Название | Ronnys Flucht |
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Автор произведения | Steinar Sörlle |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711443293 |
Sjønningsen war einer der wenigen Menschen, die wirklich etwas sahen und begriffen, dachte Ronny. Ebenso wie Rita, seine Freundin. Sie wußte alles. Am Abend, bevor er sich davonmachte, war er mit ihr zusammengewesen.
«Ich haue bald ab», hatte er gesagt.
«Und was ist dann mit mir?» fragte Rita traurig.
«Dich verlasse ich nie ganz», antwortete Ronny. «Ich rufe an oder schreibe.»
«Ich muß nach Hause», sagte Rita. Sie beugte sich zu ihm und gab ihm rasch einen Kuß. Er spürte einen Moment ihre weichen Brüste und hielt sie fest. Die Wärme ihrer braunen Augen drang tief in ihn. In dem Augenblick wollte er nicht abhauen.
Ronny saß in dem dunklen Verschlag und wärmte sich an Ritas Blick. Jäh wurde er aus seinen Träumen gerissen: Die Tür wurde einen Spalt geöffnet.
«Ist es hier?» rief eine Männerstimme.
Flekken packte Ronny am Arm. Seine Augen flackerten angstvoll im Finstern. Ronny war davon überzeugt, daß seine Flucht beendet war. Hier und jetzt. Er konnte ebensogut aufstehen und seinen Namen nennen.
«Nein, das ist nur die Besenkammer. Die Reinigungsmaschinen für die Böden stehen da auch», antwortete eine Frauenstimme weiter weg. «Wir sollen nur die Regale auffüllen. Das muß reichen.»
Die Tür wurde wieder geschlossen.
«Das war knapp», stöhnte Flekken. «Hätte für unsereins ’ne ganz andre Reise werden können.» Erleichtert blies er einen übelriechenden Atem aus.
Erschrocken und wütend flüsterte Ronny:
«Behalte das, was du im Magen hast, für dich. Du brauchst nicht so deutlich darauf hinzuweisen, wie grausig es da unten aussieht. Du verfaulst wohl von innen her?»
«Ja», erwiderte Flekken flüsternd.
Sie waren nun fast eine Stunde in dem Verschlag gehockt. Ihre Arme und Beine wurden langsam steif, und Ronny fragte sich, wohin sie der Lastwagen bringen würde. Was weiter geschehen würde. Er hatte nicht den Eindruck, als sei Flekken der große Organisator. Aber er hatte etwas von Kopenhagen gemurmelt. Oder hatte er sich verhört? Ronny hatte nur vorsichtig gefragt.
«Los, es is soweit.» Flekken sprach so plötzlich und wieder mit lauter Stimme, daß Ronny zusammenzuckte. Flekken öffnete die Tür. «Ja, die Luft is rein. Der Laden is aufgeräumt. In ’ner halben Stunde geht’s los mit dem Bodenputzen, da möcht ich nich mehr auf den Reinigungsmaschinen hocken.»
Sie kamen hinaus auf einen Korridor mit glattem Bodenbelag. An seinem Ende befanden sich zwei Schwingtüren aus dickem Kunststoff.
«Daß ihre Verpackungskisten nich verkratzt wern», erklärte Flekken. Er zog Ronny hinter sich her, schob sich mit dem Rücken durch die Kunststofftür. Auf der anderen Seite blieb er stehen und öffnete eine normale Tür auf der rechten Seite des Korridors.
Da standen sie auf einmal im Supermarkt.
«Wir sind den falschen Weg gegangen», sagte Ronny.
«Nix», antwortete Flekken. «Wir sin genau richtig, wenns nach Kopenhagen gehn soll. Komm.»
Ronny folgte zögernd.
Sie gingen durch die Lebensmittelabteilung in einen großen Raum mit Gartenmöbeln und Haushaltswaren.
«Derselbe Besitzer», erklärte Flekken. «Drum is nix abgesperrt. Da», fuhr er fort und zog eine Leiter aus Leichtmetall heraus.
Ronny blieb stehen. Hier sollten sie sich verstecken, um dann wieder nach draußen zu fliehen? Was ging in dem Kopf von dem Kerl bloß vor? Oder stimmte es, was er sagte, daß sie später mit einem Lastzug hier wegkämen? Flekken grinste.
«Guck nich so blöd. Wir müssn rauf in die Höh, dann gehts weiter. Hab diese Route ausprobiert. Is bombensicher.»
