Kojas Haus der Sehnsucht. Alois Theodor Sonnleitner

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Название Kojas Haus der Sehnsucht
Автор произведения Alois Theodor Sonnleitner
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711570050



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so geht’s nicht weiter!“ — „Nein, Vater, so geht’s nicht weiter.“ — „Es muss anders werden!“ schrie er und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Es muss!“ sprach Agi vor sich hin. Da begann der kleine Rudi quäkend zu weinen, die Mutter erwachte. „Lass doch das Kind schlafen, geh’, geh’, Alter, leg’ dich ins Bett und schlaf dich aus, dass du morgen deinen Kopf klar hast, wenn du Arbeit suchst.“ — „Arbeit? Ich hab’ Arbeit.“ — „Ah!“ riefen Mutter und Agi zugleich. — „Ausreden lassen! Ich hab’ Arbeit für die Agi. — Die Sattler-Rosel hab’ ich getroffen.“ — „Aus Pöchlarn?“ — „Aus Pöchlarn.“ — „Wo?“ — „In einem Nachtkaffee. Hat dort einen schönen Posten, ist Sitzkassierin.“ — Mutter und Agi schwiegen betroffen. „Hat achtundvierzig Gulden monatlich, die ganze Kost und Nebenverdienst. — Und sie will mit der Agi zu ihrem früheren Herrn gehen;der braucht eine.“ — Lorent drehte sich nach seiner Frau um. „Was sagst? — „Nix!“ — „Warum nix?“ — „Weil’s heut schon spät ist; halb zwei; morgen reden wir darüber, morgen. Heut bist schon müd. Geh’, geh’, Vater, tu’s dem Kind zulieb; leg’ dich schlafen.“ — Mit unverständlichem Murren stützte Lorent den Kopf trotzig auf beide Fäuste. Vor sich hinbrütend, sass er da, bis ihm der Kopf auf die Tischplatte sank. Ohne ihm die Stiefel auszuziehen, wie Koja es so oft getan hatte, liess Agi ihn schlafen, drehte den Gashahn ab, entkleidete sich im Finstern und begab sich zur Ruhe. — Obwohl die Lidränder sie brannten, floh der Schlummer ihre Augen. Angestrengt horchte sie zur Mutter hinüber, die mit leisem Singsang den wimmernden Kleinen einzuschläfern suchte. Als das Kind ruhig war, hörte sie die Mutter lispeln; die betete, betete für ihre Tochter. Die Mutter hatte Angst. Da stand Agi von ihrem Lager auf und ging blossfüssig zum Bette der Mutter. Bebend vor Kälte, drängelte sie sich zu ihr unter die Bettdecke, schob den linken Arm unter ihren Kopf, streichelte ihre Wange mit der Rechten und flüsterte ihr zu: „Mutter, Mutter, ich bleib bei euch; ich verlass euch nicht.“ — Dann lagen sie eine Weile still nebeneinander, bis Agi begann, der Mutter lispelnd vom besseren Ertrag der Heimarbeit zu sprechen, die sie finden wollte. Es musste ja doch in Wien Geschäfte geben, die Stickereien und Märkereien brauchten. Hatte nicht die Handarbeitslehrerin von Alt-Pakaf) solche Arbeiten nach Prag und nach Reichenberg geliefert? Erst als Agi an den ruhigen Atemzügen der Mutter merkte, dass es ihr gelungen war, sie in sorglosen Schlaf zu plaudern, verstummte sie. — Aber sie selbst blieb noch wach, die neuen Verdienstmöglichkeiten mit Eifer überdenkend. Da hörte sie von der nahen Lazaristen-Kirche herab die Uhr zwei schlagen und sie nahm sich vor, bis fünf Uhr früh zu schlafen, um schon eine Stunde, bevor der Wecker rasselte, zu häkeln. Eng beisammen schlummerten die treuen Lebenskämpferinnen ein und schliefen ihren kurzen, tiefen Schlaf so friedvoll, als gäbe es nichts, das ihr Glück, ihre Gesundheit, ja vielleicht ihre Ehre bedrohte.

      Das unerschütterliche Vertrauen zueinander gab ihnen beiden die Ruhe der Sicherheit inmitten einer Welt von Gefahren, vor denen sie nur ein Gefühl warnte. Es waren die Gefahren der gesellschaftlichen Tiefen, Gefahren der irrenden Armut, die — vom Schwindel ergriffen — im Abgrund versinkt.

      Die Liebe, mit der Agi an den Ihrigen hing, war ihr Schutzengel.

      Unentwegt

      Genau nach drei Stunden Schlafes erwachte Agi, wie sie sich’s vorgenommen hatte. Ehe noch die fünf dumpfen Stundenschläge der Turmuhr verhallt waren, stand sie fröstelnd in ihren Filzschuhen, kleidete sich notdürftig an und ging leise in die Küche. — Die kalte Morgenwaschung machte ihr die Augen klar. Im Frösteln wich die Verschlafenheit von ihr. Das gelbliche Licht der Gaslampe täuschte ihr vor, dass die kleine Küche nun wärmer sei. Rasch noch die Kaffeekanne auf den Gasherd gestellt, und dann an die Arbeit.

