Der junge Häuptling. Liselotte Welskopf-Henrich

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Название Der junge Häuptling
Автор произведения Liselotte Welskopf-Henrich
Жанр Исторические приключения
Серия
Издательство Исторические приключения
Год выпуска 0
isbn 9783957840080



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ist zu spät.« Der junge Kriegshäuptling sagte es kurz, nüchtern, ohne Vorwurf, ohne Klage. »Das Langmesser Smith am Niobrara erwartet noch vor dem Mondwechsel sechs Wagen mit Munition und Nahrung. Wir müssen die Munitionswagen und die Langmesser, die sie begleiten, abfangen. Sie dürfen niemals auf das Fort am Niobrara gelangen. Wenn unsere Brüder, die an unserer Seite kämpfen wollen, zu spät kommen, müssen wir allein handeln.«

      »Das müsst ihr, und ich vertraue dir, dass du das auch vermagst. Seit zwei Sommern und drei Wintern bist du über Smith und seinen Männern wie ein Adler über einer Herde lahmender Antilopen. Wir haben unser Vertrauen nicht vergeblich in dich gesetzt. Wie viele Krieger hast du selbst bereit?«

      »Vierundzwanzig Männer vom Bunde der Roten Hirsche.«

      Tokei-ihto wandte sich wieder Ihasapa zu. »Wo stehen unsere Zelte jetzt? Wo ist Tschetansapa?«

      Der Späher berichtete: »Unsere Zelte sind aus den Bergwäldern schon zum Pferdebach herabgezogen. Tschetansapa hält sich mit allen Männern, die dem Bunde der Roten Hirsche angehören, auf halbem Wege zwischen unserem Zeltdorf und dem Fort des Majors Smith bereit. Sie wollen dir in den Kampf folgen.«

      »Das sind die vierundzwanzig. Genug, wenn wir rasch und überlegt handeln! Reite zurück zu Tschetansapa und sage ihm, dass ich in wenigen Tagen bei ihm bin. – Tschapa Kraushaar«, gab der junge Häuptling weiter seine Anweisungen, »du bleibst hier und horchst, was die Kundschafter, die wir bei Fort Randall für uns gewonnen haben, melden. Wir müssen wissen, an welchem Tag Leutnant Roach mit der Munitionskolonne aufbricht. Ich selbst reite unterdessen noch nach Saint Pierre; mit meinem Falben bin ich rasch genug.«

      Der junge Häuptling trat zu seinem Mustang. »Ich muss nach Fort Saint Pierre«, wiederholte er für seinen Oberhäuptling. »Oder kannst du mir ein Repetiergewehr geben? Für den Kampf um die Munitionskolonne brauche ich es.«

      Durch die Stimme Tashunka-witkos klang es wie ein Lächeln, als er erwiderte: »Ich kann es dir nicht geben, Tokei-ihto, aber wir reiten zusammen nach Saint Pierre.«

      Die Männer schwangen sich auf. Während sich Ihasapa und Tschapa aufmachten, um ihre Aufträge auszuführen, ließ der junge Häuptling seinen Falbhengst in der Reihe mit Tashunka-witko und dessen drei Kriegern nordostwärts galoppieren.

      Der Ritt der Häuptlinge führte durch Grassteppen, durch öde, von Mensch und Tier verlassene Felslandschaften. Niemand hielt die einsamen Reiter auf. Die Mustangs waren unermüdlich. Der falbe Hengst des jungen Kriegshäuptlings hatte lange gestanden; nun fegte er übermütig, mit großartigen Kräften, über das Wiesen- und Steppenland dahin, in dem auch er geboren und das auch seine Heimat war.

      Die Männer ritten die Nacht und die Morgenstunden des anbrechenden Tages hindurch. Um die Mittagszeit hielten sie die erste längere Rast an einem Gewässer, von Gesträuch und Anhöhen gedeckt. Sie streckten sich auf ihre Decken, schliefen jedoch nicht, sondern aßen und rauchten.

      Jetzt blieb ihnen die Ruhe, sich gegenseitig zu betrachten. Dem jungen Häuptling erschien sein Oberhäuptling in den vier Jahren, in denen er ihn nicht mehr gesehen hatte, kaum älter geworden, aber doch verändert. In die kühne Zuversicht der Züge Tashunka-witkos begann sich der Ausdruck einer entschlossen-verbitterten Abwehr zu mischen. Seine Mundwinkel zogen sich herab; die Falten, die an den Nasenflügeln ansetzend herunterliefen, waren tiefer geworden. Die Augen, die der Indianer gegen Sonne, Wind und Staub der Prärie meist mit gesenkten Lidern schützte, hatte Tashunka-witko jetzt ganz geöffnet, und mit diesem offenen Blick begegnete er dem Jüngeren.

