Woher wir kommen. Wohin wir gehen.. Johannes Huber

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Название Woher wir kommen. Wohin wir gehen.
Автор произведения Johannes Huber
Жанр Медицина
Серия
Издательство Медицина
Год выпуска 0
isbn 9783990013076



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Bibelkritik oder Gotteslästerung trugen ihm neun Jahre Hausarrest (auf seinem Landsitz in Arcetri) ein, sondern die Stimmungsmache aus Kollegenkreisen und sein Ungehorsam gegenüber einem Erlass von Papst Urban VII.

      Eine andere Größe der Forschung, Gregor Mendel, kannte und lebte den Widerspruch von Wissenschaft und Religion ebenso wenig. Mendel war mährisch-österreichischer Augustiner-Chorherr und Abt in Brünn. Er hat die Vererbungslehre begründet, den Vorläufer der Genetik.

      Selbst der Brite Charles Darwin mag bei genauem Hinsehen nicht so recht ins Schema passen. Darwin, ein Pastorensohn, der neben Medizin Theologie studierte, war sein Leben lang ein Suchender. Auch nach Verfassen seines monumentalen Werkes Über die Entstehung der Arten. Mit der Absolutheit seiner Theorie hat er mehr gehadert als seine Jünger, die Neo-Darwinisten. Heute, 160 Jahre danach, wissen wir, dass Darwins intuitive, innerste Unruhe gute Gründe hatte. Die Evolution ist nicht Abbild eines einzigen, grenzenlosen Zufalls. Sie verfolgt ein konkretes Ziel. Weil sie mitnichten bloß dient, dem Recht des Stärkeren zum Durchbruch zu verhelfen. Auch wenn es für uns oft danach aussehen mag. Besonders im Alltag. Tatsache ist: Das Bild des Survival of the Fittest bröckelt.

      Vor allem die Mutation per Random. Denn man kann das Leben nicht allein durchs Nadelöhr der Zufälligkeiten erklären. In der Fachwelt ist eine hitzige Diskussion darüber entbrannt. Dabei dachte man, dieses Thema wäre lückenlos beforscht.

      Wären da bloß nicht diese neuen Erkenntnisse der Epigenetik. Die Lehre, die sich mit dem Einfluss der Umwelt auf die Gene beschäftigt. Dieses Wissen ist bahnbrechend und doch erst ein Anfang.

      Schriftverkehr mit

      Sir Karl Popper

      Vor mehr als 25 Jahren wurde mir die Ehre zuteil, mich darüber in einem Briefwechsel mit einem der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts auszutauschen: Sir Karl Popper, österreichisch-britischer Philosoph und Begründer des kritischen Rationalismus. Einer Denkschule, die für die Lebenseinstellung steht, die – um es in Poppers Worten zu sagen – »zugibt, dass ich mich irren kann, dass du recht haben kannst und dass wir zusammen der Wahrheit vielleicht auf die Spur kommen werden.«

      Den Begriff Epigenetik gab es damals, 1992, schon. In Wahrheit war er ein Schreckgespenst der Fachwelt. Ich schilderte Sir Karl Popper meine Thesen. Was Evolution und Zufall betrifft. Und was die mehrheitlichen Gen-Abschnitte unserer DNA anbelangt, die nach vorherrschender Meinung nutzlose Teile des Erbgutes darstellten. Junk-DNA also. Ein totes Anhängsel, das keiner braucht und sich trotzdem im Körper herumtreibt.

      Könnte es womöglich eine Art Reserve sein? Aus der sich das Genom, vergleichbar der offenen Gesellschaft, weiterentwickeln und stets anpassen kann? Ein Back-up, das die Natur sich in der Hinterhand hält, um gerüstet zu sein? Für den Fall der Fälle. Eine Reserve für jene Situation, wenn das Abtasten der Umwelt durch das Genom ergibt, dass genau jetzt der richtige Zeitpunkt wäre, etwas zu ändern. Eine neue Richtung einzuschlagen. Weil die Umstände es verlangen, die es dem Genom über das Epigenom melden. Damit und mit weiteren Thesen konfrontierte ich Sir Karl Popper. Er teilte meine Ansichten nicht nur, er bestärkte mich darin, diesem Pfad unbeirrt zu folgen.

      Was die Epigenetik betrifft, hat dieser bloße Anfangsverdacht heute, mehr als ein Vierteljahrhundert später, längst seinen Siegeszug angetreten. Schritt für Schritt bestätigt er sich. Und Schritt für Schritt kommt er auch in den Köpfen der Wissenschaft an. Mittlerweile besteht kein Zweifel mehr am enormen Einfluss, den anderes Leben und Wirken auf unser Erbgut ausübt. Die Umwelt. Der eigene Lebenswandel. Der Lebenswandel unserer Vorfahren. Alles hängt zusammen, fantastisch holistisch.

      Das Verhältnis zwischen Forschung und Glaube kann sich auch wieder bessern. Das haben zwei große Namen vorgezeigt. Albert Einstein und Max Planck.

