Mehr als zwei Dutzend Schiffe lagen auf der Reede vor Trujillo an der peruanischen Küste – Frachtgaleonen, Karavellen und Kriegsschiffe sowie ein paar flinke und gut armierte Zweimastschaluppen. Es war ein Geleitzug, der nach Panama segeln sollte, die Laderäume voll mit Schätzen aus der alten Chimu-Stadt Chan-Chan. Und als die Kriegskaravelle «Estrella de Malaga», besetzt mit den Männern Phillip Hasard Killigrews, heransegelte, hatte der Geleitzugkommandant nichts Eiligeres zu tun, als die Karavelle zu beschlagnahmen – denn er brauchte gute Männer und ein gutes Schiff, um den Geleitzug gegen «Piraten» abzuschirmen. Darum verwandelten sich die Seewölfe in «tapfere Spanier». Daß er Wölfe im Konvoi hatte, bemerkte der Generalkapitän viel zu spät….
Die Galeone trieb entmastet und steuerlos in der See. Kein Mensch zeigte sich an Deck, das sauber aufgeräumt war. Die dunklen Flecken auf den Decksplanken waren allerdings nicht zu übersehen. Hasard blieb mißtrauisch und befahl Big Old Shane, einen Brandpfeil auf das Schott zum Achterdeck zu schießen. Der Schuß saß, und als das Schott Feuer fing, wurde es auf der Galeone lebendig. Das Schott flog auf, auch das im Vordeck und ebenso die Oberdecksluken. Plötzlich wimmelte es von Zopfmännern auf der Galeone, und sie waren bis an die Zähne bewaffnet, was bewies, daß es sich nicht um friedliche Teetrinker handelte. Ihr Gebrüll hatte auch nichts mit Freude zu tun. «Feuer frei!», befahl Hasard…
Der Inselhäuptling Korsumäki hatte wieder zugeschlagen – aus Haß gegen die Fremden. Ein furchtbares Schauspiel lief vor den Augen der Seewölfe ab, das Inferno war über Abo hereingebrochen und ließ sich nicht mehr zurückdrängen, denn überall loderten die Feuer. Pausenlos waren an Land die Löschtrupps unterwegs, doch ihr Kampf gegen die Brände war hoffnungslos. Zu mächtig war die Gewalt der Flammen, die immer wieder vom Wind angefacht und hochgejagt wurden. Auch auf den Hafen hatten sie übergegriffen. Gerade noch rechtzeitig hatten die Seewölfe die «Isabella» von der Pier weg auf die Reede schleppen können. Hasard war in den Hauptmars aufgeentert. Was er sah, war erschütternd – ganz Abo schien verloren zu sein…
Die spanische Kriegskaravelle «Pax et Justitia» eröffnete das Gefecht gegen die «Isabella», und der Donner rollte über die See nördlich der kubanischen Küste. Die Seewölfe blieben die Antwort nicht schuldig, und ihre erste Breitseite hagelte auf die Karavelle zu. Acht Kugeln lagen im Ziel. Das Geschrei der Spanier verkündete den Arwenacks, daß die Wuhling bereits einsetzte – und da knackte auch schon der Besanmast der «Pax et Justitia» weg. Er flog außenbords und fegte dabei einen Mann des Achterdecks ins Wasser. Hasard vermochte nicht zu erkennen, ob dies der Mann gewesen war, der von der spanischen Krone den Auftrag hatte, ihn zur Strecke zu bringen: Don Juan de Alcazar…
Wieder hörte Hasard auf dem Achterdeck das leise Scharren. «Achtung!» brüllte er laut. Dann war auch schon die Hölle los. Krachend flogen zwei Schotts auf. Sie wurden herausgesprengt, so donnerte es. Augenblicklich ergoß sich eine wilde Meute über die Kuhl. Laut schreiend stürmten die Kerle heran und schwangen ihre Krummsäbel. Das scheinbar verlassene Schiff erwachte zum Leben, und abenteuerliche Gestalten rasten über das Deck. Hasard feuerte, ohne zu zögern, vom Oberdeck aus und traf einen säbelschwingenden Kerl, der laut aufschrie, die Arme hochriß und mit dem Gesicht voran auf die Planken kippte…
