Название | Hermann Broch und Der Brenner |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Edition Brenner-Forum |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783706561211 |
In einem frühen Brief von 1925 formuliert Broch Gedanken zum Zusammenhang von Tod, Unsterblichkeit und Erkenntnis. Er unterscheidet nicht lediglich zwischen Körper und Seele, sondern kennt ein Körper-Ich und ein Denk-Ich. Während ersteres sterblich sei, könne man bei letzterem nicht im gleichen Sinne von einem Ende durch den „Tod“ sprechen. Im „Ich-Bewusstsein“ liege vielmehr – das erinnert an Platons Phaidon – „der logische Rückhalt eines jeden Unsterblichkeitsglaubens“. Würde das Ich-Bewusstsein „vom Körperlichen losgelöst sein und faktisch die gesamte Wirklichkeit [...] erkennen können, so hätte es das Bewußtsein eines Gottes“ und müsste als solches „unsterblich“ sein. Das sei zwar unmöglich, doch nähere sich das Bewusstsein mit jedem Schritt „in der Erkenntnisarbeit“ diesem „Ziel“ an. Daher rühre „das unerhörte Glücksgefühl“, wenn man eine „neue Erkenntnis“ gefunden habe. „Ich bin fest überzeugt“, schreibt Broch in diesem Brief von 1925, „daß ein stetes Arbeiten um die Erkenntnis der Welt am Schluss des Lebens nicht verloren geht, nicht nur, weil man der Welt eine neue Erkenntnis gebracht hat, die unverloren bleibt, sondern weil sich das Ich eine Annäherung an die Unsterblichkeit erkämpft hat.“ (KW 13/1, 63)
Broch weicht hier offensichtlich von der Unsterblichkeitsvorstellung der christlichen Erlösungsreligion ab. Nicht gute Werke im Sinne der Parabeln und Gebote Christi oder der Gnadenakt Gottes vermitteln ein ewiges Leben der Einzelseele, sondern die Erkenntnisleistung des indivuellen Ich-Bewusstseins. Gott ist gleichsam die Totalerkenntnis, und menschlich-partielle Erkenntnisdurchbrüche bedeuten für den erkennenden Menschen eine Annäherung an Gott und seine Ewigkeit. Im Tod des Vergil hat Broch diese elitäre, den Mitgliedern von Wissenschaft und Kunst vorbehaltene Aufnahme in eine Art Erkenntnishimmel ergänzt durch einen christlichen Weg hin zur Unsterblichkeit. Da geht es um Nächstenliebe, um faktische Freiheitserweiterung für andere. Während der sterbende Vergil weiß, dass sein literarisches Werk keinen Erkenntnisdurchbruch markiert, ist er sicher, dass er mit der Sklavenbefreiung den richtigen praktischen Schritt zur Entgrenzung der Ethik seiner Zeit getan hat.
Broch kannte auch die philosophischen und literarischen Unsterblichkeits-Deutungen der Renaissance, der Aufklärung und der Klassik. Er teilte seinen Vergilroman in vier Kapitel ein, die nach den Elementen „Wasser“, „Feuer“, „Erde“ und „Äther“ benannt sind. Es ist wahrscheinlich, dass er dabei durch Paracelsus und seine Elementenlehre beeinflusst war. Wie Paracelsus von einem „Elementarleib“ des Menschen spricht, der aus Erde und Wasser besteht und ihn mit den anderen Naturwesen teilt, so kennt er einen „astralischen Leib“ aus Luft und Feuer, der den Menschen mit dem All verbindet. Darüber hinaus gesteht Paracelsus dem Menschen als geistigem Wesen die „anima“ zu.43 Wie später bei Broch ist es dem Menschen schon nach Paracelsus möglich, durch „Erkennen“ die göttlichen Kräfte wahrzunehmen und sich dadurch Gott zu nähern. Die Voraussetzung dafür liege darin, dass Gott nicht außerhalb, sondern innerhalb der Schöpfung vorhanden sei. Auch Spuren der Mikro- und Makrokosmostheorien des Paracelsus mit den postulierten Entsprechungen sind in Brochs Roman zu entdecken. Im Tod des Vergil ist vom „großen Gleichgewicht zwischen dem Ich und dem All“ (KW 4, 133) auf die eine oder andere Weise oft die Rede.
Mit Spinoza hatte sich bereits der frühe Broch auseinandergesetzt, wie seinen Philosophischen Schriften (KW 10/1, 150, 162, 199) zu entnehmen ist. Obwohl Spinozas Pantheismus von einer impersonalen Gottheit ausgeht und sich das menschliche Individuum durch den Tod ins Naturganze (natura naturans) auflöst, bestand Spinoza darauf, dass sich vom menschlichen Geist etwas erhalte, das ewig sei.44 Das ist dem 23. Lehrsatz im 5. Teil seiner Ethik, mit der Broch vertraut war, zu entnehmen.
