Der junge Häuptling. Liselotte Welskopf-Henrich

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Название Der junge Häuptling
Автор произведения Liselotte Welskopf-Henrich
Жанр Исторические приключения
Серия
Издательство Исторические приключения
Год выпуска 0
isbn 9783957840080



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      Oben stand Mike nicht mehr Wache. Sein Körper lag am Boden. Ein Pfeil hatte Nacken und Gurgel durchbohrt. Adams blieb in Deckung hinter der Brüstung und brüllte gegen den Sturm an: »Indsmen im Fort!«

      Er sprang die Treppe wieder hinunter, um sich beim Major weitere Befehle zu holen.

      »Hof und Gebäude durchsuchen!«

      Adams stürzte zu dem alten Blockhaus und gab Alarm.

      Die Männer wären in der undurchsichtigen Finsternis, im nächtlichen Sandsturm, alle lieber hinter den Blockwänden geblieben. Pitt und Hahnenkampf-Bill bestimmten sofort sich selbst als Hauswache. Munition und Essvorräte durften nicht ohne Aufsicht bleiben.

      Die übrigen Männer ließen sich durch den Befehl in den Hof hinausscheuchen. Adams gesellte sich zu ihnen. Es wurde hin und her geschrien. Nur an den Stimmen konnte man sich gegenseitig erkennen oder daran, dass man die Uniform oder die Lederjoppe des anderen fühlte. Es wurde viel unnütz geschossen. Allen war unheimlich zumute, auch Adams selbst und dem Kommandanten. Die Suchenden beruhigten sich gegenseitig nur durch ihre Vielzahl. Jeder Quadratmeter des Hofes wurde mehrfach abgesucht, die Gebäude wurden durchwühlt. Dazu fauchte der Sturm, und der Sand stäubte. Die unheimliche und zugleich unruhig-geschäftige Atmosphäre hemmte das Nachdenken und Beobachten.

      Doch ereignete sich nichts mehr. Kein Feind wurde gefunden, niemand wurde mehr angegriffen. Kein Brandpfeil landete auf den Dächern.

      Die Männer sammelten sich. Sie fluchten leise, dann laut. Als Ersatzmann für den erschossenen Turmposten schickte Adams den indianischen Kundschafter des Forts hinauf, der zur Zeit des Überfalls abgelöst gewesen war und geschlafen hatte. Die Schießluken am Palisadenring wurden alle besetzt.

      Äußerlich trat wieder Ruhe ein.

      Die beiden Toten, Warner und Mike, wurden in dem großen Blockhaus aufgebahrt und mit Decken verhüllt. Adams nahm den Pfeil an sich, mit dem der Posten auf dem Turm abgeschossen worden war. In der Ecke hinten auf der Wandbank saßen Hahnenkampf-Bill und der schmierige kleine Josef mit Pitt zusammen. Adams ging auf diese Gruppe zu.

      »Alle drei beieinander!«, sagte er und würgte dabei alle leiseren Empfindungen hinunter. »Könnt gleich beisammenbleiben. Morgen früh reitet ihr nach Fort Randall mit Briefen des Majors.«

      »Wir?« Hahnenkampf-Bill war an diesem Abend auch ohne Brandy heiser. »Wie ist der Alte denn auf uns verfallen? Davon hast du mir noch nichts gesagt, Pitt!«

      »Erfahrene Grenzer müssen es sein«, antwortete Adams an Pitts Stelle, »Männer, die auch auf Fort Randall den Mund auftun. Wir müssen Verstärkung haben, das begreift ihr wohl alle.«

      »Ich denke es jetzt auch.« Pitt nagte an der Oberlippe. »Das ist’n schlechter Stall hier bei euch. Begreife immer noch nicht, wie’s zugegangen ist.«

      »Nein? Ganz einfach.« Adams sprach trocken und zornig. »Erst haben sie mit dem Pfeil den Wachtposten auf dem Turm oben abgeschossen. Gemeinheit – oder wie ihr’s nennen wollt, aber das sind eben die Büffeljäger und Scharfschützen unter den Roten! Da, seht euch den Pfeilschaft an! Wie ist der gekerbt?«

      Bill nahm den Schaft und drehte ihn in der Hand. »Dakota – unter den Dakota die Teton – unter den Teton die Oglala – unter den Oglala die Bärenbande und bei denen der Bund der Roten Hirsche. Die Gesellschaft kenne ich bestens! Seit mehr als zehn Jahren.«1

      »Als der Posten auf dem Turm abgeschossen war, müssen ein oder zwei übers Tor gekommen sein – oder auch über die Palisaden, wenn sie zu mehreren waren und einander helfen konnten.«

      »Mann!«, rief Pitt dazwischen. »Was es bei euch alles gibt!«

      »Was willst du? Ein Dakota ist seine zwei Meter groß und gewandt wie ’ne Katze. Übers Tor kommt er immer, wenn ihn keiner dabei stört! Hat sich jedenfalls eingeschlichen, der Rote, und im Hof gelauert. Er hat den Leutnant niedergestochen, obwohl ich keine vier Schritt hinter Warner zurück war. Der Indsman muss von der Seite zugestoßen haben. Dann ist er wieder verschwunden, vermutlich auf demselben Weg, auf dem er gekommen war.«

      »Hätte auch mich mit seinem Messer erwischen können«, dachte Pitt laut, »aber das Amulett hat dem Sohn meines Vaters mal wieder geholfen.«

      »Es ist auch immer ein Vorteil, wenn einer für ganz unwichtig gehalten wird«, spottete Bill.

