Название | Zwei Freunde |
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Автор произведения | Liselotte Welskopf-Henrich |
Жанр | Историческая литература |
Серия | |
Издательство | Историческая литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783957840127 |
Die Masse des Sandsteins war von den Urgroßvätern mit Simsen und Friesen in zierlich-schlichte Gliederungen gezwungen worden. Verschobene Steine teilten die großen Wände. Zwischen Greifen und attischen Kriegern glänzten die Fensterscheiben. Das Schwebendverschleierte des Herbstlichts band jedoch alles wieder zu einer verschwimmenden, scheinbar schwerelosen Einheit, die in stiller Helle vor dem Beschauer stand, mehr eine Vision als Wirklichkeit.
Über die gestrafften Nerven des Näherkommenden lief ein leichtes Prickeln und Zittern. Er wußte von den Entscheidungen, die bei ersten Begegnungen unwiderruflich fallen konnten, und seine Phantasie schuf sich Bilder unsichtbarer Mächte, die, dauernd und doch nicht ewig, schwer zerreißbare Garne um den einzelnen werfen. Es mochte sein, daß sich Hürden, die er im Sprunge nehmen wollte, auf einmal wie lebend erhoben und daß irgendein Schritt endgültig würde, ehe er es ahnte.
Mit einer durch festen Entschluß verneinten Beklemmung trat Oskar Wichmann in das große Portal ein.
Von den mehrfarbigen Steinfliesen hob sich die breite Freitreppe mit dem Purpurteppich vor seinen Augen ab, und wenn nicht die Gestalt des Pförtners Halt gebietend an seiner Seite aufgetaucht wäre, er hätte vielleicht selbst einen Augenblick gezögert, diese Stufen zu betreten.
Der blaue Dienstrock und die weißen Schläfen verlangten Rechenschaft.
Regierungsassessor Dr. Wichmann war für heute einberufen. Ministerialrat Dr. Grevenhagen erwartete ihn um neun Uhr.
Die Augenbrauen, die auffallend dunkel in dem alten Pförtnergesicht standen, verzogen sich in einer Mischung von Achtung und Kritik. Herr Ministerialrat Dr. Grevenhagen war schon im Dienst, jawohl. Die jüngeren Herren seiner Abteilung pflegten aber den Nebeneingang in der Ottostraße zu benutzen. Wenn Herr Assessor Dr. Wichmann durchaus wünschte, so stand ihm der Fahrstuhl zur Verfügung. Links bitte zweiter Stock, Westflügel Abteilung III, Meldezimmer Nr. 436.
Die Kräfte waren ausgeglichen. Der Mann im blauen Tuchrock hatte sein Heiligtum, die Marmortreppe, mit Würde verteidigt. Oskar Wichmann aber benutzte nicht den empfohlenen Eingang in der Ottostraße, sondern jene elektrifizierte Einrichtung, die sich neben den prunkenden Stufen bescheiden in die linke Ecke drückte.
Der vornehme Fahrstuhlführer war für die Zigarette, die seine Bekanntschaft mit dem neuen Mitglied des Ministeriums enger gestaltete, durchaus dankbar. Er verließ im zweiten Stock sein erleuchtetes Gehäuse und geleitete den Novizen über graue Läufer an den Treppen vorbei in den Flügel des Hauses, der sich zur Ottostraße hin erstreckte. An jeder der Türen, die man passierte, standen Namen und Rang des Zimmerinsassen verzeichnet:
Nr. 411, rechter Hand, mit der Front noch gegen den Königsplatz: eine Tür ohne Schild; Nr. 412, das folgende Zimmer: Dr. Grevenhagen, Ministerialrat.
Der Führer ging noch einige Schritte weiter bis zu dem Meldezimmer Nr. 436. Im Hintergrund ordneten zwei Amtsgehilfen Briefe und Aktenlaufmappen. Der Fahrstuhlführer erklärte das Anliegen seines Schützlings.
Die beiden Amtsgehilfen unterstrichen durch Fortsetzung ihrer ordnenden Tätigkeit zunächst deren Bedeutung. Als diesem Erfordernis Genüge getan war, begab sich der jüngere über den grauen Läufer zu jener hohen, hell gestrichenen Tür, an der Wichmann den Namen seines künftigen Vorgesetzten gelesen hatte. Wichmann beobachtete, wie der Bote nach kurzem Klopfen öffnete und in der halbgeöffneten Tür, die Klinke in der Hand, stehenblieb, um in das Zimmer hineinzusprechen. Dieses Verhalten ließ untrüglich darauf schließen, daß die mit dem Namen »Grevenhagen« versehene Tür Nr. 412 nur in das Vorzimmer leitete, während der Gewaltige selbst hinter der Tür ohne Namen für unerbetene Besucher unerreichbar blieb. Die Worte des Boten konnte der Wartende im Meldezimmer nicht verstehen, die Antwort, die er erhielt, nicht hören. Er geduldete sich, bis der Mann zurückkehrte.
Ministerialrat Grevenhagen war zu einer Besprechung bei Boschhofer gerufen worden und ließ Herrn Assessor Dr. Wichmann bitten zu warten. Vielleicht zog der Herr Assessor es vor, in dem Zimmer Nr. 412 bei Fräulein du Prel Platz zu nehmen.
