Testament eines Freimaurers. Dieter Hönig

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Название Testament eines Freimaurers
Автор произведения Dieter Hönig
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783903229143



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seiner Kehle nicht zu entlocken. Auch das flehentliche Bitten des Maestros zeigte wenig Wirkung. Der Tenor blieb stimmlos, die Stimmung im Festspielhaus war gleich null. Auf das allerletzte verzweifelte Ersuchen des Maestros: »Bitte, wenigstens einen lauten Ton«, entgegnete zornig und entnervt der Tenor: »Maestro, es gibt mindestens vierzig Dirigenten auf der Welt, die den „Lohengrin“ dirigieren können, aber gerade einmal vier Sänger, die ihn singen können!« Der Maestro schlagfertig und ungerührt: »Ich bin einer der vierzig!«

      Meinen Freund amüsierten solche Anekdoten aus meinem Sängerleben, es schien, als könnte er sich daran nicht satt hören. Nun, ich sollte ihn bei Gelegenheit mit weiteren Anekdoten beglücken.

      Ich empfand ein neues Gefühl der Verbundenheit ihm gegenüber. Etwas, das mir in dieser Form bisher fremd war. Wir trafen uns, wie in Stammbeisln üblich, zumeist zufällig, aber doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Mit der Zeit und mit der Menge der konsumierten Gläser Wein bekamen unsere Gespräche oftmals Tiefgang, dabei kam mir jegliches Zeitgefühl abhanden. Wir sprachen über allgemein menschliche Themen und gerieten oft in geradezu philosophische Höhen. Auch wenn man es nur ungern eingesteht, bringt der Wein bei manchen erstaunliche Dinge zutage und kann ihren Geist geradezu beflügeln. Zumindest bei uns beiden war das anfangs der Fall.

      Diese ungezwungenen, nicht krampfhaft herbeigeführten Gespräche erreichten vielleicht gerade durch ihre Beliebigkeit einen besonderen Tiefgang. Freilich waren die Treffen mit meinem Freund, die sich oft bis in die Nacht hinein zogen, meiner Ehe nicht gerade förderlich, da das Essen am häuslichen Herd verbrutzelte. Ich zog in solchen Stunden den geistigen Austausch jedoch entschieden dem leiblichen Wohl vor, und nichts in aller Welt sollte mich davon abbringen, auch nicht meine Ehefrau. Eine Einstellung, die mir später allerdings die Frau abhanden kommen ließ.

      Männergespräche in dieser Ausgedehntheit und Intensität sind ungewöhnlich und lassen zumindest auf einen ausgeprägten Hang zum intensiven Dialog schließen. Der Leser wird, wie damals auch ich, bereits erraten haben, dass es sich bei meinem Freund um einen Freimaurer handelt. Mein lustiger, trinkfreudiger neuer Freund war in der Tat ein Eingeweihter. Die Neigung zu fröhlicher Geselligkeit, verbunden mit einer etwas lockeren Auslegung der ehelichen Verpflichtungen, soll jedoch nicht zur irrigen Ansicht führen, dass Freimaurerei und Familienleben nicht miteinander vereinbar sind. Viele Freimaurer sind vorbildliche Familienmenschen. Auch wollen diese Treffen mit meinem Freund nichts über die Trinkfreudigkeit von Freimaurern im Allgemeinen sagen.

      Im Laufe von Wochen und Monaten intensivierte sich unsere Beziehung in geistiger Hinsicht auf erstaunliche Weise. Nach etwa einem halben Jahr intensiven geistigen Austauschs kam zu schon vorgerückter Stunde fast beiläufig die Frage meines Freundes: »Hast du dir schon einmal Gedanken über mein Weltbild gemacht?« »Könnte es etwa sein, dass du Freimaurer bist«, heuchelte ich gespieltes Unwissen. »Und – willst du Freimaurer werden? Willst du zu uns kommen?«

      Selbstverständlich wollte ich. Hatte ich denn nicht schon lange auf die Frage gewartet? Hatte ich diese im Herzen nicht schon längst ungeduldig herbeigesehnt? Ich ließ es meinen Freund jedoch nicht merken und tat erstaunt. Fast beiläufig sagte ich, dass ich zuvor noch Genaueres über diesen geheimnisumwitterten Bund wissen müsse, ehe ich mich endgültig entscheiden könne: »Was tun Freimaurer? Was sind ihre Ziele? Was ist ihre Philosophie?« Mein Freund wies auf das Bild eines namhaften, uns beiden bekannten Künstlers an der Wand: »Nimm das Bild unseres Freundes! Wie wäre es, wenn du es das erste Mal in deinem Leben zu Gesicht bekämest und ihn, den Maler, fragen würdest, was er sich dabei gedacht hat? Was müsste er dir darauf wohl antworten?«

      Wir streiften also bereits das berühmte maurerische Geheimnis im Gespräch: mit Worten nicht mitteilbar, aber erlebbar. Es scheint eine Spezialität von Freimaurern zu sein, sich gerne in Allegorien und Bildern auszudrücken. Auch haben viele von ihnen gemeinsam, sich gerne fragen zu lassen, die Antwort jedoch stets schuldig zu bleiben. Eine beinahe sadistische Neigung, Verwirrung beim Fragenden zu stiften, was mir in der folgenden Zeit noch unzählige Male passieren sollte. Die Zeit verging, die Verwirrung, aber auch meine Erwartungen wuchsen, mein Freund wurde schließlich zu meinem Bürgen, und ich vom bloß Interessierten zum Suchenden.

