Lampenfieber. Claudia Spahn

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Название Lampenfieber
Автор произведения Claudia Spahn
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783894878214



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      ► Die oben beschriebene optimale Variante des Lampenfiebers kann auch als leistungsfördernde Form bezeichnet werden. Sie ist gekennzeichnet durch eine verstärkte Konzentration und Leistungssteigerung sowie eine positive Selbsteinschätzung. Viele Künstler beschreiben dann beim Auftritt »High«-Erlebnisse – wie beispielsweise der Bariton Thomas Allen, der nach einer Vorstellung des »Don Giovanni« in Japan in einem Zeitungsinterview sagte: »Ich hätte über die Hausdächer hüpfen können, so high fühlte ich mich.« (Independent on Sunday, 1990). Selbst diese Idealvariante des Lampenfiebers ist jedoch, wie bereits dargelegt, gekennzeichnet durch eine Spannung zwischen Freude und Angst.

      ► Die zweite Variante des Lampenfiebers bezeichnen wir als leistungsbeeinträchtigende Form. Sie ist gegenüber der ersten gekennzeichnet durch ein Übergewicht der Angstkomponente. Hier leiden wir teilweise unter unserem Lampenfieber oder es stört uns. Neben den positiven, d.h. das Selbstwertgefühl stärkenden Gedanken treten auch negative wie Selbstzweifel oder Misserfolgserwartungen auf. Hieraus können Konzentrationsstörungen, Gedächtniseinschränkungen oder Blockaden resultieren. In manchen Momenten würden wir uns vor der Anforderung des Auftritts am liebsten zurückziehen und wir zeigen Ansätze von Vermeidungsverhalten.

      ► Die dritte Form bezeichnen wir als leistungsverhindernd, sie ist gleichbedeutend mit der Auftrittsangst. Von Auftrittsangst sprechen wir, wenn ein Grad der Angst erreicht wird, bei dem die Leistung in der Auftrittssituation sehr stark behindert oder unmöglich ist und bei dem die Person psychisch so stark belastet ist, dass sie Tage oder Wochen vor bzw. nach dem Auftritt nicht mehr am sozialen Leben teilnehmen kann und Symptome von Stress und Depression entwickelt. Die Auftrittssituation wird hier als extrem belastend wahrgenommen. Es resultiert häufig eine völlige Blockade bzw. ein Vermeidungsverhalten, sodass Auftritte abgesagt oder gar nicht mehr geplant werden.

      Für die Gesamteinschätzung des Lampenfiebers ist es maßgeblich, wie häufig sich welche Anzeichen im Verlauf einer längeren Periode von Auftritten äußern und wie groß insgesamt deren Variationsbreite ist. Wechseln sich positive und negative Auftrittserfahrungen ab, so ist dies insgesamt eher als günstig einzuschätzen, da sich dann kein überdauerndes negatives Auftrittsmuster etabliert hat. Hierbei ist auch zu betonen, dass Schwankungen des Lampenfiebers zur Auftrittsrealität gehören und dass ein stabiler Idealzustand mit ausschließlich positiven Lampenfiebererfahrungen nur selten anzutreffen sein wird. Sogar die Grenzen zwischen Lampenfieber und Auftrittsangst sind fließend und können situativ sowie in der Lebenszeitperspektive und im Laufe des Berufslebens variieren.

      Lampenfieber kann in Bezug auf den Auftritt zeitlich ganz unterschiedlich verlaufen. Bereits Tage bis Wochen vorher kann eine erhöhte Grundspannung bestehen oder sich beim Gedanken an den bevorstehenden Auftritt Lampenfieber einstellen. Je näher der Auftritt rückt, desto stärker wird in der Regel das Lampenfieber. Im Verlauf des Auftritts lässt die Spitze der Aufregung dann nach, wobei eine erhöhte Vigilanz während des ganzen Auftritts bleibt, das Lampenfieber also nie ganz verschwindet. Lampenfieber kann jedoch auch ganz anders verlaufen. Manche Personen sind direkt vor dem Auftritt ziemlich ruhig und das Lampenfieber überfällt sie, sobald sie die Bühne betreten, oder es kommt plötzlich während der Darbietung auf der Bühne über sie. Auch gefürchtete Stellen oder Passagen während des Auftritts können das Lampenfieber nochmals kurzfristig hochschnellen lassen.