«Keine Flucht ist bombensicher», antwortete Ronny. Bei sich dachte er: Und ich bin knapp davor, mich genauso verrückt zu benehmen wie nach dem Aussteigen aus dem Intercity. Fange wieder zu phantasieren an. Er zögerte. Wollte zurücklaufen. Wieder raus.
«Komm schon. Wir ham nich so lang Zeit.» Flekken schubste ihn vorwärts.
Jetzt gingen sie zurück in die Lebensmittelabteilung. Bei einer der größten Tiefkühltruhen blieb Flekken stehen.
«Da. Halt fest und zieh!» Er hielt Ronny das eine Ende der Leiter hin. «Zieh schon, los!» Sie zogen, jeder an seinem Ende, und die Leiter wurde länger und länger. Es war eine Teleskopleiter. Sie bestand aus mehreren zusammenhängenden Teilen und war ziemlich lang ausziehbar. Das sah Ronny jetzt.
Erstaunt stand er da und schaute zu, wie Flekken sie zur Decke richtete. Die Leiter war genau zehn Zentimeter zu lang. Aber Flekken lachte nur und stieß gegen die Decke. Da hob sich oben eine Platte.
«Da gehts rauf zur Freiheit», grinste Flekken. Er kletterte hinauf. «Komm nach», sagte er. «Gleich wirste sehn, was du nich mal geträumt hast.»
6
Ronny starrte hinterher. Mußten sie übers Dach? Was erwartete ihn da oben? Wurde er vielleicht entführt?
Er mußte grinsen. Der Gedanke war zu dumm. Über ihm knarrte es. Ronny legte den Kopf in den Nacken. Da oben öffnete sich noch ein Spalt zwischen zwei Platten. Er starrte verblüfft hinauf.
Da kam eine Angelschnur mit Blinker herunter, direkt über der Tiefkühltruhe. Ein kleiner Ruck, und sie wurde wieder hochgezogen. Am Haken hing eine Packung gefrorener Lachs in Scheiben.
Vom Dachboden herunter ertönte ein seltsames Gelächter. Es klang wie aus weiter Entfernung.
Ronny kletterte zögernd hinauf und steckte den Kopf über die Kante. Da sah er vor sich einen riesigen Speicherraum. Er kam aus dem Staunen nicht heraus. Fast zwei Meter hoch war er. Die niedere Decke oder der Boden waren sicher deshalb so gebaut, um den Supermarkt unten behaglicher erscheinen zu lassen, dachte er. Da erkannte er ein Stück weg ein Zelt. Schwach grün schimmernd stand es da. Davor war ein Stück künstlicher Rasen ausgerollt. Jetzt leuchteten rote und grüne Lichter auf, die von oben herunterhingen. Er sah zwei Campingstühle und einen Tisch. Sträuße mit künstlichen Blumen in Bechern standen herum. Auf einer Kiste prangte eine Mikrowelle. Daneben erkannte er einen kleinen Herd.
Mehr zu sehen gelang ihm nicht, denn Flekken fauchte: «Rauf mit der Leiter! Sie kommen!»
Im Nu war Ronny die letzten Sprossen oben. Er schob den Rucksack vor sich auf den Dachboden und rollte hinterher.
Rasch war Flekken neben ihm, zog die Leiter nach oben und legte die Platte an ihren Platz.
Im Zelt lagen zwei Schlafsäcke. An der Firststange hing ein Käfig mit einem ausgestopften Papagei.
Am Boden stand eine Lampe mit grellen blauen und grünen Farben. Jetzt fing der Lampenschirm an, sich zu drehen. Ronny sah einen Wasserfall, der immer schneller nach unten floß. So wirkte es zumindest.
Flekken steckte noch einen Stecker ein. Da blinkte es rot und gelb und grün, ein kleiner, künstlicher Weihnachtsbaum.
«Der kann ‹O du Fröhliche› spielen», flüsterte Flekken. «Dreht sich ganz von selber. Wer da heroben is, kann Weihnachten feiern, wann er mag. Oder Angeln. Is nur, man wird leicht wirr im Kopf», fuhr Flekken fort. «Muß am Tag schlafen und in der Nacht Unfug machen.»
Alles hier ist komisch, dachte Ronny. Ein bißchen unheimlich. Das Ganze gefiel ihm nicht. Und schon gar nicht das Gewehr, das im Zelt in der Ecke lehnte.