Maler ohne Bilder. Hannes Sonntag

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Название Maler ohne Bilder
Автор произведения Hannes Sonntag
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783943660081



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die Situation und die Suche nach Zwischenlösungen und Schadensbegrenzung. Am Ende gab es nur die eine, totale Variante, – die Auflösung unseres Büros. Denn ohne ihn, K., weiterzumachen wäre aus mehreren Gründen unvorstellbar gewesen. Ich sehe mich noch in kleinen taktischen Schüben seine persönliche Dinge, Papiere vor allem, Skizzen und Pläne zu handlichen, unauffälligen Päckchen raffen, um sie zeitlich versetzt an unterschiedliche Adressen in Spanien zu schicken. Und bis auf die (zu dicke) Büchersendung, die nach Barcelona ging, ist ja tatsächlich alles angekommen, ohne Beschädigung. K.’s zwei große Reisekoffer mit Sachen des Gebrauchs überbrachte ich persönlich seiner Mutter in der Nähe von Cottbus, – und erntete zu meinem ziemlichen Entsetzen von dieser aus alter preußisch-jüdischer Familie stammenden Dame deutliches Unverständnis: so schlimm sei es doch nun auch wieder nicht, man solle es aussitzen, endgültig sei das alles keineswegs. Das hoffte ich auch, äußerte mich jedoch nicht, gab niemandem Recht oder Unrecht und kam mir damals schon vor wie ein Vogel, der immer wieder neu herauszufinden versucht, ob seine angeeckten Flügel im Notfall noch taugen.

      26. Mai

      Ja, es ist ein irritierendes, mattsetzendes Gefühl, von einem Gegenüber, das in meiner eigenen Wahrnehmung alle Merkmale des Gegners besitzt, seinerseits nicht feindlich behandelt zu werden. Buchstäblich: der Löwe greift nicht an.

      Wer war ich für sie, die neuen Herren, als die Lawine losging? Ein Mann in einem durchschnittlichen dunkelgrauen Anzug, eine Person ohne sichtbare Trophäen (das goldene Sportabzeichen reichte als gelegentlicher Blickfang nicht aus), eine Figur ohne benenn- und deutbare Eigenschaften. Keine Verdienste, keine Forderungen. Also ein Stück Masse, ein Etwas von dem, wovon sie jede Menge brauchten. Ein Zellhaufen, den sie noch prägen würden, eine politische Jungfrau. Meine Frage müsste also lauten: Was war ich für sie, damals? Wohl nur ein Steinchen im Korpus des gigantischen landesweiten Niemand.

      Viel schleierhafter scheint mir heute, warum mich eine solche Geringschätzung, diese völlig selbstverständliche Eingemeindung nicht herausgefordert, nicht provoziert hat. Oder doch, sie hat es, – aber ich empfand diese Ansammlung von hochtrabenden Laiendarstellern nicht als gleichrangige Kombattanten. Da wollte ich – ganz im Anfang – noch etwas lachen und heimlichen Hochmut auskosten dürfen, und dann, ja dann brauchte ich Zeit, zum Nachdenken und Analysieren, zum ersten Mal Zeit, schon dieselbe Art von Zeit, von der ich immer mehr und länger brauchte, bis jetzt, in diesen Augenblick hinein.

      Und wenn ich ehrlich bin, war da sehr bald auch Angst, eine undefinierbare Angst, die sich noch auf keine Erlebnisse aus persönlicher Anschauung stützen konnte. Denn die Turbulenzen der Straße (die ich als Berliner von lange her kannte) wollten mich nicht betreffen, all die politischen Insekten mit dauer-aufgerichteten Stacheln. Was hatte ich damit zu tun, Politik dieser Art? Nein, es war eine osmotische Angst, ich fühlte sie bald im Nacken wie das schöne Mädchen bewundernde Blicke im Rücken spürt. Die sichere Annahme, die nächste Ratte säße in nicht mehr als zehn Metern Entfernung, – und man folgt dem Gedanken ganz bewusst nicht weiter. Ich wollte vor mir selbst nicht recht damit haben, mit einer solchen Angst richtig zu liegen. Ein bisschen schrecklich gesagt: etwas näher an einem Polizeikeller vorbei hätte ich einen festen Standort vermutlich rascher gefunden, schön weit außerhalb der Zentrifuge. Meine heutigen Probleme hätte ich nicht. Aber da war doch K.? Richtig, der besaß die Fähigkeit, auf der alleinigen Basis scharfsinniger Gedanken zu handeln. Er hatte mir ja nichts leibhaftig Warnendes vorgeführt. Ich aber hatte nie gelernt, aufgrund von intelligenten Schlüssen zu noch intelligenteren Entschlüssen zu gelangen. Ich brauche wohl immer etwas vorauseilendes Mondlicht, Peitschenknallen und Seelenabsturz für folgenschwere Taten, und wenn schon kein Posthorn im stillen Land, dann wenigstens ein Hauch eigenes Blut auf der Zunge.