Kein Zweifel, in der Vorpiek der auf die Riffs gebrummten Galeone befanden sich noch Menschen. Aber die Piek war mit einem Eichenschott verrammelt, zwei mächtige Riegel mit zwei schweren Trumms von Eisenschlössern versperrten den Zugang. Ferris Tucker hielt sich nicht lange damit auf. Er hatte seine Zimmermannsaxt dabei und schlug mit der stumpfen Seite zu, daß die Funken stoben. Mit ein paar Schlägen zersprengte er die bei den Schlösser. Der Seewolf schob die Riegel zurück und riß das Schott mit einem Ruck auf. Ein infernalischer Geruch drang ihnen in die Nase – und dann sahen sie die Gestalten, hohlwangig, bärtig, nur noch dreckige Lumpen am Körper, und sie waren in Ketten gelegt…
Ein glühendheißer Windstoß raste heran. Er brachte eine Wolke aus Sand und Staub mit sich und ließ die «Isabella» erbeben. Weit hinten, wo langgestreckte Dünen, Hügel und Wellentäler zu sehen waren, erhoben sich Sandmassen, die erst um sich selbst wirbelten, dann in die Höhe gerissen wurden und sich wie gigantische Laken in der Luft verteilten. Es wurde merklich dunkler. In der Luft war ein Klagen und Heulen, ein Winseln und Klingen. Überall wirbelten jetzt große Tücher auf, trichterförmige Walzen wurden aus dem Boden gerissen. Es begann zu orgeln wie bei einem beginnenden Orkan. Eine lange Bahn aus dunklen Schatten trieb auf die Galeone zu…
Als Juan de Faleiro drohte, den «Bengel» zu erschießen, wenn Hasard und seine Männer nicht kapitulierten, handelte Philip junior. Er riß sich von de Faleiro los und trat gleichzeitig mit dem rechten Fuß nach hinten aus, und zwar mit voller Wucht. Ein Esel oder Maultier hätte das nicht besser gekonnt. De Faleiro hörte die Englein im Himmel singen. Philip hechtete auf die Brandung zu, landete im Sand und überrollte sich wie eine Kugel. De Faleiro brüllte vor Wut und Schmerz, denn Philip hatte sein Schienbein erwischt, dann hob er die Pistole, um den flüchtenden Jungen zu erschießen…
Hasard legte die Tontopf-Granate in die Pfanne des hölzernen Schwenkarms, zündete die Lunte an und wartete, bis sie um etwa einen Zoll heruntergebrannt war. Er löste den Arretierhebel, und der Arm schnellte hoch. Der Topf segelte funkensprühend durch die Nacht, beschieb eine bogenförmige Flugbahn und landete explodierend auf dem Strand der Pirateninsel, nur ein paar Schritte von der Werft entfernt. Der Feuerblitz mußte bis zum Lager der Piraten zu sehen sein. Hasard nahm das nächste Geschoß, zielte sorgfältiger, löste wieder den Sperrhebel und verfolgte den Flug. Diesmal traf er die Werft – donnernd zerbarst der Topf, die Trümmer des im Bau befindlichen Schiffes wirbelten durch die Luft. Hasard lachte wild und setzte sein Feuerwerk fort…
Hasard wollte einen Befehl geben, doch im selben Augenblick schien ein ohrenbetäubendes Krachen den ganzen Berg zu erschüttern. Eine Stichflamme zuckte hoch. Die schwarze Pagode erbebte, als werde sie von einer unsichtbaren Gigantenfaust geschüttelt. Sekunden später war dort, wo eben noch das unheimliche Gebäude gestanden hatte, nur noch eine Wolke von Qualm, wirbelndem Staub und rotglühendem Wabern zu sehen. Geschrei wehte zu den Seewölfen hinüber. Trümmer flogen nach allen Seiten davon, Asche fiel vom Himmel – die Hölle war los…