      Zum Verlauf von Angst vor und während des Fallschirmspringens machten Fenz und Epstein bereits vor über 40 Jahren eine interessante Studie (Fenz u. Epstein, 1967). Hierbei verglichen sie je 33 erfahrene (mit bereits über 100 Absprüngen) und unerfahrene (mit 1 bis 5 Absprüngen) Fallschirmspringer. Beide Gruppen hatten ähnlich starkes Lampenfieber, die erfahrenen Fallschirmspringer zeigten jedoch eine bessere Angstregulation, da bei ihnen der Gipfel des Lampenfiebers vor dem Absprung lag, während die unerfahrenen Fallschirmspringer das stärkste Lampenfieber genau in der gefährlichen Reaktionszone während des Absprungs hatten (Abb. 7).

      Abb. 7: Angstkurve bei Fallschirmspringern (nach Fenz u. Epstein, 1967)

      Auch bei vielen erfahrenen Musikern liegen die Lampenfieberspitzen vor dem Auftritt. So bestellte der berühmte Jazzpianist und Komponist Michel Petrucciani im Jahr 1995 bei den Leipziger Jazztagen den Journalisten für ein Zeitungsinterview extra vor dem Konzert, um sich dann, wenn das Lampenfieber für ihn am schrecklichsten war, abzulenken: »Auf dem Weg zur Bühne fluchte Petrucciani: ›I hate it‹. Eine Art Hassliebe, eine Überwindung ins Rampenlicht zu treten. Und schließlich: Standing Ovations.« (Noglik, 2002)

      Da Lampenfieber zum menschlichen Erlebensrepertoire gehört, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass jeder Mensch im Laufe seines Lebens Lampenfieber erfährt – die meisten Menschen sicherlich bei einer Rede oder Ansprache. Berufsgruppen wie Künstler, Politiker, Lehrer u.a. verbringen ihren Beruf größtenteils auf Bühne und Podium. Für sie stellt Lampenfieber in all seinen Ausdrucksformen eine Berufsrealität dar, die sie zwingt, ihre eigenen Bewältigungsstrategien zu entwickeln und im Laufe des Berufslebens immer wieder neu anzupassen. Sie unterscheiden sich damit sehr deutlich vom größeren Teil der Bevölkerung, der vergleichsweise viel seltener Situationen erlebt, in denen Lampenfieber auftritt. Die absolute Häufigkeit von Lampenfieber hängt demnach davon ab, wie häufig eine Person in ihrem individuellen Leben oder bestimmte Personengruppen in ihrem Berufsfeld Auftrittssituationen ausgesetzt sind. Da Lampenfieber in verschiedenen Ausprägungen auftritt, ist die weiterführende Frage interessant, wie häufig uns Lampenfieber in welchen Formen begegnet. In diesem Zusammenhang ist allgemein eine deutliche Tendenz festzustellen, die Aufmerksamkeit stärker auf die beeinträchtigenden Seiten des Lampenfiebers zu richten. Diese Tendenz findet sich sowohl in Zeugnissen über Künstler als auch in der wissenschaftlichen Literatur wieder. Insgesamt lässt sich sagen, dass nicht nur Menschen, die wenig auftreten, sondern auch Künstler mit umfangreicher Auftrittspraxis starkes Lampenfieber erleben.

      Manche Künstler glauben, dass leistungsbeeinträchtigendes Lampenfieber sich nur bei schlechten Künstlern manifestiert und kommen im Umkehrschluss zu dem Fazit, dass sie selbst – da sie von großem Lampenfieber geplagt sind – folglich schlechte Künstler sein müssen. Dies ist jedoch ein bedauerlicher Irrtum, da auch starkes Lampenfieber unabhängig von der artistischen Potenz und Qualität des betreffenden Künstlers auftreten kann. Gerade in jüngster Zeit haben einige der aktuell populärsten Stars der Rock- und Popszene wie Robbie Williams oder die 2009 als beste Nachwuchskünstlerin mit dem Grammy ausgezeichnete Adele in Interviews über ihre sehr großen Probleme mit dem Lampenfieber berichtet. Autobiografische Aufzeichnungen erfolgreicher Künstler zu ihrem Erleben von Lampenfieber und Umgang mit Auftritten stellen eine interessante Quelle dar. So kennen wir eine Reihe von Künstlern, die unter starkem Lampenfieber leiden oder litten, denken wir z.B. an die Sängerinnen Ella Fitzgerald, Barbra Streisand