Название | Mississippi Melange |
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Автор произведения | Miriam Rademacher |
Жанр | Ужасы и Мистика |
Серия | |
Издательство | Ужасы и Мистика |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783943709810 |
Statt einer Antwort hob ich fragend eine Augenbraue. Machte ich etwa einen fußkranken Eindruck auf sie? Der Jeppesvej verlief parallel zur Gammelgade und begann nur einen Steinwurf von diesem Kiosk entfernt.
Doch bevor ich sie daran erinnern konnte, redete die Frau auch schon weiter. »Ist es sehr schwer für dich? Besonders glücklich wirkst du gerade nicht auf mich. Klaustrophobie muss etwas ganz Schlimmes sein. Aber in so einem Kiosk sind die Verhältnisse eben ein wenig beengt.«
»Klaustrophobie«, wiederholte ich, und ein weiteres Puzzleteil rutschte an seinen Platz. Katalies Bruder stand bei ihren regelmäßigen Besuchen im Kiosk immer draußen auf dem Gehsteig herum, weil er nicht hineingehen konnte. Wegen seiner Angst vor engen Räumen. Was für eine fürsorgliche Schwester ich doch hatte.
Die Kioskbesitzerin wedelte mit den Händen. »Ja, nun aber raus mit dir, bevor dir schlecht wird. Katalie sagt, dass du bei deinen Anfällen immer ganz fürchterlich kotzen musst, und das wollen wir ja beide nicht, oder?«
Noch immer leicht verwirrt, aber auch unsagbar verärgert, trat ich den Rückzug an. Katalies dreiste Lügen hatten dazu geführt, dass ich jetzt nicht schlauer als zuvor draußen vor dem Kiosk stand und mir Gedanken machte, wie ein Niklas Dommer aus dem Jeppesvej jetzt wohl zu seiner Zigarre kam, die ich in einer Papiertüte mit mir herumtrug. Weder waren mir der Mann noch seine genaue Adresse bekannt, und der Jeppesvej war erschreckend lang.
Trotz schlechter Chancen beschloss ich, in den besagten Weg einzubiegen. Vielleicht kam mir ja an Ort und Stelle eine Erleuchtung. Vielleicht würde ich wissen, wohin ich mich zu wenden hatte, wenn ich erst einmal dort war.
Und es gelang mir tatsächlich ohne große Probleme, das richtige Haus zu finden. Bei meinem Fußmarsch durch den Jeppesvej fiel mir plötzlich auf, wie wenige Ladenlokale es in diesem Seitenweg der Hauptstraße gab. Und hatte mich die Kioskbesitzerin nicht aufgefordert, irgendwo hineinzugehen? Wenn es also nicht ausreichte, die Zigarre in einen Briefkasten zu werfen, so war Niklas Dommer sicher der Inhaber eines kleinen Geschäftes, eines, in dem der Bruder einer gewissen Katalie einen klaustrophobischen Anfall bekommen konnte. Fast sofort fiel mir das hell erleuchtete Fenster der Schusterwerkstatt auf. Nie zuvor hatte ich mir darüber Gedanken gemacht, wie der Schuster, der regelmäßig sein Gehwägelchen durch die Gammelgade schob, wohl heißen mochte, auch wo seine Werkstatt war, hatte mich nicht interessiert. Die Information, dass er ein Schuster war, verdankte ich meiner Nachbarin Fridegard, die mir zur Buttercremetorte auch das eine oder andere Mal Tratsch serviert hatte. Der alte Schuster war seit einem Treppensturz in seinem eigenen Haus nicht mehr gut zu Fuß. Trotzdem flüchtete er sich nicht in den Ruhestand und erledigte auch seine Besorgungen selbst, so hatte sie es mir erzählt. Nun, zumindest seine Zigarre ließ er sich bringen, da wusste ich jetzt einmal mehr als sie.
Das Papiertütchen wie eine Visitenkarte in der Hand betrat ich die Schusterwerkstatt. Ein Geruch von Leder und Klebstoff erfüllte den engen Raum. Auch ohne Platzangst wünschte ich mich wieder zurück auf die Straße. Aber dieses Mal würde ich mich nicht ohne Informationen abspeisen lassen. Irgendjemand musste mir doch sagen können, wo ich nach Katalie suchen musste.
»Ach, da kommt ja meine Zigarre, wie schön. Pünktlich zum Feierabend.« Niklas Dommer, das Gesicht so zerfurcht wie das Leder, das er zu bearbeiten pflegte, grinste mir entgegen. Wie er da so hinter der Ladentheke hockte, ein Kreuzworträtsel vor und ein Regal mit getragenen Schuhen hinter sich, bot er ein Bild der Ruhe und Behaglichkeit. Wäre der Gummigeruch nicht gewesen, hätte ich mich bei diesem Mann wohlfühlen können. Jetzt aber stieg tatsächlich eine leichte Übelkeit in mir auf, wie Katalie es vorausgesehen hatte. Hatte sie das? Ich verwarf den Gedanken und reichte die Papiertüte über den Tresen, legte sie direkt in die großen, schwieligen Hände des Mannes.
