Dave Gahan. Trevor Baker

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Название Dave Gahan
Автор произведения Trevor Baker
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783854453345



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nur Trockenübungen für Vince’ spätere Arbeit mit Erasure. Die ebenfalls schwul angehauchte Pop-Nummer „Just Can’t Get Enough“ hingegen war etwas ganz Anderes. Es sollte der einzige Song aus den ersten vier Jahren ihrer Karriere werden, den sie bis in die Neunziger und sogar weit darüber hinaus noch gerne spielten. Als die Single im September 1981 noch vor dem Album erschien, war sie die Nummer, welche die Gruppe in die Pop-Stratosphäre katapultierte. Depeche Mode büßten ihren Platz in der Some Bizzare -Gemeinde endgültig ein und fanden sich dafür in den Herzen und den Plattensammlungen heranwachsender Mädchen in ganz Großbritannien wieder, was weitaus lukrativer war.

      Das dazugehörige Video markiert darüber hinaus die Geburtsstunde des von Dave einmal als „schwulen Lederlook“ bezeichneten Kleidungsstils, den sie viel zu früh aufgaben, wie ihnen später bewusst wurde. Damals mag man sie dafür verspottet haben, doch war er auf jeden Fall viel besser als die Anzüge, die sie später trugen. Während der ersten Hälfte ihrer Karriere schien es Depeche Mode schwer zu fallen, die Band als Einheit visuell zu kommunizieren. Die Gestaltung von Speak And Spell zeigt dies ganz deutlich. Daniel Miller schlug vor, mit dem Fotografen Brian Griffin zusammenzuarbeiten. Er war für seine Arbeit mit Bands wie Echo And The Bunnymen sehr bekannt. Es war mit sein Verdienst, dass diese Liverpooler Gruppe eine unverkennbare visuelle Identität entwickelt hatte.

      Als sich Brian mit Depeche Mode traf, war er genau so, wie sie sich einen Künstler vorstellten. Er trug einen großen Schlapphut und fuchtelte aufgeregt mit den Armen herum. Er sagte, er habe eine Vision von einem fliegenden Schwan. Sie waren beeindruckt und sorgten sich lediglich darum, was das Ganze wohl kosten würde. Das Resultat war am Ende jedoch nicht ganz das, was sie erwartet hatten. „Die Idee klang wirklich klasse“, sagte Brian gegenüber dem Autor dieses Buches. „Aber als es fertig war, sah es aus wie ein Schwan in einer Plastiktüte! Es sollte alles ganz hübsch und romantisch sein, aber es war einfach nur komisch. Ich wusste nicht recht, was ich tun sollte. Es wurde zu einem der schlechtesten Plattencover aller Zeiten gewählt! Es war echt mies.“

      Noch vor der Veröffentlichung der Platte hatten Depeche Mode Gelegenheit, sich auf ihrer ersten NME-Titelseite ganz anders darzustellen. Damals war der NME eine ungeheuer beliebte Zeitschrift mit einer Auflage von mehreren hunderttausend Exemplaren. Die Redaktion war außerdem für einen gewissen Zynismus bekannt, und eine Band wie Depeche Mode, die aus ihrem Bestreben, Popstars zu werden, keinen Hehl machte, passte nicht recht zu dem Post-Punk-Ethos des Blattes. Dies drückte sich vielleicht im Coverfoto aus, auf dem Dave Gahan vor den übrigen Bandmitgliedern zu sehen war. Zweifellos freute ihn das – bis zu jenem Mittwochmorgen, als er sein Exemplar der Zeitschrift erhielt und feststellte, dass er auf dem Bild verschwommen war, der Rest der Band hingegen gestochen scharf. Das verstand er nicht.

      „Ich war sehr enttäuscht“, sagte er später. „Ich stand ganz vorne … und doch wieder nicht. Das war ganz schön gerissen von dem Fotografen. Das ganze Foto überforderte mich komplett. Ich erinnere mich, dass ich dachte: ‚So ein Wichser! Ich bin da ja völlig unscharf drauf.‘“ Fairerweise muss man sagen, dass dem Fotografen die Musik von Depeche Mode überhaupt nicht gefiel. Er war ein junger holländischer Knipser, der durch seine Arbeit mit Joy Division bekannt geworden war. Sein Name war Anton Corbijn. Viele, viele Jahre später sollte er in der Geschichte von Depeche Mode eine bedeutende Rolle spielen.

      Sie waren nicht die einzige Elektro-Band, die in jenem Jahr an der Schwelle zum ganz großen Erfolg stand: Mit ihrem Album Dare sollten The Human League zu Popstars werden, Soft Cells Coverversion von „Tainted Love“ entwickelte sich zu einem der größten Hits der Achtziger, Architecture And Morality war das bis dato bestverkaufte Album von OMD, und in Übersee verkauften Künstler wie Yello und Jean-Michel Jarre Millionen von Platten. Als „Just Can’t Get Enough“ im September 1981 als Single erschien, wurde Depeche Mode zu einem Markennamen. Gleichzeitig grenzte sie der Song aber auch von ihren cooleren Zeitgenossen ab. Der Rolling Stone-Autor David Fricke fasste dieses Phänomen später in einem Artikel über die erste Welle englischer Synth-Pop-Alben Anfang der Achtziger zusammen: „Verglichen mit dem Schmuddel-Pop von Soft Cell ist Speak And Spell von Depeche Mode durch und durch jugendfreie Kost. Als saubere britische Vorstadtjungs haben sie weder die Ambition von Orchestral Manœvres In The Dark noch den unverblümt kommerziellen Reiz von The Human League.“ Fricke betrachtete den britischen Synth-Pop-Trend jedoch als „Eintagsfliege“ und erklärte in einer spektakulären Verkennung der Tatsachen: „Wenn diese paar Platten ein Hinweis sind, dann wird es wohl keine Synthesizer-Revolution geben.“

