und verstummten wieder. Die «Isabella», die «Caribian Queen» und die «Le Griffon» zogen sich vom Gefechtsfeld zurück. Es war vorauszusehen, was bald passieren würde – wenn das Feuer die Pulverkammern erreichte. Es dauerte auch nicht lange, da flog die «Scorpion» mit einem schmetternden Krach auseinander. Ein Feuerball stand über der See…
Philip Hasard Killigrww erreichte als erster schwimmend das Flußufer und stürmte den Kameltreibern entgegen, die offenbar wild entschlossen waren, die «Santa Barbara» zu entern. Er war unbewaffnet, hob jedoch blitzschnell einen armdicken Ast von der Länge einer Spillspake auf und setzte mit dem Prügel die beiden ersten Kerle ausser Gefecht. Dem einen drosch er den Ast zwischen die Rippen, so daß der Kerl jaulend zur Seite flog und halb im Wasser landete. Dem anderen schmetterte Hasard den Prügel an den Schädel – ein guter harter Schlag, obwohl er vor der heransausenden Säbelklinge hatte wegtauchen müssen. Sie zischte knapp über seinen Kopf weg. Ihr Pfeifen klang nicht sehr erbaulich…
Luis Carrero riß die eine der beiden erbeuteten Pistolen heraus. Er drehte sich halb um, spannte den Hahn, legte auf die Hündin an und drückte mit wutverzerrtem Gesicht ab. Die Wölfin schien den Schuß geahnt zu haben. Sie schnellte zur Seite. Carrero feuerte auf den huschenden Schatten, der aber plötzlich hinter einem Uferfelsen verschwand. Es schien sie nie gegeben zu haben, diese teuflische Wolfshündin. Es wirkte, als habe sie sich in Luft aufgelöst wie ein Spuk. Der Schuß donnerte in die Nacht – und ging fehl. Irgendwo prallte die Kugel von den Felsen ab und jaulte als Querschläger davon. Carrero stöhnte auf. Dann schleuderte er wie von Sinnen die Pistole von sich und hetzte weiter.....
Ein dunkler Gegenstand flog hinter den Quadern hoch, begleitet von einem glimmenden roten Pünktchen. Die Männer der «Isabella» wußten nur zu gut, was das zu bedeuten hatte, denn es war eine von Ferris Tuckers Höllenflaschen, die der Gegner jetzt benutzte. Der Seewolf und Big Old Shane warfen sich seitlich in das struppige Buschwerk, Hasard nach links, der graubärtige Riese nach rechts. Die Flasche kullerte ein Stück den Hang hinunter, dann flog sie mit einem ohrenbetäubenden Knall auseinander. Ein Feuerball stand für einen Augenblick wie eine Faust in der Nacht…
Hasard stand aufrecht achtern im Beiboot, hob die Muskete, zielte und zog durch. Bei dem Tanz, den das Boot in der aufgewühlten See aufführte, war es beinahe ein Wunder, daß er überhaupt traf. Der Schuß krachte, und im nächsten Moment zuckte die große Echse heftig im Wasser zusammen. Ihr Maul klaffte auf und schnappte wieder zu, dann sackte sie ein Stück zurück. Aber da waren noch mehr von den Biestern, und alle waren sie scharf darauf, sich den Mann zu schnappen, der mühsam einen Baumstumpf umklammerte – trotz der gefesselten Hände…
Mit untrüglicher Sicherheit prägte sich Dan O`Flynn die unterschiedlichen Laute des Urwalds ein. Die langen Jahre auf See hatten seine Sinne geschärft. Jedes neue, fremde Geräusch würde ihm sofort auffallen. Davon war er jedenfalls überzeugt. Aber der Schatten, der hinter ihm aus dem Mangrovendickicht auftauchte, bewegte sich so lautlos, wie ein Schatten nur sein kann. Als Dan O`Flynn die fremdartige menschliche Ausdünstung wahrnahm, war es schon zu spät. Er wollte hochschnellen, herumwirbeln – doch es blieb beim Ansatz der Bewegung. Ein Hieb explodierte auf seinem Schädel…
Das Flaggschiff der Russen, eine Galeasse, bewegte sich unter schnellem Ruderschlag und mit gesetzten Segeln auf die Jolle der Seewölfe zu. Wer hier den kürzeren ziehen würde, war überhaupt keine Frage, auch nicht für Edwin Carberry, der das Kommando über die Jolle hatte. Reißaus zu nehmen, war nicht nach dem Geschmack der Seewölfe, aber es blieb ihnen wohl nichts anderes übrig. Ob sie ihre Haut würden retten können, war sowieso fraglich. Das hing davon ab, wie schnell sie es schafften, sich in flacheres Gewässer zu verholen – und ob die Russen gute Kanoniere und Schützen an Bord hatten. Die erste Kugel aus dem Buggeschütz lag jedenfalls zu kurz und zauberte nur eine schöne Fontäne aus dem Wasser. Die nächste war wiederum ein Weitschuß, und die Russen stimmten ein Wutgeheul an. Aber das war erst der Anfang der Jagd…