      »Einen Tag und eine Nacht Sandwehen – drei Tote!«, rechnete der kleine Josef. Er schaute böse und erregt auf Adams. »’s ist nicht gut, dass wir hier festsitzen. Die Indsmen wissen immer, wo sie uns finden können, aber sie selber schwirren um uns herum wie die Mücken und sind nicht zu fassen.«

      »Drei Tote!«, wiederholte Adams fragend.

      »George zählt mit! Den hast du wohl vergessen!«

      »Vielleicht hält ihn der Sturm auf.«

      »Adams, mach uns nichts weis, was du selbst nicht glaubst.«

      »So gehen die also mit euch hier um, die verlausten Rothäute?« Pitt summte vor sich hin. »Uns aber haben sie während des ganzen Rittes in Ruhe gelassen. ’s war beinahe unheimlich.«

      »Woher denn! ’s war ganz natürlich!«, höhnte der schmierige kleine Josef. »Den Herren vom Fort Randall zollt der Indsman Respekt!«

      Die Kehlen blieben rauh, die Stimmung düster, und der Schlaf war unruhig. Noch immer rüttelte der Sturm an Häusern und Palisaden. Adams hatte sich in seine Decke gewickelt und lag neben Tom ohne Hut und Schuhe. Tom war nicht mehr der Jüngste. Sein Bart wurde schon eisgrau. Er wälzte sich unruhig hin und her.

      »Du, Adams!«, begann er nach einer Stunde seinen jungen blonden Nachbarn zu stören.

      »Was ist?«

      »Muss ich morgen unbedingt mit nach Randall?«

      »Der Alte will es so haben.«

      »Wenn wir wirklich Verstärkung bekommen, mag’s angehen. Ich werde den Mund weit genug auftun.«

      »Erst mach ihn mal zu und schlaf!«

      Gegen Morgen legte sich der Wind. Die Wolken waren vertrieben, und der Himmel wölbte sich blau über versandetem, verschneitem, gefrorenem Boden.

      »Frühlingsanfang!«, bemerkte Pitt. Obgleich er in das gelobte Land am Missouri zurückkehren durfte, war er giftig gestimmt.

      Das Tor öffnete sich, und die vier Reiter verließen als Kuriergruppe mit den Handschreiben des Majors das Fort. Sie überquerten den Niobrara und wandten sich ostnordostwärts.

      George war noch nicht zurück. Daran dachten alle, aber keiner sprach davon.

      Die Reiter ließen ihre Tiere schnell laufen. Der kurzgrasige Boden war ein gutes Terrain für galoppierende Pferde. Dumpf klang der Hufschlag, das dem Präriereiter so gewohnte Geräusch. Hoch oben am Himmel zogen Raubvögel. Die steppenartige Prärie lag einsam im Morgenlicht. Kein Wild, kein Reiter, keine Spur war zu bemerken. Als die vier etwa eine Stunde unterwegs waren, hielten sie an und spähten von einem erhöhten Platz aus ringsumher.

      Hahnenkampf-Bill zeigte auf den Kamm einer benachbarten Anhöhe: »Seht ihr dort was liegen?«

      Ohne eine Antwort abzuwarten, glitt er selbst vom Pferd, huschte hinunter und den Hang der nächsten Anhöhe hinauf. Dort fand er, was er schon gesehen hatte. Ein Toter lag ausgestreckt im Gras, mit dem Gesicht zur Erde. Das Lederwams zeigte im Rücken einen Einstich und war blutig. Der Hut lag neben dem Toten. Die Skalplocke war vom Wirbel abgezogen. In das Wams hatte der Sieger mit dem Messer das Zeichen eines Vierecks eingeschnitten.

      Bill kümmerte sich nicht weiter um den toten Kameraden. Er rannte schleunigst zu seinem Pferd und seinen drei Begleitern zurück, sagte kein Wort, sondern zeichnete nur mit der Hand ein Quadrat in die Luft.

      »Schon wieder!«, Josef war bestürzt.

      »Ja, wieder.« Bill knurrte. Er war selbst sehr unruhig und ärgerte sich umso mehr, als der andere seine Angst spüren ließ.