Название | Tannenfall. Das andere Licht |
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Автор произведения | Bernhard Hofer |
Жанр | Языкознание |
Серия | Tannenfall |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783960415732 |
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.
© 2020 Emons Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagmotiv: Ebru Sidar/Arcangel Images
Umschlaggestaltung: Nina Schäfer
Lektorat: Lothar Strüh
E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck
ISBN 978-3-96041-573-2
Roman
Originalausgabe
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Für alle, die an die Poesie der Blume glauben
Hintergründe zu Vorgeschichte und Teil 1 der Tannenfall-Saga sowie einen Ausblick, wie die Saga weitergeht, finden Sie im Anhang
Die einzige Art,
gegen die Pest zu kämpfen,
ist die Ehrlichkeit.
Albert Camus, »Die Pest«
ERSTE
AUFZEICHNUNG
»Die Neue Ordnung.
Wie hat sie begonnen?«
»Mit dem Ende.«
»Hast du das Ende gebracht?«
»Nein. Sie war es. Greta.«
»Dann erzähl mir von ihr.«
DAS JAHR VOR DEM ENDE
Seit Wochen wüten Brände durch die großen Wälder unserer Welt. In Amazonien, im Osten Australiens, in Sibirien und selbst am Nordpol brennt es – es ist das Ende der Welt, und wir haben es herbeigerufen.
Von H. Selzberg
Der Himmel leuchtet orange. In hellem Gelb steht die Feuerwand und jagt fauchend durch den trockenen Wald. Die Feuerwehrmänner wirken mit ihren Helmen und Schläuchen wie hilflose winzige Statisten in einem aussichtslosen Kampf.
»Die Feuer rasen aus dem Nichts auf dich zu«, sagt ein Russe dem Staatsfernsehen. »Es ist schneller als der Wind. Es ist das Inferno. Die Hölle. Mein Nachbardorf: Es ist weg. Einfach weg. Was soll nur aus den Menschen werden?« Ähnliche Stimmen kommen aus anderen Ländern. Das Grauen ist überall dasselbe. Besonders schlimm sei, dass es für die Menschen kaum eine Möglichkeit zur Flucht gebe, denn die Feuer seien schneller, als man rennen könne, so ein Pressesprecher der australischen Behörden.
»Es wird von Jahr zu Jahr schlimmer«, sagt Reinhard M., Leiter der Katastrophenschutzbehörde in Deutschland und leidenschaftlicher Jäger. »Die Brände beginnen immer früher, oft schon im Winter. Und sie sind aggressiver und dringen in Regionen vor, wo wir niemals mit Feuer gerechnet hätten. Oder wer hätte gedacht, dass es je im Regenwald brennen würde? Und wer weiß«, fügt er später hinzu, »wie lange es noch dauern wird, bis die Berge zu brennen beginnen …?«
Besonders traurig macht die Menschen allerdings die Tatsache, dass viele Wildbestände und ohnehin schon gefährdete Tierarten durch die Feuer ausgerottet werden. Dabei sind es oft nicht die Feuer selbst, sondern die Seuchen, die in den rauchigen Glutnestern entstehen und die Luft vergiften. Wie Teer kriecht die klebrige Luft in die Lungen der Tiere und erstickt sie qualvoll. »Es ist wie eine große, stille Krankheit, bei der man zusehen kann, wie die Tiere qualvoll um die letzten Atemzüge kämpfen, als wäre deren Zahl begrenzt.«
In Russland etwa starben die letzten weißen Hirsche Sibiriens. Es gibt bei den Jägern einen Mythos, der besagt, dass man innerhalb eines Jahres sterbe, wenn man einen weißen Hirsch tötet. In einigen Regionen Deutschlands wie etwa im Norden Hessens sowie in Österreich in einem verborgenen Tal der Steiermark leben noch einige dieser wunderbaren Tiere. »Dort halten sich Umweltschützer und Jäger an eine stille Übereinkunft und schützen gemeinsam diese seltenen Geschöpfe«, meint der Experte weiter. »Wenn es so weitergeht, haben wir Menschen bald die letzten Hirsche auf dem Gewissen. Glaubt man dem Mythos, dürfen wir gespannt sein, was jetzt geschieht.«
»Es beginnt immer gleich. Zuerst Husten. Dann das Blut. Und mit dem Fieber kommt die Atemnot. Als hätte jemand die Zahl der Luftzüge begrenzt.«
Ich senkte die Arme und ließ die Blätter der Zeitung auf meinen Schoß fallen.
