Hopfenduft und Butterbrezel. Wolfram Fleischhauer

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Название Hopfenduft und Butterbrezel
Автор произведения Wolfram Fleischhauer
Жанр Документальная литература
Серия Lindemanns
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783881909747



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im Gedächtnis haften blieb, weil er uns etwas sehr Seltenes mitbrachte: Schokolade! Karlsruhe war, wie andere Städte, übersät von Trümmern und Ruinen. Die Aufräumungsarbeiten zogen sich lange hin und wurden unterstützt vom AAK-Bähnle (Adolf Alte Kämpfer), das auch an unserem Hause vorbeifuhr direkt zum Gymnasium, was uns zuweilen reizte, auf dem Puffer mitzufahren, was zwar verboten, aber schön war.

      In den ersten Schuljahren nach dem Zusammenbruch gab es täglich die Schülerspeisung, ein Geschenk des amerikanischen Präsidenten Hoover und der Amerikaner. Es war nicht immer appetitlich, aber es stillte den Hunger, zumal die Lebensmittelkarten nur das Notwendigste garantierten.

      Im Februar 1945 kam für mich die Zeit der Ersten Kommunion, auf die mich Pfarrer Dr. Richard Doldt vorbereitete, ein Priester, den mein Vater als Anwalt aus den Händen der Gestapo gerettet hatte. Er kam zurück nach St. Bonifaz, wo einige Leute lautstark zum Ausdruck brachten, dass ein Priester, der kein Nationalsozialist ist, im Grunde untragbar sei. Ich war damals der einzige Erstkommunikant und der Gottesdienst wurde im Herz-Jesu-Stift gefeiert. Damals wussten wir noch nicht, dass unser Vater bereits tot war.

      Bei dem Angriff am 4. Dezember 1944 wurde die Geistlichkeit von Sankt Peter und Paul getötet und da ich Ministrant war, konnte ich bei der Beerdigung auf dem Karlsruher Hauptfriedhof ministrieren. Man hat von den Toten nicht mehr viel gefunden. Noch heute stehe ich manchmal vor ihren Gräbern.

      Unsere Mutter legte großen Wert darauf, dass wir neben dem Schulunterricht im Konservatorium in der Jahnstraße Unterricht bekamen. Da ich immer ein Freund der Orgel war und heute noch bin und auf alle Fälle spielen wollte, musste ich dort vor Direktor Rumpf eine Prüfung ablegen und ich spielte ihm auf dem wohltemperierten Klavier etwas von Bach vor. Die Prüfung habe ich zwar bestanden, aber aus irgendwelchen Gründen kam es nicht zum Orgelspielen.

      Während unserer Schulzeit hat unser Musiklehrer Erich Werner den Oratorien-Chor gegründet, dem ich beitrat und bis zum Beginn meines Studiums angehörte. Bis heute sind mir die Aufführungen des Stabat Mater von Dvorak, der Schlusschor der 9. Symphonie von Beethoven, seine Missa Solemnis und das Requiem von Giuseppe Verdi in Erinnerung geblieben. Als Schüler konnten wir für 50 Pfennig am Sonntagmorgen die jeweiligen Symphoniekonzerte als Vorkonzert der Badischen Staatskapelle besuchen. So erlebte ich unter anderem die Dirigenten Otto Mazerath und Alexander Krannhals.

      Ausflüge mit der Klasse gingen nach Straßburg ins Europaparlament und zu einer schneereichen Freizeit in die Nähe des Feldbergs. Unsere Klassengemeinschaft blieb neun Jahre lang zusammen und wird heute noch gepflegt durch jährliche Treffen und Exkursionen, was allen Freude macht.

      Als ich nach dem Krieg ein zusammengebasteltes Fahrrad bekam, konnte ich Karlsruhe in alle Richtungen erkunden. Es war sehr viel zerstört, und wenn ich heute da und dort in meiner Stadt unterwegs bin, gehen meine Gedanken zurück: Das war einmal alles zerstört!

      Ich habe Karlsruhe nach dem Krieg zunächst ohne alle Aufgeregtheiten erlebt, selbst wenn einmal ein politischer Strauß ausgefochten werden musste. Zum Beispiel die Entscheidung für den Südweststaat oder die Wahl zum Oberbürgermeister mit den Kandidaten Günter Klotz und Franz Gurk. Obwohl ich auch andere Wahlveranstaltungen besuchte, kann ich mich nicht an persönliche Beleidigungen und billige Auseinandersetzungen ohne Niveau erinnern.

      1945 verließ ich Karlsruhe, um in Freiburg Theologie zu studieren. Aber immer wieder in den Ferien bin ich nach Karlsruhe zurückgekehrt, um für das Weiterstudium Geld zu verdienen, am Finanzamt in der Moltkestraße und später am Zirkel. Die Arbeit in der KLV, die miserabel bezahlt wurde, ist mir in schlechter Erinnerung geblieben.

      Während meines Studiums wechselte ich kurz nach Münster in Westfalen, um dann schließlich im Jahr 1961 in Freiburg die Priesterweihe zu empfangen. Damit begann mein aktives Berufsleben.

      Im Jahre 2005 bin ich nach meiner Pensionierung wieder in meiner Heimatstadt Karlsruhe sesshaft geworden, die ihren Reiz für mich bis heute noch nicht verloren hat. Ich weiß, dass es Karlsruhe schwer hat gegenüber Stuttgart und wenn ich irgendwas bedauere, ist es die Tatsache, dass das alte Hoftheater, in dem ich noch „Hänsel und Gretel“ und die „Puppenfee“ als Kind erleben durfte, seinen schönen Platz am Schloss verloren hat.