      Er begann einiges zu besprechen, wozu ihm in der Nacht vorher, bei der ersten Begegnung, nicht Zeit und Ort gewesen zu sein schien. »Die Watschitschun sind entschlossen, alle ihre Schwüre und Verträge zu brechen«, sagte er. »Sie sind Lügner. Wir aber werden die Prärie und unser Recht verteidigen.«

      »Greift ihr die Forts an? Mit achtzig Männern hätte ich Randall ausheben können.«

      »Wir greifen die Forts nicht an. Aber sobald die Frühjahrsjagden vorüber sind, das Gras dunkelgrün wird und die Sonne warm scheint, sammeln wir unsere Häuptlinge und unsere Krieger in den Prärien im Norden der Che sapa2 und an den Flüssen, die dem Gelbsteinstrom zufließen. Du bist eingeladen, an den Beratungen teilzunehmen, und magst deine Männer fragen, ob sie mit uns allen zusammen kämpfen wollen, wenn die Langmesser uns nicht in Frieden lassen.«

      »Sobald wir die Munition erbeutet haben und mit der Station von Smith fertig sind. Es ist der Platz, an dem ich den Mord an meinem Vater räche.«

      »Ich wusste, dass du auch daran denkst, mein jüngerer Bruder. Tatanka-yotanka und ich wären bereit gewesen, dir sofort sechzig Krieger zu senden, die mit euch zusammen die Munitionskolonne abfangen. Aber ich brauche eine Schar, um General Crook am Rosebud entgegenzutreten, und die übrigen Männer wollten die Kriegspfeife noch nicht rauchen. Nach dem Winter hungern die Frauen und Kinder in vielen Zelten, und die Krieger wollen erst jagen. Sie erinnern sich auch daran, dass eure Bande vor zwölf Wintern auf eigene Faust sehr weit südwärts gezogen ist, und sie erwarten, dass ihr in dem Sommer, der kommt, wieder zu den Che sapa heraufwandert.«

      »Ich verstehe. Was hört ihr von den anderen Stämmen?«

      »Die Cheyenne, die noch frei sind, wollen mit uns zusammen kämpfen. Die Absaroka und die Siksikau werden uns nicht in den Rücken fallen. Es sind nur einzelne Verräter, die den Langmessern dienen.«

      Der junge Kriegshäuptling senkte den Blick, und das Blut stieg ihm in die Schläfen, weil er daran dachte, dass er selbst einmal den Feinden als Kundschafter gedient hatte. Auch Tashunka-witko schien über Kundschafter und Kundschafterschicksal in diesem Augenblick nachzudenken, denn er fragte: »Ich habe von einem Kundschafter Tobias gehört, der Smith dient. Wer ist das? Hat er noch einen anderen Namen?«

      »Chef de Loup.«

      »Ah, Chef de Loup! Lass ihn beobachten.«

      Das Gespräch war beendet. Als die Männer sich erhoben, blickten sie über das Land; es waren die Gebiete, in denen sie künftig gefangen gehalten werden sollten.

      Sie schwangen sich auf und setzten ihren Ritt fort. Sie mieden die Zeltdörfer, die in diesen Gegenden zu finden waren und die sich schon unterworfen hatten. Sie kreuzten Fährten von Kavallerietrupps und Milizeinheiten, ohne sich von diesen sehen zu lassen, und keiner der feindlichen Kundschafter entdeckte sie.

      Als es zum zweiten Mal Morgen wurde, erreichten die Dakota die große Handelsstation Saint Pierre, viel weiter nördlich am Missouri gelegen als Fort Randall. Hier herrschte noch der Handel, nicht das Militär. Da die Ankömmlinge keine Stunde zu verlieren hatten, hängten sie ihre Mustangs sofort bei dem Laden an, den der junge Häuptling aufsuchen wollte. Auch Tashunka-witko trat dort ohne Zögern ein. In seiner einfachen Kleidung erkannte ihn kein Unkundiger. Es hatten sich in der geräumigen Verkaufsstelle trotz der frühen Stunde schon zahlreiche Indianer und Jäger eingefunden, die die Winterausbeute der Pelzjagd gegen Waffen, Pulver, Blei und Branntwein eintauschen wollten.

      Mehrere Einkäufer waren damit beschäftigt zu taxieren. Der Leiter des Verkaufsladens war ein kleiner Mann mit einem Fuchsgesicht. Er hatte den jungen Dakotahäuptling sofort ins Auge gefasst, denn er kannte ihn von einem langwierigen Handel her persönlich und ließ die Neuigkeit sofort die Runde machen: »Harry Tokei-ihto ist da!«

      Der junge Häuptling brauchte sich hier nicht zu verbergen. Die Kämpfe im Gebiet des Niobrara waren lokaler Art; bis nach Saint Pierre drangen nur die Anekdoten. Aber deren Verbreitung genügte, dem jungen Häuptling freien Durchgang zu dem Leiter des Ein- und Verkaufs zu verschaffen. Tashunka-witko und seine Begleiter hielten sich im Hintergrund.

      Der langgewachsene Dakota schaute auf den kleinen Mann mit dem Fuchsgesicht herunter. Es war rings im Raum still geworden; damit war das höchste Maß an Achtung bezeigt, das Handelsleute erweisen konnten.

      »Was wünscht der große Häuptling der Dakota in meinem bescheidenen Laden zu kaufen? Ich hoffe, Harry Tokei-ihto heute ebenso zufriedenstellen zu können wie vor zwei Sommern!«

      »Ein Repetiergewehr.«

      »Großartig!