Название | Dann mal ab nach Paris |
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Автор произведения | Hubert Becker |
Жанр | Языкознание |
Серия | Lindemanns |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783963081224 |
„Haben Sie eine Payback-Karte?“
„Nö, hab ich nicht, die wollen mich doch bloß ausspionieren, da krieg ich dann Werbung für jeden Scheiß. Wenn ich Kondome gekauft habe, wirbt eine Apotheke für Viagra, Beate Uhse meldet sich mit Sexspielzeug oder was weiß ich!“
Aber was ich noch weiß, ist, dass ich mich tierisch aufgeregt hatte wegen dieser Frage nach der Payback-Karte. Ich weiß auch noch, wie konsterniert die mich angeguckt hatte. Mensch, die kann doch gar nichts dafür, die arme Sau!
Dann die beleidigte Frage: „Treuepunkte?“
„Nein, ich bin nur meiner Frau treu!“, gab ich dann etwas klein-laut zurück. Was ich auch noch weiß, ist, dass ich’s bei der jetzt bestimmt verschissen hatte.
So, und jetzt ist die meine Nachbarin und turnt halbnackt vor mir herum. Blumen, zur Wiedergutmachung? Denk ich insgeheim, als ich abgelenkt werde durch den Schwaben, der erneut einen Versuch startet, an die Regenrinne zu kommen. Aber die muss er ja zuerst reparieren. Dieses Mal nimmt er eine alte Holzleiter, die mir ziemlich bekannt vorkommt ... Klar, das ist ja meine, die ich seit Wochen vermisse. Die lehnte an meinem Zaun, der bis heute unzählige Löcher aufweist. Einfach geklaut, dieser Sauschwab! Da ich meine alte Leiter kenne, kann es vermutlich nicht lange dauern, bis ... na bitte: oberste Sprosse gebrochen und wieder landet der diebische Geizkragen in seiner Rosenhecke.
„Geschieht dir recht, du Kleptomane!“, ruf ich ihm aufgekratzt zu.
Meine Hildegard steht wieder mal auf der Matte, hinter mir. Mein Nacken ist steif und ich hab Angst, mich umzudrehen: „Was hast du denn mit dem, Mannilein?“
Mannilein, Mannilein! Ich heiße Manfred und kann diese Ver-niedlichung meines Namens nicht leiden. Ich bin sechzig und ein gestandener Mann im Vollbesitz seiner Hormone, also meistens, und wenn sie „Mannilein“ ruft, ist was im Busch.
Sei’s drum. Gut, dass ich nach ihrem Hinterngewackel von vorhin in weiser Voraussicht mal eine blaue Pille eingeworfen habe.
„Auf in den Kampf, Torero!“, sag ich halblaut. Ich bin zwar nicht Georges Bizet und sie ist nicht Carmen, aber ich halte das eben jetzt für angebracht.
„Das hab ich gehört!“, ruft sie aufgekratzt und wackelt wieder vor mir her. Sie hat den Bikini an, der tatsächlich kleiner ist als der der nachbarlichen REWE-Kassiererin.
Jetzt ist nicht nur mein Nacken steif. Ich danke Pharma-Pfizer innerlich auf Knien, in freudiger Erwartung dessen, was jetzt zwangsläufig kommen muss. Halleluja, aber bitte nicht das Licht ausmachen!
Aber, wie heißt es mit Wilhelm Busch: „Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt!“; denn jetzt fängt mein Fuß unter dem Scheißgips an zu jucken, als hätte irgendein bösartiger Zwerg mir eine Tüte Juckpulver reingeschüttet. Eine Stricknadel, ein Königreich für eine Stricknadel!
„Hildegard!“, ruf ich in meiner Verzweiflung. Aber die ist schon längst im Schlafzimmer verschwunden und harrt wohl der Dinge, die da kommen sollen. Aber zuerst kommt mein Verlangen, diese elende Juckerei zu unterbinden. Ich hinke ins Wohnzimmer und da liegt sie schon, das Ziel meiner Wünsche, die Stricknadel! Pech nur, dass diese eingebunden ist in einen angefangenen Topflappen. Topflappen, Topflappen!
Diese Frau hat einen Topflappenspleen, was anderes zu stricken überfordert sie wohl. In jeder Schublade schlummern gefühlt zehntausende dieser gestrickten Fetische. Jetzt ist ein neuer in Arbeit, aber darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Das ist ein Notfall, was denn sonst?
Ich zieh das Ding raus und der angefangene Lappen fällt in sich zusammen. Steinigen wird sie mich wegen dieser Lappalie.
Lappalie, wie treffend! Dieses abwertende Wort leitet sich ganz sicher von Lappen ab. Topflappen. Gott schütze sie, diese Brand-wundenverhinderer, die auch schon mal in Flammen aufgehen, wenn man zum Beispiel dem Grillgut zu nahe kommt, wenn man zu blöd ist, Arbeitshandschuhe zu tragen. Selbst erlebt und dabei dem spöttischen Grinsen meiner Grillpartyfreunde ausgesetzt ge-wesen.