»Was meinst du?«
»Die große Krankheit. Sie tarnt sich zwischen den Feuern.«
»Es wird langsam Zeit fürs Bett.«
»Es ist meine Schuld.«
»Das ist es nicht.«
»Doch. Das ist es. Das war es immer.«
DIE HEILSTÄTTE
Dinge, die nichts wert sind, wirft man weg. Ich bin eine Weggeworfene. Eine aus der Welt geworfene Frau, die auf einem Bauernhof in der Nähe von Dresden unter hungernden, verwahrlosten Tieren und dürren leeren Feldern aufgewachsen ist. Eine Weggeworfene, die keinen Platz in dieser Welt hat und seit über zwanzig Jahren in einer Nervenheilanstalt darauf wartet, dass sie der nächste epileptische Anfall mit seinen schrecklichen Bildern endlich genügend krümmt, um aus diesem nutzlosen Dasein zwischen den Welten zu verschwinden.
Ich, Greta Erdsegen, bin wie faulige Erde. Auf meinem Grab wird nie eine Blume stehen – und wenn, dann nur eine unscheinbare, krumme.
Seit Ende des letzten Jahrtausends habe ich in der Heilstätte gelebt. Mein Vater hatte mich einweisen lassen. Ich hätte den krummen Ton, hatte er gesagt. Und dass er sich nicht mehr um mich kümmern könnte. Wenn ich zuckend am Küchenboden unseres Bauernhofes gelegen hatte, dann hatte ich so laut geschrien, dass selbst die Vögel innehielten und sich in der Stille vor mir versteckten.
Seitdem hatte er mich nie besucht. Ich hatte auch sonst von niemandem Besuch. Von wem auch? Ich war allein. Allein mit den vielen anderen, die hier lebten. Ich nannte sie meine Verbündeten, weil sie krank waren wie ich. Die Leitung nannte uns »Wirte«.
Wir lebten hier am Anfang der Sächsischen Weinstraße, umgeben vom warmen Rauschen des Elblandes. Die vielen kleinen Weinberge, die das Barockschloss umgaben, stahlen sich immer wieder in meine Träume und flüsterten mir zu, dass ich in Wahrheit woanders war. In den sanften Hügeln Italiens, in der Toskana oder in Frankreich oder noch weiter weg. Aber ich war in Sachsen.
Das Schloss Seußlitz lag rund vierzig Kilometer nordwestlich von Dresden. Eine sanft hügelige Landschaft aus Weinbergen und Gärten formte den Seußlitzer Grund, ein zart anmutendes Naturschutzgebiet in einem Seitental der Elbe. Ihr würziger Duft drang bis tief in die Weidenwälder vor, die von rotem Efeu umrankt waren. Versteckte Wege durch grüne Blätterdächer kreuzten schmale Rinnen, die in früheren Zeiten Wasser geführt hatten. Seit es die Mühlen in der Gegend nicht mehr gebe, seien diese Bäche verlandet, hatte mir meine Pflegerin Carlotta bei einem unserer ersten Spaziergänge erzählt. Hinter alten Linden versteckten sich idyllische Seen und funkelten in der milden Luft dieses versteckten Kleinods.
Der Schlossgarten selbst hielt sich an einen französischen Stil an der südlichen Seite und einen englischen an der gegenüberliegenden. Schwere Skulpturen umgaben den Park, welche die Jahreszeiten darstellten. An der Südseite erstreckte sich eine fünfzehn Meter hohe Terrasse, die mit Platanen besetzt war. Hohe Figuren aus Sandstein und mächtige Blumentöpfe umgaben die Terrasse, an deren Ende vier Stufen zum Gartenhaus, der Heinrichsburg, führten, die wie auf einer Pyramide über die Anstalt wachte. Dort standen zwölf Figuren, ebenfalls aus Sandstein, Verkörperungen der zwölf Monate. Vom Gartenhaus konnte man einen weiten Blick in das Elbtal werfen. Ich liebte diesen Anblick, da er mir das Gefühl gab, mit der Welt außerhalb der Anstalt verbunden zu sein.