      Heute ist Karlsruhe wieder aufgebaut und eine begehrte Metropole und wird regiert von Oberbürgermeistern, die treu zu ihrer Stadt stehen. Dass es in meiner Heimatstadt eine große Straße gibt, die den Namen meines Vaters trägt und auf dem Karlsruher Hauptfriedhof ihm zu Ehren eine würdige Gedenkstätte geschaffen wurde, bindet mich noch intensiver an Karlsruhe.

      Für mich ist es selbstverständlich, dass auch ich auf diesem Friedhof mit der wunderbaren Atmosphäre, wo auch unsere Familienangehörigen ruhen, meine letzte Ruhestätte haben werde. – So sind und bleiben wir in Karlsruhe weiter beisammen.

      Ein Leben wie im Roman

       Helmut Fricker

      Manchmal sagen die Leute: „Helmut, du musst unbedingt dein Leben aufschreiben, was du und deine Ursula alles erlebt haben... “

      Das stimmt schon, ich habe hundert Geschichten zu erzählen und als kleiner Bub, der 1936 in Karlsruhe in die Nazizeit und die Kriegsjahre hineingeboren wurde, habe ich Jahre der Entbehrung erlebt und bewundere heute noch meine Mutter, die mit uns vier Kindern praktisch von der Hand in den Mund lebte. Unsere Wohnung in der Scheffelstraße wurde im Krieg ausgebombt und die Fenster mit Brettern vernagelt. Mutter wusste es nicht, ob Vater überhaupt noch lebte, bis er 1950 plötzlich aus russischer Gefangenschaft heimkehrte und vor unserer Haustür stand. Ecke Kriegs-und Scheffelstraße gab es die Blumenbinderei Hamm, die auch Obst und Gemüse verkaufte.

      Johanna Hamm, „die schöne Gärtnerin“, wie sie die Karlsruher nannten, war eine energische Frau. Sie gab mir die Möglichkeit, mein erstes Taschengeld als Laufbursche zu verdienen. Ich habe Blumen ausgeliefert und beim Milch-Kiefer mit dem blechernen Milchkännle für sie eingekauft. Dafür bekam ich jede Woche eine Mark. – Später dann heiratete Johanna Hamm den Maler Otto Laible, der mich und meine Schwester Rosi porträtierte. Noch heute sehe ich das Bild vor mir, habe auch schon überall nach ihm geforscht, selbst im Museum in Haslach, aber ohne Erfolg. Nie vergesse ich den freundlichen alten Herrn, der später auch Direktor der Kunstakademie in Karlsruhe wurde und mit seiner Frau in einem kleinen Häuschen in Daxlanden lebte. Als ich mit meiner Frau Ursula später ein Haus in Mörsch bauen wollte, musste ich 2.000 Mark Eigenkapital erbringen. Wen sollte ich darum bitten? Da fiel mir der Maler ein, der mir ohne zu zögern das Geld gab, das ich ihm noch vor meiner späteren Auswanderung nach Amerika zurückbezahlte.

      Mit 14 Jahren fing ich als Lehrling in der Buchbinderei Schick an und ließ mich zum Meister der Kunst-Buchbinderei ausbilden. Später wechselte ich dann als Industrie-Buchbinder zum Verlag G. Braun. Meine spätere Frau Ursula, mit der ich jetzt 57 Jahre lang glücklich verheiratet bin, lernte ich als 16-jähriges Mädchen in Rappenwört unter dem Dach des Milchhäusle kennen. Ihre Kollegin, mit der sie damals beim Geschirr-und Geschenkhaus Eberhard am Ludwigsplatz angestellt war, hatte ich auf dem Rosenball kennengelernt. Als die beiden eines Tages das Schaufenster dekorierten, kam ich zufällig vorbei und sie sagte zu Ursula: „Guck, da isch der widder vom Roseball ... “ Und als ich kurze Zeit später in Rappenwört war und ein Regenguss einsetzte, flüchtete ich unter das Dach des Milchhäusle, sah Ursula und verliebte mich in sie. Die andere versuchte uns auseinanderzubringen, erzählte Ursula, dass ich sie geküsst hätte, aber das hatte sie nur erfunden, um uns auseinanderzubringen.

      Sie war zwanzig, ich war dreiundzwanzig, als wir heirateten, ohne einen Pfennig Geld und mit Hilfe der Familie ein Haus in Mörsch bauten, das heute noch steht. Gemeinsam mit Ursula richtete ich dort einen Lebensmittelladen ein, der gut lief, bis der erste Supermarkt „Cash und Carry“ eröffnete. Sechs kleine Läden starben damals innerhalb eines Jahres. Wie mühsam hatten wir uns unser Haus erspart, jeden Nagel hatte ich auf der Straße aufgehoben und ihn gerade gebogen, jedes Stück Holz aufgesammelt, bei einem Architekten das Einschalen und Zementieren gelernt und nebenher machte ich noch Musik mit meiner Band, die wir „Ruck Zuck“ nannten und mit der ich erfolgreich bei Karlsruher Veranstaltungen auftrat. Ich spielte Posaune, Trompete, Ziehharmonika – und singen und in die Bütt steigen konnte ich auch. Auch das Fotografieren und das Entwickeln der Bilder in meinem kleinen Labor benutzte