»Wo ist denn unsere Kleine abgeblieben? Sie wird doch nicht schon aufgebrochen sein?«
»Aufgebrochen?« Ich wurde sofort hellhörig. »Wissen Sie, wohin sie wollte?«
Ein prüfender Blick aus sehr hellen Augen unter buschigen Augenbrauen traf mich. »Wer will das wissen? Bist du etwa dieser Smiljan, dieser Zahnarzt?«
Diese zweiteilige Frage stellte mich bei ihrer Beantwortung vor ein Problem. »Ja und nein«, gab ich gedehnt zurück.
»Jetzt hör mir mal zu, Jungchen: Frauen müssen nicht alle gleich aussehen und sie müssen schon gar nicht gleich lachen, verstanden?«
Ich nickte.
»Unterlasse es, diesem Mädchen Blödsinn einzureden. Ihre Zahnlücke ist wunderhübsch. Manch andere würde morden, um so eine tolle Zahnlücke zu bekommen.«
»Davon bekommt man aber auch keine«, stellte ich sachlich fest und versuchte, mich auf dieses neue Rätsel einzulassen. Zweifellos war ich bei diesem Herrn auf andere Weise eingeführt worden als noch zuvor bei der Kioskbesitzerin. Obwohl ich Katalie niemals zum Schuster hatte gehen sehen, musste sie einige Male bei ihm gewesen sein. Oft genug, um ihm eine haarsträubende Geschichte über mich und etwas über Reisepläne zu erzählen. »Ich schwöre bei meiner Zahnarztehre, dass ich Katalie nicht an ihre Lücke will«, verkündete ich und hob zwei Finger. Die schmaler werdenden Augen des Alten machten mir klar, dass ich mich ungeschickt ausgedrückt hatte. »Ich würde nur gerne wissen, wohin sie wollte. Hat sie von ihren Plänen erzählt?«
Die buschigen Brauen hoben sich und die Andeutung eines Lächelns wurde sichtbar. »Wo sie hinwollte? Na, um die ganze Welt natürlich. Katalie spart für eine Weltreise, deswegen hat sie auch diese Arbeit im Supermarkt angenommen. Dabei ist sie eigentlich viel zu schlau, um ihre Zeit mit dem Einsortieren von Haferflocken zu vertrödeln. Sie hat mir versprochen, dass sie mir eine Havanna aus Havanna mitbringen wird. Und ich glaube ihr. Wenn es eine schafft, dann ist es Katalie. Die Kleine macht alles möglich.« Niklas Dommer zog die einzelne Zigarre aus der Papiertüte und knibbelte an ihrer Plastikverpackung. »Meine kleine Freude«, flüsterte er, und mir war nicht ganz klar, ob er von Katalie oder der Zigarre sprach. »Früher kam Edita selbst vorbei, um sie mir zu bringen. Edita ist lustig, ja, aber ein bisschen dumm, wenn du verstehst, was ich meine.«
Dumm war mir die Kioskbesitzerin keineswegs vorgekommen. Einfach vielleicht, aber nicht dumm. Und einfach war das Wort, das ab heute nicht mehr zu Katalie passte. Nicht für mich. Ich hatte geglaubt, das Mädchen wenigstens ein bisschen zu kennen, und jetzt stellte sich heraus, dass ich sie überhaupt nicht kannte. Weder kannte ich meine fürsorgliche Schwester noch die Weltenbummlerin. Erstaunlich, dass man einem Menschen tagein, tagaus auf den Teller gucken konnte, und gleichzeitig nichts über ihn herausfand.
»Mit Katalie kann ich große Gespräche führen.« Niklas Dommer kam ins Schwärmen, während er an seiner Zigarre schnupperte. »Kleine Gespräche mit Edita, aber große mit Katalie. Das Kind hat eine große Seele.« Er legte die Zigarre auf den Tresen, griff sich ein scharf aussehendes Messer und trennte die Spitze ab. Jetzt öffnete er eine Schublade zu seiner Rechten, suchte in einem Wust aus Kleinteilen und fand ein Feuerzeug. Trotz aller Vorsätze entschied ich, dass jetzt der richtige Zeitpunkt war, um die Schusterwerkstatt zu verlassen. Sollte sich zu dem bereits vorherrschenden Geruch nach Gummi auch noch der von Zigarrenrauch hinzugesellen, würde ich mich wirklich übergeben müssen.
»Eine große Seele vielleicht, aber ob das auf ihren Verstand zutrifft, ist noch nicht geklärt. Ich werde dem und der Zahnlücke auf den Grund gehen. Einstweilen vielen Dank und viel Spaß mit der Zigarre«, sagte ich zum Abschied und schloss die Werkstatttür hinter mir. Noch draußen auf dem Gehweg hörte ich Niklas Dommer eine Antwort brüllen. Ich aber kümmerte mich nicht darum, sondern ging in Richtung Norden davon. Eine Adresse blieb mir noch. Ein Ort, an dem ich mehr über das mir plötzlich so fremde Mädchen Katalie erfahren konnte.
Bei Brugsen, wo man viel längere Öffnungszeiten hatte als in kleineren Läden, herrschte am frühen Abend Hochbetrieb. Noch bevor ich eine Verkäuferin aufspüren konnte, waren mir zwei überforderte Hausfrauen mit ihren Einkaufswagen in die Hacken gefahren. Ich nahm ihre wortreichen Entschuldigungen entgegen