Название | Schön wie die Acht |
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Автор произведения | Nikola Huppertz |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783864295348 |
»Wie auch immer«, erwidert Papa. »Dann wird’s ja jetzt spannend.«
Im selben Moment hämmert unter uns im Hobbykeller, wo Josefine einquartiert ist, laute Musik los.
Ich setze mich an meinen Schreibtisch, ziehe das Übungsblatt aus der Mappe, lese zum weiß nicht wievielten Mal die letzte Aufgabe. Die anderen hab ich alle gelöst, sowohl Mengenlehre als auch Algebra, ziemlich schnell sogar, bloß diese eine mit der Sinusfunktion hat es echt in sich.
Phasenverschiebung.
Amplitudengröße.
Intervalle.
Davon hab ich bis jetzt nur so eine ungefähre Vorstellung.
»Aber ich krieg dich schon noch!«, sage ich und hole das Mathelexikon aus der Schublade.
Meine Kunst. So hat Papa es schon genannt, als ich in der Kita mit Bauklötzen Einmaleinsaufgaben gelegt hab und die Erzieherinnen sich bei Mama und ihm beschwert haben, weil sie dachten, ich würde zu Hause gedrillt.
Als wäre was dabei: Vier Würfel, vier Zylinder, vier Quader. Ergeben, tadaaa!, einszwodreivierfünfsechssiebenachtneunzehnelfzwölf.
Papa hat versichert, dass ich das nicht von ihm hab, Zahlen und Rechnen und so, sondern dass er sich damit immer irgendwie durchgemogelt hat. Von Mama hab ich es auch nicht, die hat es ja mehr mit Sprachen, während ich damals angeblich noch keinen richtigen Satz auf die Reihe gekriegt hab. Als die Erzieherinnen das gehört haben, mussten sie einsehen, dass ich die Bauklotzsache ganz von selbst gemacht hab.
Ich schlage das Lexikon auf, irgendwo, und schnuppere ein bisschen an den Seiten. Vielleicht ist es ja gar nicht so wichtig zu wissen, wo was herkommt. Viel wichtiger ist, dass man es eben hat. Weil es natürlich Spaß macht, also Mathe, auch wenn die meisten Leute es komisch finden, dass jemand sich freiwillig damit abgibt. Zum Beispiel mit der schwierigen Aufgabe, an der ich schon seit Tagen rumtüftle. Obwohl ich Sinus und Kosinus bis dahin noch gar nicht hatte. Nicht im Matheclub und im Unterricht sowieso nicht. Aber ich hab mich da jetzt reingelesen, in die ganze Sache mit dem Einheitskreis, dem Winkel- und Bogenmaß, den Seitenverhältnissen und den dazugehörigen Funktionen, und ich will die Aufgabe unbedingt bis morgen knacken. Bevor der Zerhusen sie mir erklären kann. Erst recht, wenn die IGSlerin dazukommt, die sich bis jetzt alles selbst beibringen musste. Ich meine, wär ja noch schöner, wenn sie das Übungsblatt dann allein hinbekommen hätte und ich nicht! Schließlich hab ich noch immer alles gelöst. Weil Mathe nämlich logisch ist, und logische Dinge kriegt man früher oder später raus. Aus A folgt B und so weiter. Man muss nur den Weg kapieren, Schritt für Schritt, dann zeigt sich das Ergebnis ganz automatisch. Wie eigentlich bei allem, solange man nur geordnet darüber nachdenkt. Und dann, plötzlich, versteht man es.
Jedenfalls brauche ich jetzt nur noch rauszufinden, welcher Wert in der Sinusfunktion zu welcher Verschiebung führt: nach links, rechts, oben, unten. Dann hab ich’s.
Vorausgesetzt, Josefine stellt ihre Musik endlich mal leiser. Weil, so kann ja kein Mensch überlegen.
»Du bist so ’n kleiner Verwöhnter, oder?« Meine Halbschwester legt den Kopf zur Seite und guckt mich von oben bis unten an. »Könntest du bitte ’n bisschen leiser drehen, ich löse gerade ein mathematisches Problem! Echt, ey! Haust du öfter so was raus?«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll, also stehe ich bloß blöde auf den kühlen Kellerfliesen rum und schweige. Immerhin hat sie den Laptop zugeklappt und die Anlage neben der Schlafcouch ausgeschaltet. Aber jetzt einfach abhauen geht irgendwie nicht. Bei dem Blick unter dem doppelten Augenbrauenpiercing.
»Wie alt bist du noch mal?«, fragt sie weiter.