      Planck, einer der Väter der Quantenphysik. Auf ihn geht nicht nur eine Reihe von Begriffen zurück, denen wir im ersten Teil bei unserer Reise zum Urknall begegnen werden, weil sie alle – räumlich, zeitlich, die Größe betreffend – sich rund um die Stunde null tummeln. Planck war ein Mann, der über sich einmal im Rahmen einer seiner beliebten Vortragsreihen sagte: »Meine Herren, als Physiker, der sein ganzes Leben der nüchternen Wissenschaft, der Erforschung der Materie widmete, bin ich sicher vom Verdacht frei, für einen Schwarmgeist gehalten zu werden.«

      Und doch fuhr er in seiner Ansprache 1944, ein Vierteljahrhundert nach Erhalt des Nobelpreises, mit diesen Worten fort:

      »Und so sage ich nach meinen Erforschungen des Atoms dieses: Es gibt keine Materie an sich. Alle Materie entsteht und besteht nur durch eine Kraft, welche die Atomteilchen in Schwingung bringt und sie zum winzigsten Sonnensystem des Alls zusammenhält. Da es im ganzen Weltall aber weder eine intelligente Kraft noch eine ewige Kraft gibt – es ist der Menschheit nicht gelungen, das heißersehnte Perpetuum mobile zu erfinden –, so müssen wir hinter dieser Kraft einen bewussten intelligenten Geist annehmen. Dieser Geist ist der Urgrund aller Materie. Nicht die sichtbare, aber vergängliche Materie ist das Reale, Wahre, Wirkliche – denn die Materie bestünde ohne den Geist überhaupt nicht –, sondern der unsichtbare, unsterbliche Geist ist das Wahre. Da es aber Geist an sich ebenfalls nicht geben kann, sondern jeder Geist einem Wesen zugehört, müssen wir zwingend Geistwesen annehmen. Da aber auch Geistwesen nicht aus sich selber sein können, sondern geschaffen werden müssen, so scheue ich mich nicht, diesen geheimnisvollen Schöpfer ebenso zu benennen, wie ihn alle Kulturvölker der Erde früherer Jahrtausende genannt haben: Gott! Damit kommt der Physiker, der sich mit der Materie zu befassen hat, vom Reich des Stoffes in das Reich des Geistes. Und damit ist unsere Aufgabe zu Ende, und wir müssen unser Forschen weitergeben in die Hände der Philosophie.«

      In puncto Denkmauern durchbrechen war auch Albert Einstein jemand, der mit der Abrissbirne durch die Gesellschaft donnerte. Er brachte so manches Wissensgebäude zum Einsturz. Allein dadurch, dass er seine zwei Relativitätstheorien auf die Menschheit losließ und das Denken bis heute prägte. Als Einstein 1955 in Princeton, USA, starb, überschlugen sich die Nachrufe auf ihn in Superlativen – Kopernikus des 20. Jahrhunderts. Bedeutendster schöpferischer Denker der Moderne. Magier der modernen Physik. Immerhin hatte er das Weltkonzept von Raum, Zeit und Masse torpediert.

      Durch sein E = mc2 erkannte er, dass Energie und Masse in einem Zusammenhang stehen. Einstein erklärte das Phänomen, warum elektromagnetische Wellen mitunter als Teilchen der Materie auftreten. Warum radioaktive Substanzen über Jahrmillionen energiegeladene Strahlung aussenden. Warum Sterne wie die Sonne Licht und Wärme über Jahrmilliarden spenden können. Auch beschrieb er exakt das Verhalten Schwarzer Löcher.

      Einstein selbst schrieb seine Leistung zwei Dingen zu: Vorstellungskraft und Fantasie. Sie seien wichtiger als jedes Wissen. Nur durch sie könnten menschliche Wesen »Göttern ähneln und zu den Sternen sprechen«.

      Solche Aussagen zeigten sein Kokettieren mit dem Transzendenten. Ausgerechnet ihm, diesem fleischlichen Sinnbild rationaler Wissenschaft, wollte man das nicht nachsehen. Einer wie er durfte den Blick nicht hinüberwerfen. Und doch: »Gott würfelt nicht.«

      In einem Brief schrieb er: »Was ich in der Natur erblicke, ist eine großartige Struktur, die wir nur bruchstückhaft verstehen können. Diese Struktur muss jedem denkenden Menschen ein Gefühl von Bescheidenheit vermitteln, ein authentisches religiöses Gefühl, das mit Mystizismus nichts zu tun hat.«

      Einsteins Weltenbaumeister war ein universeller kosmischer Geist. Nicht mehr und auch nicht weniger. »Gott kümmert sich nicht um unsere mathematischen Schwierigkeiten. Er integriert empirisch.«

      Ludwig Feuerbach, deutscher Philosoph und Anthropologe, hat die Religion im 19. Jahrhundert vehement kritisiert. Sein Argument: Die Menschen machen sich ihren Gott selber. Als Stütze gegen den unvermeidlichen Tod. Ist das so? Ist Religion nichts anderes als Angst im Sonntagskleid der Hoffnung?

      Die Antwort der religiös Gestimmten besteht darin, dass nicht wir Ihn, sondern Er uns geschaffen hat. Nach Seinem Abbild. Dadurch tragen wir den Gedanken an diesen Abbildgeber in uns. Wir erfinden Gott nicht, wir sind von Ihm geprägt. Der Gedanke an Transzendentes ist keine Lebensversicherung für Illusionen. Denn wir wurden von dem Transzendenten geprägt.

      Das ist die Epigenetik des Glaubens.