      Es war Aufgabe meines Bürgen, mich in intensiven Gesprächen behutsam an Sinn und Zweck der Maurerei heranzuführen, mir nur so viel mitzuteilen, wie er aus seiner Sicht verantworten und mir, dem weitgehend Ahnungslosen, zumuten konnte. Vorbereitungsgespräche sind noch lange keine Einweihung. Hier die Grenzen genau abzustecken, bedarf einiger Erfahrung und verlangt ein großes Maß an Einfühlungsvermögen. Ich war zur Überzeugung gelangt, mein Bürge mache sich diese Aufgabe nicht leicht. Würde er bei seiner Aufklärung zu weit gehen, mich etwas wissen lassen, was mein Auffassungsvermögen übersteigt, so würde er damit nur heillose Verwirrung stiften. Würde er mir zu wenig zumuten, mich unterfordern, wäre der Zweck dieser Gespräche gleich null. Was wusste ich denn schon vom Wesen der Maurerei, außer einigen angelesenen Allgemeinplätzen? Und ich wollte hier Abhilfe schaffen: Durch das Lesen von noch mehr Literatur glaubte ich naiverweise das Manko ausgleichen zu können, nicht ahnend, dass das zu noch mehr Verwirrung führen musste, bei mir selbst, aber auch bei meinem Bürgen. Diesem konnte nicht verborgen bleiben, dass bei unseren Gesprächen von mir nun immer öfter angelesenes Wissen aus der Freimaurerliteratur eingebracht wurde. Beruhten unsere Diskussionen in der Vergangenheit auf freien, spontanen Gedanken, so strotzten diese nun meinerseits geradezu von angelesenen Phrasen. Ein Umstand, der nicht zur Harmonie beitrug und meinen Bürgen, der auch kein Freund allzu vielen Lesens war, sichtlich irritierte. Seine Lieblingslektüre waren laut eigener Aussage Kochbücher. Es musste für ihn langsam, aber sicher der Eindruck entstehen: Hier hört mir jemand nicht zu, da er glaubt, bereits alles selbst erkannt zu haben.

      Ein Eindruck, der sich im Laufe der Jahre verstärken und in der Folge zu ernsten Spannungen führen sollte, ja unsere Freundschaft manchmal auf eine harte Probe stellte. Mein Freund, der viel beschäftigte, gestresste Architekt war im Grunde seines Wesens nicht mit Engelsgeduld gesegnet. Sein Temperament ging des Öfteren gar heftigst mit ihm durch.

      Nach und nach lernte ich immer mehr Freimaurer kennen, auch wenn sie sich mir gegenüber nicht als solche zu erkennen gaben. Meine Beobachtung sagte mir jedoch, dass dunkel gekleidete Männer, die einmal wöchentlich zur selben Uhrzeit ins Beisl strömen, aller Wahrscheinlichkeit nach ein und demselben Club angehören. Offensichtlich kamen sie also von der „Arbeit“, wie sie es selbst ausdrückten. Eine Bezeichnung, die mir zunächst etwas übertrieben erschien. Es ergaben sich durchwegs anregende Gespräche, in denen das Wort Freimaurerei jedoch mit keiner Silbe erwähnt wurde. Ungewöhnlich daran war stets die schon beschriebene Art von Harmonie, jenes offene aufeinander zugehen, das ich in dieser Form noch nicht erlebt hatte. Sollte diese Herzlichkeit im Umgang miteinander das Merkmal der maurerischen Gesinnung, der Brüderlichkeit sein, wäre es ein Grund mehr, so einer Vereinigung beizutreten: Nette Menschen waren sie alle!

      „Alte“ Bekannte erschienen mir plötzlich in einem anderen Licht, nämlich im Lichte der Freimaurerei. Wie etwa jener Notar – von ihm hatte ich all die Jahre unserer Bekanntschaft nicht die geringste Ahnung, dass er Freimaurer sein könnte. Uns verband die Begeisterung für die Oper. Sein ganz spezielles Interesse galt Richard Wagner. Einer jener seltenen Wagnerianer, dessen Opernkenntnisse mich zuweilen geradezu verblüfften. In der Blütezeit unseres Stammbeisls konnte man hier nämlich zu unserer beiden Freude vor allem Opernmusik hören.

      In ihm hatte ich außerdem einen ausnehmend amüsanten Gesprächspartner zur Seite. Er war mit ein Grund, dass es mich immer wieder in das Beisl zog. Hatte er doch, was bei Juristen gewiss keine Selbstverständlichkeit ist, eine komödiantische Ader. Allein seine Lokalauftritte, und es waren Auftritte, bleiben mir unvergesslich: Mit großer, theatralischer Geste wurde jäh die Lokaltür aufgerissen und mein Freund erschien, Rock oder Mantel etwas hochgezogen, so als wolle er sein Antlitz verdecken, mit den bedeutungsvoll gesprochenen Worten: »Ich begrüße die Promillenz!«

      Er hatte keinen unbeträchtlichen Anteil daran, dass ich bei den Freimaurern landete – in stiller, brüderlicher Übereinstimmung mit meinem Bürgen, der ebenfalls über eine theatralische Neigung verfügte. Betrat mein Bürge das Lokal in der Vorfreude vertraute Gesichter zu sehen, so rief er stets die Worte: »Ihr versteht zu leben!«

      Jener Notar