      Depeche Mode hatten offensichtlich jegliche Kritikergunst verspielt, derer sie sich in der Vergangenheit vielleicht einmal erfreut hatten. Sie befanden sich nun in einer vollkommen anderen Welt: der Welt von Duran Duran, Spandau Ballet und anderen Synth-Gruppen, die keine New Romantics oder Futuristen mehr waren, sondern nur noch Pop-Gruppen. Trotzdem vergaßen sie die wenigen Enthusiasten nicht, die sie am Anfang unterstützt hatten.

      „Sie verhielten sich mir oder Steve Strange gegenüber niemals abweisend oder unhöflich“, sagt Rusty. „Da gab es ganz Andere, die sich als große Rockstars oder Popstars aufspielten. Depeche Mode hingegen bedankten sich immer artig für meine Unterstützung und die ganzen Gigs am Anfang ihrer Karriere.“

      Depeche Mode scherten sich nicht allzu sehr darum, was gerade „in“ war. Sie wollten einfach nur gute Songs schreiben. Leider war genau der Mann, der ihren Teenager-freundlichen Sound am meisten zu verantworten hatte, Vince Clarke, derjenige, der mit ihrem neuen Status ganz und gar nicht glücklich war. Er hatte noch nie gerne Interviews gegeben und konnte nun mit den – wie er es sah – unangenehmen Einschnitten in ihrem Privatleben nicht umgehen.

      Nach einem Interview mit Rick Sky vom Daily Star war für Vince der Gipfel erreicht. Rick fragte, ob er es für vorteilhaft halte, gut aussehend zu sein, und Vince erwiderte, dass dies natürlich der Fall sei. „Rick Sky drehte es so hin, als hätte Vince gesagt, dass es hässliche Bands niemals schaffen und man nur gut aussehen muss, um es auf Platz eins zu schaffen“, sagte Dave später. Vince fühlte sich durch dieses noch relativ harmlose Beispiel für Boulevardjournalismus zutiefst verletzt. Einige Wochen lang verließ er nur selten seine Wohnung. Danach überließ er die Interviews seinen Bandkollegen. Sie machten sich zwar Sorgen um ihn, erwarteten aber in keiner Weise, dass er so reagieren würde, wie er schließlich reagierte. Zu diesem Zeitpunkt waren sie mit Promotion und Konzerten mehr als beschäftigt.

      Dave war immer noch 19, Martin und Andy hingegen waren schon 20 Jahre alt. Vince war 21. Sie besaßen noch nicht das notwendige Selbstbewusstsein, um ihre Karriere selbst zu steuern oder Kritik zu ignorieren. Brian, der viele Jahre mit ihnen zusammenarbeitete, sagt, er habe bei jenen ersten Treffen nur einen sehr schwachen Eindruck davon bekommen, wie sie wirklich waren.

      „Sie wirkten einfach wie ganz junge Burschen aus Basildon. Sie waren nicht ungezogen oder aufmüpfig wie viele andere junge Bands, sondern ziemlich diszipliniert.“

      Mit der Veröffentlichung von „Just Can’t Get Enough“ waren ihre Auftritte im Croc’s gezählt. Es war eine aufregende Entwicklung, die einem zuweilen aber auch Angst einjagen konnte. Dies traf insbesondere auf Dave zu, der bei den Fans im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand. Einmal bat man ihn zu einer lockeren Signierstunde mit Jugendlichen in den Camden Palace. Wenige Monate zuvor wäre dies einfach und vergnüglich gewesen, doch das Publikum hatte sich gewandelt.

      „Es war ziemlich beängstigend“, beschrieb er die Signierstunde in der Zeitschrift Sounds. „Als ich hineinkam, verstellte man mir den Weg. Die Leute rissen an meinen Kleidern und zogen an meinen Haaren – ich bekam es dermaßen mit der Angst, dass ich aufs Klo rannte und mich dort einschloss. Ich wollte nicht wieder rauskommen. Ich glaube, das war eine meiner schlimmsten Erfahrungen – diese Erkenntnis, dass die Kids einen umbringen könnten.“

      Trotzdem ließen sich Depeche Mode nicht entmutigen. Sie hatten jenes Arbeitsethos, das man bekommt, wenn man einen langweiligen Job hat. Was auch immer geschah, sie wollten keinesfalls wieder dorthin zurückkehren. Besonders Dave, der nun einen Vorgeschmack auf das Leben als Popstar bekommen hatte, hatte es überhaupt nicht eilig, wieder als Schaufensterdekorateur zu arbeiten.

      Im November 1981 sah es jedoch so aus, als würde genau das passieren.