Liebst du um Schönheit. Thomas Hampson

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Название Liebst du um Schönheit
Автор произведения Thomas Hampson
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783894879396



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und man kann durchaus behaupten, dass es das persönlichste Liebeslied, wenn nicht gar das einzige ist, das er jemals geschrieben hat.

      Mahlers Inspirationsquelle war ein Gedicht von Friedrich Rückert mit dem Titel »Sicilienne« aus der Gedichtsammlung Liebesfrühling. Eine Sicilienne ist ein langsamer Tanz, eine Art Pastorale oder Ländler. Metaphorisch verwendet bezeichnet »Sicilienne« auch einen sanft gehauchten Liebesgruß. Der Hintergrund von Rückert als Italienreisender und Orientexperte, welcher vielen seiner Gedichte jenen so einzigartigen Beiklang gibt, scheint hier, in dieser sehnsüchtigen Anrufung der Liebe um ihrer selbst willen, besonders prägend. Mahler hat in Rückerts schwärmerischer Abwendung von der Beschäftigung mit »Schönheit«, »Jugend« und »Schätzen«, um sich dem einzigen Sinn des Lebens – der »Liebe« – zu widmen, gewiss eine Entsprechung für seine Liebe zu Alma gefunden. Sie war schön, er nicht. Sie, die um fast 20 Jahre Jüngere, war jugendlich, er nicht. Und in seiner Welt gab es ganz andere Schätze als in jener, der sie vor ihrer Ehe angehörte. Aber – er liebte sie, verehrte sie, verstand sie auch oft nicht richtig und flehte sie an, das Vertrauen in ihre ewigliche innige Verbundenheit nie zu verlieren.

      Man kann diese Liebesgeschichte einfach bewundern und sich daran freuen. Aber mich interessiert vor allem Mahlers lebenslange Beschäftigung mit den Worten »Schönheit« und »Liebe«. Seine und Rückerts »Schönheit« ist die Schönheit im Sinne von John Keats, der sagte: »Schönheit ist Wahrheit, Wahrheit ist Schönheit – das ist alles, was ihr auf Erden wisst, alles, was ihr zu wissen braucht.« Die »Liebe« dieser Männer ist die Liebe schlechthin, die aus Eros, Philia und Agape besteht.

      Jenes mystische Ideal, das Mahler in seiner Musik für mich immer wieder aufzeigt, ist einer der zentralen Orientierungspunkte in meinem Leben gewesen. Genau wie Mahlers Credo, stets nach dem Eigentlichen zu suchen (und zwar unabhängig von persönlichen Eitelkeiten, geleitet von tiefer Aufrichtigkeit und im Hier und Jetzt lebend), für mich immer wieder ein Quell des Staunens und der Dankbarkeit ist. Um es mit Joseph Campbell, dem großen amerikanischen Denker, zu sagen: «The privilege of a lifetime is being who you are.«

      Doch bevor wir nun in medias res gehen, möchte ich Sie noch einen Blick hinter die Kulissen werfen lassen, auf diejenigen, ohne die ich dieses Buchprojekt nicht hätte in Angriff nehmen können.

      Da wäre zunächst der Henschel Verlag, vertreten durch seine Programmleiterin Susanne Van Volxem, der eine bemerkenswerte Reihe an biografischen Werken unterschiedlicher Art von darstellenden Künstlern unserer Zeit verlegt. Ich bin dankbar nicht allein dafür, mich mit meinem Buch in diese Reihe eingliedern zu dürfen, sondern vor allem für Susanne Van Volxems beharrliche Ermunterung und Geduld von Anfang an. Danken möchte ich auch Hans-Jürgen Linke, der mir eine Zeitlang bei diesem Unterfangen als mein »Boswell« sekundierte und dessen Arbeit einen nachhaltig positiven Einfluss auf die weitere Entwicklung hatte. Erwähnt sei an dieser Stelle ebenso Clemens Prokop, dessen vielfältige Karrieremöglichkeiten ihm eine außergewöhnliche Disziplin und Konzentration abverlangen; ihm möchte ich dafür danken, dass er die Herausforderung angenommen hat, sich den Gezeiten meiner Terminplanung anzupassen und mit mir zusammen nach den richtigen Worten zu suchen, während wir gemeinsam das Labyrinth meiner vergangenen Tage durchschritten und diese zu deuten versuchten.

      Doch insbesondere meiner Familie und den gemeinsamen Fähigkeiten und individuellen Talenten ihrer Mitglieder ist es zu verdanken, dass dieses Buch am Ende tatsächlich Wirklichkeit geworden ist. Unterstützung habe ich von ihnen allen erfahren, in herausragender Weise aber von meinen geliebten Töchtern: Catherine Pisaroni, deren Blick für Schönheit und optische Klarheit mich immer wieder neu in Erstaunen versetzt und mich die Dinge in einem anderen Licht betrachten lässt, und Felicitas Herberstein, deren Einfühlungsvermögen in die komplexen Gedanken und Gefühle anderer Menschen generell, aber speziell in die besonderen Befindlichkeiten von Künstlern maßgeblich dazu beigetragen hat, dem Buch seine jetzige Struktur und Gestalt zu verleihen.

