Della Rocca, der Korse, nickte zufrieden. Es hatte lles so geklappt, wie er das geplant hatte. Die Feuer brannten noch mäßig. Es war still geworden. Jetzt, eine Stunde vor Mitternacht, hatte der Alkohol die gewünschte Wirkung gezeigt. Sämtliche Kerle und die Weiber lagen volltrunken im Tiefschlaf, einige in den Hütten, die anderen hier im Sand. Die meisten schnarchten. Sicherheitshalber verpaßte der Korse einigen der Kerle kräftige Fußtritte, aber sie schnarchten weiter. Della Rocca grinste böse: sie würden sich wundern, wenn sie wieder nüchtern waren und begriffen, daß ihr Kapitän von der Fahne gegangen war…
Philip Hasard Killigrew, vom Landgang zurück, stand auf der Towerpier, hob die lodernde Fackel und drehte sich ratlos um. Es war um Mitternacht. «Nicht einmal eine Nachricht ist zu finden. Kein Zeichen», sagte er vorwurfsvoll und ahnte, daß etwas vorgefallen sein mußte, das vorläufig ohne Erklärung blieb. Will Thorne kletterte die nasse Leiter zur Pier hinauf und sagte verbissen: «Die Leinen sind gekappt. Ich bin sicher, daß sie mit einer Axt oder einem scharfen Schiffshauer zerschnitten wurden.» Zufällig waren der Seewolf und der alte Segelmacher die ersten gewesen, die um Mitternacht durch das Labyrinth der nebelschwarzen Londoner Gassen zur Towerpier gefunden hatten. Sie schauten einander ratlos an, denn ihre Schebecke war spurlos verschwunden – bis auf die gekappten Festmacher. In der Nähe lagen nur leere Frachtboote. Das war alles…
Zuerst fanden die Seewölfe nur die erschütternde Botschaft in der Flasche, von der Old O´Flynn meinte, daß sie Unheil brächte oder vom Teufel persönlich stamme, aber dann entdeckten sie das Wrack der «Ulysses», von der in der Botschaft die Rede war, und damit erhielt die mysteriöse Geschichte plötzlich einen sehr realen Sinn. Es konnte sogar sein, daß die Männer der «Ulysses» noch lebten, und darum entschloß sich Philip Hasard Killigrew, eine Hilfsaktion zu starten…
Die «Isabella» und die «Empress of Sea» segelten Kurs Süden, Richtung Grand Cayman. Knapp hundertfünfzig Meilen lagen vor ihnen, etwas mehr als ein Etmal. Zunächst verlief die Fahrt zügig und ohne Zwischenfälle. Den ganzen Tag über wurde kein anderes Schiff an der Kimm gesichtet. Die «Isabella» und die «Empress» waren, so schien es, weit und breit die einzigen Segler. Nichts deutete auf unangenehme Begegnungen hin. Das mochte daran liegen, daß sie abseits der Route segelten, die üblicherweise von den Dons benutzt wurde. Aber in der Nacht vom 23. auf den 24. Juli war gewissermaßen «Ende der Fahnenstange». Das war etwa die Hälfte der Distanz zu ihrem Ziel auf Grand Cayman. Und es war Old O'Flynn, der auf der «Empress» Alarm schlug…
Auf der «Grinthian», der Piratengaleone Mardengos, blitzten sechs Mündungsfeuer auf. Nur einen Atemzug später antworteten krachend die ersten vier Geschütze der «Isabella». Grauschwarzer Pulverrauch wölkte hoch und verschleierte die Sicht. Im Nachhall des Geschützdonners war zunächst nur das Rumpeln der Blockräderlafetten zu hören, bis diese von den Brooktauen gehalten wurden. Dann folgte der Heulton der heranorgelnden Geschosse der «Grinthian». Vorsorglich gingen die Arwenacks in Deckung. Auf dem Quarterdeck gellte Al Conroys erneuter Befehl, und die drei 25-Pfünder wurden gezündet. Ein krachender Schlag traf die «Isabella». Hohe Wasserfontänen, von den Eisenkugeln der «Grinthian» aufgerissen stiegen knapp vor der Bordwand auf. Aber einen Treffer mußte die «Isabella» erhalten haben. Ferris Tucker huschte geduckt zur Back…