Beeinflusst durch Paracelsus entwickelte Leibniz seine Vorstellung der Monade, die den Mikrokosmos des Universums spiegelt und die Verbindung zur göttlichen Zentralmonade garantiert. Für die Leibniz-Generation war die Unsterblichkeit der Seele eines der großen philosophischen Themen. Die menschliche Seele wird als unzerstörbare Monade verstanden, die zu Gott als „Urmonas“ ein Verhältnis hat wie das Kind zum Vater und sich im Sinne der Vervollkommnung auf das göttliche Urbild hinentwickelt. Broch steht in einer Tradition des Leibnizschen neuplatonischen Denkens über Unsterblichkeit, da hier philosophische Überlegungen die theologischen abgelöst haben, ohne die Idee der Perfektibilität der Einzelseele aufzugeben.
Moses Mendelssohn, noch unter dem Einfluss von Leibniz stehend, knüpfte an Platons Dialog Phaidon an, als er die Gespräche Phaidon oder über die Unsterblichkeit der Seele publizierte, ein Buch, das sich in Brochs Wiener Bibliothek befand.45 Sokrates ist hier ein Philosoph, der gleichsam Mendelssohnsche Theorien über die Unsterblichkeit der Seele verbreitet. Auch Mendelssohn spricht vom Erkennen der Wahrheit, die der Seele auferlegt sei. Gelöst von den körperlichen Fesseln könne dieses Erkennen nach dem Tod besser fortschreiten.46 Auch bei Mendelssohn wird die erkenntnismäßige Vervollkommnung als Glückszustand, weil als Annäherung an Gott verstanden.47 Brochs Überzeugung von der Annäherung an die Unsterblichkeit qua Erkenntnisleistung teilte er mit Paracelsus, Spinoza und Mendelssohn.
Die französischen Beiträge aus der Zeit des späten 17. Jahrhunderts zum Thema Unsterblichkeit waren viel weniger durch ein theologisches Erkenntnisinteresse bestimmt. Fontenelle, dessen Dialogues des morts in ihrer Zeit viel Aufsehen erregten, war der Meinung, dass die Seele substanzlos und somit sterblich sei.48 Solche Thesen hinterließen ihre Spuren bei den Vertretern der französischen Aufklärung. Im 18. Jahrhundert verliert der christliche Glaube bei der Intelligenz an Boden, und es setzt sich die Auffassung einer rein innerweltlichen Unsterblichkeit durch, d.h. die Vorstellung vom Weiterleben der ‚großen Tat‘ des Einzelmenschen in der Geschichte. Die Unsterblichkeit der Seele wird kaum noch diskutiert, und wenn sich Diderot und Falconet in einer umfangreichen Korrespondenz über die Vorstellungen von „Unsterblichkeit“ austauschen, geht es nur noch um Ruhm, der entweder schon zu Lebzeiten einsetzt (dann aber nicht gesichert ist) oder sich erst im Lauf der Zeit festigt und den folgenden Geschlechtern selbstverständlich erscheint. Die Nachwelt, heißt es, ist das Tribunal, auf dem über den Ruhm entschieden wird. Dieser Gedanke durchzieht auch das Gesamtwerk von Jean-Jacques Rousseau.49 Im Gespräch zwischen Kaiser Augustus und Vergil in Brochs Roman geht es dem Autor um die Profilierung des Unterschieds zwischen der irdischen Unsterblichkeit, um die es dem Cäsar zu tun ist, und Vergils Vorstellung von der metaphysischen Unsterblichkeit qua Erkenntnisleistung oder Liebestat.
Die Einflüsse Spinozas und Mendelssohns auf Goethes Gedanken zum Thema Unsterblichkeit sind bekannt. Goethe nimmt wohl ein persönliches Fortleben nach dem Tod als gegeben an, wenn er auch nicht zu wissen vorgibt, wieviel an individueller Potenz bewahrt bleiben wird. Wie Leibniz war er von der Vervollkommnung der Seele im Sinne eines ins Unendliche gehenden Progressus überzeugt. Beweisführungen in Sachen Unsterblichkeit hat Goethe vermieden, vielmehr hat er sich auf die individuelle Überzeugung berufen.50 In Sachen Unsterblichkeit hatten beide Autoren mit Platon, Spinoza und Leibniz gemeinsame Lehrmeister. Man darf annehmen, dass Broch, der ein Verehrer von Goethes Werken war,51 dessen Vorstellungen von der Unsterblichkeit