Alles vergessen und die Stricknadel in den Gips geschoben, dorthin, wo’s juckt. Ah, welch eine Wohltat!
Ein Schnarchen aus dem Schlafzimmer verkündet, dass die Liebste, ganz sicher hochgradig frustiert, eingeschlafen ist. Ich bin zutiefst beschämt, hinke zu ihr ans Bett und lege mich neben sie.
Ich bin fast eingeschlummert, als sie plötzlich hochfährt: „Pass doch auf, du Depp, mit deinem Scheiß-Gips!“
Ich Depp! Von Zweifeln zerfressen, denke ich über mein Seelenleben nach, über das, was sich in meinen Gehirnwindungen abspielt und darüber, was das Leben aus mir gemacht hat.
Alte Zeiten – Streiche und Gerd
Ich bin 14 und hänge in diesem zarten Alter mit meinen Kumpels im Karl-Schweitzer-Park rum, dummes Zeug im Kopf, aus Langeweile. Es ist bereits zweiundzwanzig Uhr, es ist dunkel und ich sollte zuhause sein. Aber ich habe Eltern, die mir fast alles durchgehen lassen. Ich bin verwöhnt und Grenzen sind für mich da, sie zu ignorieren.
„Was ist Leute?“, rufe ich meinen Freunden Erwin, Ernst und Gerd zu. „In der Broadway-Bar ist wieder großer Amitreff und ’ne Masse dieser Straßenkreuzer parkt die Hanfstraße zu.“
Die Jungs wissen, was ich will. Die Wände in meinem Zimmer schmücken Plaketten, die ich von Autos abgebrochen habe. Benzsterne, Embleme von Alfa Romeo und Opel, die Weltkugel eines Taunus 12 M und die Radkappe eines NSU. Meine Eltern schließen Augen und Ohren und ignorieren einfach, was ich treibe. Klar, ich bin ja der Einzige und ein Junge in diesen Zeiten ist das einzig Senkrechte, Mädchen sind immer zweite Wahl.
Es sind die sechziger Jahre, die prüden Fünfziger grade rum und ich weiß – Triumph! – ich bleibe der Einzige, meine Mutter kann nämlich keine Kinder mehr bekommen. Was will ich mehr, ich bin der King im Hause und habe als Einziger unter meinen Kumpels ein eigenes Zimmer.
Gerd, den wir immer nur den Lulatsch nannten, war trotz seines Spitznamens klein und schmächtig und dabei fürchterlich dünn. Und wir wussten auch warum. Er hatte Leukämie und durfte sich eigentlich nicht anstrengen. Es gab in dieser Zeit nicht allzu viel, was man dagegen tun konnte. Er war unser allerbester Kumpel und wenn wir uns trafen, wurden nicht nur die Hände geschüttelt, wir umarmten und drückten ihn, was er nicht immer so dulden wollte. Er wusste sehr wohl, was ihm bevorstand und worauf seine Krankheit hinauslief, nämlich, dass er sterben würde. Aber Gerd hatte einen unbändigen Lebenswillen und er wollte bei allem dabei sein, was wir taten. Er war beleidigt, wenn er merkte, dass wir ihn schonen wollten.
Nächtliche Mutproben, die uns quer durch ein Straßenquadrat über Mauern, Gärten und Garagendächer führten, waren unsere Spezialität. Es musste geklettert werden, durch Beete gekrochen und mit eingezogenem Kopf durch Hinterhöfe geschlichen werden; immer schwebte die Angst entdeckt zu werden wie ein Damoklesschwert über uns. Und Gerd war immer mittendrin und danach stets völlig außer Atem. Mehr als einmal waren wir ver-zweifelt, dass er jetzt und gerade sterben würde.
Mehr als einmal mussten wir uns Strafpredigten seiner Eltern anhören, wenn wir ihn wieder mal leichenblass und nach Luft röchelnd nach Hause brachten. Sie kannten zwar ihren Sohn und dass er einfach immer und überall dabei sein wollte. Sie wollten uns deshalb keine Vorwürfe machen, machten es dann aber doch. Wir waren eine verschworene Gemeinschaft, gesucht und gefunden, weil wir unsere Freiheit auskosten durften und der Einbruch der Nacht kein Hindernis war. Gerd war dabei und wer bemerkte schon die vom Weinen rot umrandeten Augen, wer hörte zuhause das nächtliche Schluchzen und spürte die Angst, die ihn innerlich zerfraß?
Ein Erlebnis mit ihm hatte mich zutiefst erschüttert: Ein Gartenbesitzer, durch dessen Beete wir mehr als einmal nachts getrampelt waren, hatte Schilder aufgestellt: Achtung, Fußangeln und Selbstschüsse!
Wir vermuteten, dass dies lediglich zur Abschreckung dienen sollte. Aber für Gerd war das eine Tatsache. Er wollte über den Zaun steigen und wir konnten ihn nur mit Mühe davon abhalten. Sein Kommentar war