"Erwarten Sie nicht, daß ich Ihnen einen frohen guten Morgen wünsche, Mylord" sagte Hasard zu dem Grafen von Essex. «Er wird nämlich nicht froh verlaufen, gut schon gar nicht!» Der Graf wollte von seinem Stuhl hochfahren, doch das schaffte er nicht mehr. Der Seewolf packte den Tisch mit beiden Händen und kippte ihn um. Becher, Krüge, heiße Pfannen und Töpfe mit dampfenen Speisen stürzten zu Boden und zerschellten. Ihr Inhalt verfärbte so manches vornehm geschneiderte Beinkleid, und auch der Graf fand unversehens eine gebratene Gänsekeule auf seinem Schoß. Die heiße Soße hinterließ aus seinen weißen Strümpfen häßliche braune Spuren. Dies war jedoch erst der Auftakt, denn schließlich wollten alle Arwenacks das Kribbeln in ihren Fäusten loswerden, und sie waren entschlossen, Huntley's Kneipe erst dann zu verlassen, wenn sie das Kribbeln nicht mehr verspürten…
Old O´Flynn erwachte aus seiner Bewußtlosigkeit und hatte noch nicht den richtigen Durchblick. Als jedoch seine Erinnerung wieder einsetzte, drehte er erneut durch. Mit einem wilden Schrei sprang er auf die Beine und knallte prompt gegen den Stamm der Palme. Die war vom Sturm bereits geschüttelt worden. Jetzt sorgte die Erschütterung dafür, daß auch ihre beiden letzten Nüsse nach unten fielen. Eine schlug neben Nils Larsen in den Sand. Die andere knallte mit einem dumpfen Ton genau auf Old Donegals Schädel. Er knickte in den Knien ein, sein Blick wurde glasig, und er wackelte ein bißchen mit dem Kopf. Dann kippte er in den Sand und nippelte ein zweites Mal ab…
Aus dem Schatten einer Tempelruine blitzte es plötzlich auf, dann erfüllte ein ungeheueres Fauchen und Krachen die Luft. Das Aufblitzen wiederholte sich an verschiedenen Stellen der Insel Philae, und einen Atemzug später kriegten die Seewölfe zu verspüren, was das überraschende Inferno zu bedeuten hatte. Eine neun Pfund schwere Kanonenkugel donnerte dem Kutscher durch die Kombüse. In das Bersten und Splittern des Holzes mischte sich das laute Scheppern von Mucks und Tellern, die aus einem Schapp gefegt wurden. Ein zweiter Neunpfünder krachte in das Backbordschanzkleid und ließ einen Trümmerregen über der Kuhl niedergehen. Die dritte Kugel raste in die Kuhlgräting…
Sie verhielten sich ganz friedlich, die Arwenacks, als sie mit der ihrer in Varna stibitzten Dubas auf die Fischerboote zusegelten, um Erkundigungen einzuziehen. Doch die Fischer reagierten merkwürdig, als sie die Dubas sichteten. Einige setzten Segel und flüchteten, andere holten schleunigst ihre Netze ein. In einem Boot bückte sich ein Kerl, förderte einen Schießprügel zutage, eine Donnerbüchse, die er auf eine Gabel auflegte. «Der wird doch wohl nicht», sagte der Profos Carberry erzürnt. Und da krachte auch schon der Schuß. Die Kugel zischte über den Schädel von Carberry und hätte ihm einen feinen Scheitel gezogen, wenn er nicht etwas in die Knie gegangen wäre. «Du Affenarsch» röhrte der Profos zornerfüllt…
Die Welt schien unterzugehen. Anfangs war es wie ein Grollen, das tief aus dem felsigen Untergrund heraufklang wie aus einem Höllenschlund. Der Boden wurde erschüttert und brachte die Gebäude und Mauern der Festungsanlage zum Wanken. Eine erste grelle Explosionsstichflamme schoß durch die Dachplattform des Pulverturms hoch in den Himmel. Dann flog das Dach auseinander, und im urgewaltigen Brüllen der Detonation wirbelten Quadersteine hoch, als handele es sich um Würfelchen aus leichtem Holz. Die Explosionen setzten sich fort. Vor den Augen AL Conroys, Batutis und von Roger Lutz löste sich der Pulverturm buchstäblich in seine Bestandteile auf…