»Zwölf«, antworte ich. Und füge schnell hinzu: »In zwei Monaten dreizehn.«
Josefine grinst, schief und ein bisschen fies. »Soso, in zwei Monaten dreizehn. Da hat unser Vater dich also gezeugt, als ich … warte mal … drei Jahre und fünf Monate alt war. Ich kann nämlich auch ein bisschen rechnen.« Sie steht von der Couch auf, guckt sich kurz im Hobbykeller um, tappt zur Fitnessecke, nimmt sich zwei Hanteln. Von den mittelgroßen, wohlgemerkt, bei denen ich es schon anstrengend finde, sie festzuhalten, und es ist mir fast unheimlich, als sie so mir nichts, dir nichts anfängt, Bizepscurls zu machen. »Worum geht’s denn?«, fragt sie irgendwann und klebt ihren Blick wieder an mir fest.
Es dauert einen Moment, bis ich kapiere, wovon sie redet.
»Um die Sinusfunktion«, sage ich. »Phasenverschiebung und so was.«
»Ach das«, erwidert sie. Nicht mehr und nicht weniger, und ich weiß nicht, ob es an den Gewichten liegt, die sie allmählich aus der Puste bringen, oder ob das Thema für sie schon durch ist. Also gucke ich zu, wie ihre Curls immer langsamer werden, sich ihr Gesicht von Wiederholung zu Wiederholung stärker verzieht, und schiebe sicherheitshalber nach: »Wegen der Matheolympiade. Ich mach da mit. Bald ist Landesrunde, da entscheidet sich, wer zu Jugend trainiert Mathematik darf.«
»Aha«, keucht sie, legt die Hanteln zurück und schüttelt die Arme aus. »Und was machst du sonst noch so in deinem Leben? Wenn du nicht gerade mathematischen Problemen hinterherläufst?«
Das ärgert mich. Nicht, weil ich sonst nichts mache, sondern weil es klingt, als wär Mathe nichts Richtiges. Also sage ich: »Jedenfalls hänge ich nicht mit dem Laptop auf dem Bett rum und nerve alle mit meiner Musik.«
Josefine zieht eine Augenbraue hoch. »Nicht schlecht, Kleiner!«, sagt sie, tappt zurück durch den Kellerraum und lässt sich wieder auf die Schlafcouch fallen.
»Und ich bin auch kein kleiner Verwöhnter.«
Sie grinst ihr schiefes Grinsen. »Na, dann ist ja gut.«
Plötzlich stehe ich wieder bloß blöde da und weiß nicht, was ich sagen soll. Aber wenigstens lasse ich mich nicht länger von ihrem Blick festtackern. Ich drehe mich einfach um und gehe. Als ich in der Tür noch mal kurz zurückgucke, hat sie ihren Laptop wieder aufgeklappt. Und streckt den Arm zur Anlage aus.
Erst nachdem Papa den Motor ausgestellt hat, kriege ich die Zähne auseinander. Die ganze Fahrt über hab ich überlegt, wie ich es sagen soll, hab ihm und Josefine von der Rückbank aus Löcher in die Hinterköpfe geglotzt, während Papa versucht hat, mit ihr Smalltalk zu machen, und sie nur eisig zurückgeschwiegen hat. Aber mir ist nichts Brauchbares eingefallen. Jetzt allerdings ist da draußen meine Schule, da sind Leute, meine Leute, und plötzlich schießt es ganz von selbst aus mir raus: »Wir gehen aber nicht zusammen!«
Papa dreht sich auf dem Fahrersitz zu mir um, sein Gesicht ein Fragezeichen.
»Wundern sich wahrscheinlich eh schon alle, warum ich nicht im Bus war«, erkläre ich, schnalle mich schnell ab, nehme meinen Rucksack vom Sitz neben mir. Aber Papa zu bitten, mich rauszulassen und selbst noch ein bisschen zu warten, traue ich mich nicht, denn das Fragezeichen ist immer noch da und hat auch noch eine Runzelstirn bekommen.
»Na und?«, sagt Papa. »Wenn sie sehen, dass du heute gebracht worden bist, wundern sie sich nicht mehr. Ist doch praktisch!«
Nun wird es doch kompliziert. Hätten wir bloß hinten im Auto Türen, dann könnte ich einfach gehen. Stattdessen muss ich ihm irgendwie klarmachen, dass ich nichts mit seinem Besuch bei der Eckert zu tun haben will: Ah, die Familie Ripken! Dass es nicht meine Sache ist, wenn er Josefine ins Direktorat schleppt, obwohl sie beim Aufbruch so aussah, als wollte sie dort sofort Randale machen. Und überhaupt, dass es nicht meine Entscheidung war, meine Halbschwester in meine Schule zu stecken, ob sie da nun reinpasst oder nicht.
Wo sie sogar schon zum zweiten Mal in die Zehnte geht!
Josefines Entscheidung war es übrigens auch nicht, sie ist genauso wenig gefragt worden wie ich. Vielleicht hätte sie selbst