      Erst wollte die Häkelnadel den vor Kälte steifen Fingern nicht gehorchen, sie spiesste den ohnehin locker gedrehten Faden der schwarzglänzenden Mohair-Wolle; als aber Agi, mit beiden Händen den heissen Kaffeetopf umklammernd, ein paar Schluck vom herben Zichorienabsud ohne Milch und Zucker geschlürft hatte, wurden die Finger geschmeidig und hetzten die Nadel von Masche zu Masche. Bald löste das Gefühl für den Rhythmus der wiederkehrenden Bewegungen das Zählen der Maschen ab; ohne irre zu werden, überlegte die Arbeitende die Notwendigkeiten der Gegenwart und der nächsten Zukunft. — Das Vorhaben, ihre und der Mutter Heimarbeit vor dem Vater geheim zu halten, verwarf sie als unhaltbar. Nur wenn sie schon einen Verdienst hatte, konnte sie des Vaters Vorschlag abwehren. Sie wollte keinen Verdienst ausser Haus; sie wollte bei der Mutter bleiben! Sie rechnete genau aus, wie sie bei weitgehender Einschränkung die Familie doch vor dem Verhungern bewahren könnte, wenn sie von den hundertzwölf Kreuzern Tagesverdienst dem Vater fünfzig Kreuzer Wegzehrung gäbe, damit er seiner Arbeitsuche mit weniger Verdrossenheit nachgehe. So hoffte sie, ihn zu gewinnen. Erst im Laufe des Vormittags, als die Mutter mit ihrem indessen ausgeschlafenen und ernüchterten Manne unter vier Augen in Kojas Kammer gesprochen hatte, fand Agi Gelegenheit, dem Vater von ihrem Verdienste zu erzählen, den sie mit ihm teilen wollte. „’s wird nit lang nötig sein,“ gab er ihr zur Antwort. „Ich bin als Verschieber auf dem Aspang-Bahnhof vorgemerkt. Dort krieg’ ich dreissig Gulden Monatslohn. Und komm’ ich wieder zum Fahrdienst, gibt’s wieder Kilometergelder.“ — Agi war froh, dass der Vater mit keinem Wort auf seinen gestrigen Plan zurückkam. Dass er wieder Aussicht hatte, im Eisenbahndienst unterzukommen, verminderte ihre Sorge nur wenig. Die Trinkgelder konnten wieder sein Unglück werden.

      Als der Vater ausgegangen war, rückten Mutter und Agi mit ihrer Arbeit eng zueinander. Heller, als am Vortage fiel das Licht durchs Fenster und liess ahnen, dass der höchste Teil der Hausmauer im Sonnenscheine lag. Schweigend arbeiteten die beiden. Ein liebes Behagen, ein zages Frohsein hatte sich bei ihnen eingestellt. Wieder einmal waren sie aus dem Ärgsten heraus; es ging unzweifelhaft vorwärts und würde noch besser kommen. Agi gedachte der Pöchlarner Zeit. Das Herausarbeiten aus der Not im Prokophause kam ihr so schön vor. Oh, wie lieb war das Hahnenkrähen gewesen, das Schnurren des Katers, das Bienensummen im blühenden Garten! Dann musste sie der tapferen Fischersfrau Walmot gedenken in Jensens Roman „Die Runensteine“; — und dann gedachte sie ihres begonnenen und jäh unterbrochenen Studiums. Wie weit lag das jetzt hinter ihr! Sie sehnte sich darnach, und sie zweifelte nicht, dass sie es wieder aufnehmen werde; später, vielleicht erst nach Jahren; — jetzt ging’s nicht. Durchhalten, den Bruder nicht sinken lassen; der Mutter bessere Nahrung schaffen, dass sie wieder zu Kräften komme. Und dem Koja wollte sie wöchentlich mehr schicken, als nur den versprochenen Gulden. Dass er noch immer nicht geschrieben hatte, dafür hatte sie nur eine Erklärung. Das wenige Geld, was sie ihm gab, langte nicht zur Sättigung; da blieb ihm nichts — aufs Briefporto. Wenn sie jetzt nur gewusst hätte, wo den Zins hernehmen! Plötzlich fuhr sie aus ihrem Sinnen auf. Hatte nicht die Türglocke geklungen? — Wirklich. Der Briefträger war da, und Agi hielt einen dicken Brief in der Hand. — „Von Koja!“ jubelte sie. Mit der Häkelnadel riss sie den Umschlag auf und entfaltete mit vor Aufregung bebenden Händen den grossen Papierbogen, der mit verschieden farbiger Tinte, ja, zum Teil mit dem Bleistift bekritzelt war, als hätte der Schreiber den Brief zu verschiedenen Zeiten geschrieben. Sie las laut, während die Mutter mit offenem Munde lauschte:

      „Liebe Agi!

      Küss’ die Mutter für mich recht herzhaft, denn mir geht es gut. Nur die ersten Tage waren bitter, da hab’ ich noch keinen Freitisch gehabt. Am Freitag war ich mit dem Brot, das Du mir mitgegeben hattest, fertig geworden; Geld hatte ich auch keines mehr. Da ging ich zur Nachtmahlzeit spazieren. Die Meisterin sollte nicht merken, dass ich Hunger hätte, sie ist eine gute Frau, aber geben könnte sie mir doch nichts, weil ihre fünf Kinder immer noch mehr haben möchten. Und als ich um halb neun Uhr in die Werkstatt kam, wo ich meinen Tisch und meinen Strohsack hab’, waren schon alle schlafen gegangen. Nur Herr Federl, der Gesell, ist noch bei der Lampe gesessen und hat gelesen. Er sagt, bevor er ein gutes Buch bindet, muss er’s gelesen haben. Ich hab’ mich zu ihm gesetzt und wollte lernen. Aber es ist nicht gegangen, weil ich Schmerzen im Magen gehabt hab’. Dann bin ich doch lieber zu Bett gegangen. Aber das Ungeziefer hat mich nicht schlafen lassen, weil die Werkstatt nur alle heiligen Zeiten einmal gekehrt wird. Gegen Mitternacht hat sich der Federl auf sein Sofa gelegt und hat gleich angefangen, zu schnarchen; aber dann hat er aus dem Schlaf geredet; vielleicht hat ihn auch was gebissen. Und der Hunger hat mich gepeinigt; ich hab’