      Last but not least geht mein Dank an die Mutter dieser Töchter, an meine geliebte Frau Andrea Herberstein, dank deren grenzenloser Energie, sprühender Intelligenz und innigem Vertrauen ich des Lebens »Schönheit« zu erkennen vermag und die mir immer wieder zeigt, was eine »ewigliche Liebe« bedeutet. Aus tiefstem Herzen widme ich ihr dieses Buch.

      Thomas Hampson

      Zürich, im Mai 2014

      A Boy from Spokane

      Autobiografische Notizen aus den ersten Sängerjahren

      Meine Kindheit und Jugend habe ich in Washington State verbracht, einer wunderbaren Gegend mit Klimazonen aller Art im Nordwesten der Vereinigten Staaten von Amerika. Aufgewachsen bin ich in einer Wüstenregion an der Grenze zwischen Idaho und Oregon, da mein Vater damals als Chemiker an Projekten zur friedlichen Nutzung von Atomenergie gearbeitet hat. So zog die Familie im Herbst 1955 – ich war gerade ein paar Monate alt – nach Richland, Washington, denn in dieser Gegend der USA waren zahlreiche Unternehmen im Bereich der nuklearen Energiegewinnung tätig, darunter auch General Electric (GE). Als Teenager verließ ich dann die Metropolregion Tri-Cities, um in der Nähe von Spokane ein Internat zu besuchen. In Spokane habe ich mein erstes sinfonisches Konzert gehört, meinen ersten Stimmunterricht bekommen und mein Universitätsstudium beendet – Spokane ist also die Stadt, in der ich erwachsen wurde.

      Ursprünglich stammt meine Familie aus dem Mittleren Westen, hauptsächlich aus den Bundesstaaten Missouri und Kansas. Meine beiden Großväter waren Farmer, der Vater meines Vaters besaß allerdings noch eine Baufirma, die sich auf Straßenbau spezialisiert hatte. Dort arbeitete auch mein Vater zunächst, mit der Folge, dass vor seinem Wechsel zum Hanford Nuclear Park einige Umzüge für ihn und meine Mutter zu bewältigen waren: Eine meiner beiden Schwestern ist in Missouri zur Welt gekommen, die andere in South Dakota und ich als der Jüngste von uns dreien in Indiana.

      Familie Hampson Anfang der 1960er-Jahre

      © Privatarchiv Thomas Hampson

      Meine Familie hat die ganze Entstehungsphase der modernen amerikanischen Welt parallel zur Entwicklung der Atomindustrie in dieser Gegend miterlebt. Am Ende seiner Karriere leitete mein Vater die erste Herstellerfirma für kommerziell genutzte nukleare Heizstäbe und ging aus dieser Position dann in den Ruhestand. Ich habe in all den Jahren meinen Vater nur zwei- oder dreimal im Büro besucht – die Sicherheitsmaßnahmen in der Nuklearanlage waren einfach zu umständlich. Was ich deutlich in Erinnerung habe, sind die regelmäßigen Urinproben bei allen Hanford-Angestellten. Einmal in der Woche kam jemand mit einer Kiste vorbei, in der es leise klirrte: die Gläschen mit den Urinproben, anhand derer bei jedem Mitarbeiter die Intensität der Bestrahlung gemessen wurde. Ansonsten spielte sich die Arbeit meines Vaters hinter streng verschlossenen Türen ab. Es war alles sehr technisch und für mich damals fürchterlich kompliziert.

      Mein Vater hat also viel und gut abgeschottet von uns gearbeitet, aber zu Hause war er mein »Dad«. Unser Familienleben in den 1950er- und 1960er-Jahren war ein Paradebeispiel für den Alltag einer amerikanischen Familie nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich bin sehr behütet aufgewachsen, und mein Vater hat mich als Sohn und Jüngsten ganz anders als die beiden älteren Mädchen behandelt – er war mein engster und bester Freund. Es war eine Bilderbuchkindheit. Wir haben Golf und Baseball gespielt, er war Scout Leader bei den Pfadfindern – das musste immer ein Erwachsener sein –, und meine Freunde haben mich beneidet um diesen Vater. Damals war er uneingeschränkt mein Held. Er war ein großer Bauernjunge und sehr stark – ich meine, wirklich stark, zum Fürchten stark. Geprägt von einer männlichen Welt, wollte auch ich so ein Mannsbild ­werden.

      Vater und Sohn, um 1968

      © Privatarchiv Thomas Hampson

      Einmal in der Woche hat mein Vater mit seinen Freunden Golf gespielt. Als sein »Caddy« war ich immer dabei. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich den Sport selbst gelernt habe, ich erinnere mich nur an mein erstes Golfset, mit gekürzten Schlägern. Wir sind auch oft