Das Vorzimmer, in das Dr. Wichmann sich begab, war hell möbliert. Am Fenster stand ein Strauß bunter Zinnien in einer weißen Porzellanvase. Vor der Sekretärin Grevenhagens, Fräulein du Prel, machte Oskar Wichmann unwillkürlich eine tiefere Verbeugung, als er beabsichtigt hatte. Durch das Dunkel ihres schlichten Kleides und des glatt gescheitelten Haares schied sie sich auffallend von der lichten Umgebung. Der Unbeschäftigte sah ihren Händen zu, die über die Tasten der Schreibmaschine gingen. Das Klappern der Tasten unter dem leichten Anschlag und das Ticken der Wanduhr waren die einzigen Geräusche. Durch das halbgeöffnete Fenster kamen von draußen nur Licht und Stille; der große Platz vor dem amtlichen Gebäude lag leer.
Die weißen Blätter raschelten kaum beim Auswechseln. Der Uhrzeiger rückte auf fünf Minuten nach neun.
Am Kleiderständer hing nichts als der Hut des Regierungsassessors. Da Wichmann keine Aktenmappe bei sich trug, fiel es ihm schwer, seine Hände zweckmäßig zu gruppieren. Das schweigende Warten entnervte auch in kurzer Zeit.
Der Assessor versuchte, seine Gedanken auf ein Ziel zu richten. Boschhofer … Ministerialrat Grevenhagen war »Zu Boschhofer gerufen« worden. Warum nicht zu Ministerialdirigent oder Ministerialdirektor oder Staatssekretär Boschhofer? Wenn der Mann dieses volltönenden Namens befugt war, Grevenhagen »rufen zu lassen«, so stand er höher im Rang als der Ministerialrat. Warum hatte der Amtsgehilfe, dem die Titel »Ministerialrat« und »Assessor Dr.« so flink von den Lippen schlüpften, den Titel des anderen nicht genannt? Einfache Leute machten sichere und begründete Unterscheidungen. Was war das für ein Mann, »Boschhofer?« Wirkte er sogar bei einem Amtsgehilfen durch seinen Namen schlechthin? Oder aberkannte ihm der Bote einen Rang, den er nicht berechtigt fand?
Die Zinnien am Fenster waren mit viel Geschmack in einer Fülle der zarten Abschattierungen von dunklem Rot und Blau geordnet. Fräulein du Prel arbeitete, ohne aufzusehen. Wichmann hatte das Gefühl, daß ihre flinken, ringlosen Finger nie eine falsche Taste trafen. Sie hatte schmale Hände und ein zartes ernstes Gesicht. Trotz oder gerade durch Schlichtheit wirkte ihr Äußeres elegant.
War der Arbeitseifer in dem hohen Ministerium so groß, daß Besprechungen zwischen Ministerialräten und Ministerialdirektoren üblicherweise morgens um neun Uhr angesetzt wurden? Kaum. Grevenhagen selbst war überrascht worden; er hatte Wichmann für neun Uhr bestellt, in der Annahme, anwesend zu sein. Ein neuer und wichtiger Vorgang mußte die Besprechung veranlaßt haben.
Das Telefon schnarrte.
Fräulein du Prel nahm den Hörer auf und meldete sich, leise, zurückhaltend, aber nicht ohne Klang in der Stimme. Die Stimme paßte zu der Erscheinung dieses Mädchens. Wie alt mochte die Sekretärin sein? Zwanzig Jahre?
»Jawohl, Herr Ministerialrat.«
Fräulein du Prel verließ die Maschine, holte ein Aktenstück aus den wohlgeordneten Fächern des Aktenschrankes und eilte hinaus.
Bei der Besprechung der hohen Herren wurde offenbar noch Material gebraucht.
Wichmann legte ein Bein über das andere und stützte den Arm auf den runden Tisch. Die zurückkehrende Sekretärin stockte, sah sich um und brachte dem Wartenden dann den gehefteten Geschäftsverteilungsplan des Ministeriums.
Wichmann begann die Geschäftsordnung der Abteilung, in die er berufen war, zu studieren. Abteilung III, Leiter: Ministerialdirektor Josef Boschhofer. Referat 1: Ministerialrat Dr. jur. Grevenhagen; ihm untergeordnet: Regierungsrat Dr. Korts. Referat 2: Ministerialrat Dr. Nischan; ihm unterstellt: Oberregierungsrat Dr. Meier-Schulze, Regierungsräte Dr. Borowski, Dr. Nathan, Dr. Loeb, Regierungsassessor Dr. Casparius. Ach noch ein Assessor! War es in diesem Ministerium Gewohnheit, Assessoren einzuberufen? Wichmann fühlte sich in seinem Selbstbewußtsein beeinträchtigt. Es gefiel ihm jedoch, daß er dem »Referat 1« zugeteilt werden sollte, in dem die Mitarbeiter nicht zahlreich waren. Drüben im Referat 2 schienen sie in größerer Menge und daher vermutlich geringerem Werte vorhanden. Die Namen brauchte man sich vorläufig nicht zu merken.
Im Korridor ging ein dienstlich schneller Schritt