      29. Mai

      Was ich hier sehe, ist von merkwürdiger Abgewandtheit. Obgleich – das ist so nicht richtig. Wohl eher erlebe ich meinerseits die hochtourigen Pfauenschritte zu Hause als derart grell, dass ich automatisch eine Fixierung aller anderen (der fremden anderen) auf diese Bühne hin unterstelle. Doch das ist ein Irrtum. Vielmehr bin ich hier in einem Land, dem immer noch ein Viertel der Welt gehört, und Indien beispielsweise (für mich auf einem Märchenplaneten) ist eben aus dieser Perspektive kaum weniger Nachbar als das lächerlich nahe D.. Ja, man schaut durchaus hin, – auf uns (und ich fühle in gewissen Momenten, dass ich nicht mehr dazugehöre und ›uns‹ für mich nur den Status einer Zufallsbekanntschaft hat), doch ›wir‹ (das klingt in meinen Ohren völlig falsch) uns die Aufmerksamkeit mit weiteren Schauplätzen auf dieser Erde teilen müssen.

      ›Wir, uns‹– ich kann es mit einem einzigen Wort sagen: mir ist es peinlich. Umgekehrt ist genau diese Assoziation bisher in keinem einzigen persönlichen Echo hier in London angeklungen. Man sieht, wie jenseits der Nordsee etwas beinah erschreckend gut zu funktionieren scheint und entlässt mich eher bewundernd als anklagend gerade deshalb nicht aus der dazugehörigen Sippe. Ja man überlegt fast eins zu eins im eigenen Maßstab: Vorteile, Nachteile, und ich befürchte zuweilen, sie finden, was sie da sehen, am Ende sogar modern. Jedenfalls kommt nicht viel Kommentar, wenn ich die staatlichen Muskeln in D. in direktere Begriffe übersetze, mehr ein ›ach ja‹, ein Hochschieben der Hornbrille, Verweilen der Augen im Raum, schließliches Lächeln und Themenwechsel. Schon verrückt, mir kommt es dann so vor, als müsse ich für die Schatten in D. regelrecht werben.

      Vielleicht kenne ich aber auch die falschen Leute. Eigentlich Leute wie mich, aus Elternhäusern, in denen das, was man sich vorstellen kann (und will), klare vererbte Grenzen hat. Leute, die – wenn sie irgendetwas tatsächlich verstünden – seitenverkehrt genau in meiner Situation wären. Leute wie wir (und hier passt das ›wir‹ vorzüglich) taugen nur für berechenbare, gemäßigtere Wetterlagen. Ich mag mich nicht. Ich bin von Geburt nicht gut ausgestattet für unsere Zeit. Ich mag meine sympathischen Gesprächspartner hier! Widersinn. Warum hilft er mir nicht weiter?

      30. Mai

      Jeder wird aus seinem eigenen Ei geboren. Das spätere Bewusstsein davon, welches Ei es gerade war, hängt sehr am Ei selbst, seiner genauen Gestalt, Farbe, Schalendicke und Haltbarkeit. Ein junger Schreiner, der mir irgendwann vor 33 in Berlin zwei Zimmertüren erneuerte, war beseelt von dem Gedanken, seine Kollegen in den Ortsverband der SPD zu holen. Als, so erzählte er mir in einer Zigarettenpause, ihm klargeworden sei, wie sehr er aus einer alten brandenburgischen Tischlerfamilie stamme, sei es ihm natürlich und zwingend erschienen, diese Erkenntnis multiplizierend weiterzutragen. Und nun mein eigenes Geburtsei: ein sehr hartschaliges, das nicht darüber sprach, aber vollkommen selbstverständlich die Tatsache in sich beschloss, maßstäblich zu sein. Da zählten Standards, deren materielle Seite sich darauf beschränken konnte, gute Schuhe zu tragen, wohingegen sich bestimmte Verhaltensweisen augenblicklich als unmöglich definieren konnten. Dann gab es kein wirkliches Zurück mehr, und schon gar nicht über Geld oder Einfluss wäre irgendetwas von dem einmal demonstrierten Makel aufzuwiegen gewesen. Zum Beispiel fühlte oder machte man sich stark aus eigener Kraft, – um die Gunst anderer öffentlich zu brüllen, fiel in die Kategorie jener Dinge, die man durchaus nicht tat.

      So war und bin ich ganz passiv. Auf sich selbst aufmerksam zu machen, persönliche Vorzüge zu unterstreichen, Kontakte zu knüpfen, um Chancen fürs eigene Fortkommen zu erschließen: alles ein Unding. Wenn man gebraucht wird, wird man gerufen. Wie oft habe ich diesen Satz gehört. Aber ich werde nicht gerufen, und wenn doch, was tun mit einem Ruf von Menschen, die sich so vollkommen indiskutabel benehmen? Wäre ich in anderer Sparte, was hätte sich heutzutage daraus machen lassen, an die Rhizome des Kadettencorps anzuknüpfen, den ich ganz durchlaufen habe. So aber habe ich mit niemandem von damals noch Kontakt. Ich bin sehr allein inzwischen, geliebt und geachtet von meinen Eltern, denen der künstlerische – und also der wesentliche – Aspekt meiner Situation nur theoretisch nachvollziehbar bleibt.

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