Bettina auf der Schaukel. Liz Bente Løkke Dæhli

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Название Bettina auf der Schaukel
Автор произведения Liz Bente Løkke Dæhli
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711449929



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nur einmal hundert Punkte erreicht. Die meisten schoben die Slips ganz unten unter den Wäschestapel oder in die Tasche. Es war reiner Zufall gewesen, dass sie die kleine weiße Baumwollunterhose oben auf einem Korb entdeckt hatten. Und während Thor mit einem nassen Schwimmball auf ihrer warmen Haut die Aufmerksamkeit des Mädchens voll und ganz auf sich gezogen hatte, konnte Ragnar sich den Slip schnappen und war mit ihm verschwunden, ohne bemerkt zu werden.

      Wenn Thor nicht wegziehen müsste, hätte sich ihre kleine Höhle im Laufe des Sommers noch mit Herrlichkeiten gefüllt.

      »Ich werde es auf jeden Fall versuchen, aber das ist nicht so einfach, wenn man allein ist«, sagte Ragnar und jetzt war das Lächeln wieder verschwunden.

      »Nimm doch Espen mit, der ist in Ordnung.«

      Thor konnte nichts dafür, dass er einen Stich im Zwerchfell spürte. Der Gedanke, Ragnar würde die Punktejagd mit einem anderen als ihm weitermachen, tat weh. Er wusste nicht, warum er selbst vorgeschlagen hatte, dass Espen mitmachen könnte. Vielleicht nur, weil es so schlimm war, Ragnar so ernst zu sehen, ohne das kleinste fröhliche Blinzeln in den Augen.

      »Mal sehen.« Ragnar drehte sich weg und zeigte deutlich, dass ihm nicht gefiel, welche Richtung das Gespräch eingeschlagen hatte. Er nickte zum Haus hin und Thor schaute auch dorthin. Sein Vater hatte die Haustür abgeschlossen und steckte jetzt den Schlüssel in die Tasche. Als er zu den Jungs kam, nickte er Thor nur kurz zu, als Zeichen, dass dieser ihm folgen sollte. Mutter stand bereits am Auto und wartete.

      »Okay, ich muss jetzt los.«

      Ragnar trat gegen den Kies und warf Thor einen schnellen Blick von unten herauf zu.

      »Aber du kommst mich bald besuchen, nicht wahr. Wir müssen nur erst auspacken.« Thor wusste nichts anderes zu sagen.

      »Ich komme und ich schreibe dir schon bald.«

      Ragnars Stimme war belegt, die Worte klangen schwer und schleppend.

      Vater startete den Wagen und jedes Mal, wenn er dem Gaspedal einen ungeduldigen kleinen Tritt gab, heulte der Motor auf. Die Eltern wollten losfahren. Sie hatten hier nichts mehr zu tun. Thor überlegte, was er noch sagen könnte, fühlte sich aber ganz leer.

      »Wir sehen uns«, flüsterte er und ging. Aber bevor er sich ins Auto setzte, drehte er sich noch einmal um und rief: »Schick mir die ersten hundert Punkte mit der Post!«

      Vater schaltete in den ersten Gang und dann fuhren sie los. Thor schnappte sich den Walkman und setzte sich die Kopfhörer auf. Kurz darauf erfüllte die Musik seinen Kopf und er ließ seine Gedanken von den Rhythmen und dem dumpfen Bass in wilder Fahrt davontreiben, mit einem Puls, der im Viervierteltakt schlug.

      Der Möbelwagen wartete bereits vor der Einfahrt zu dem neuen Haus. Mutter sprang aus dem Auto – endlich war sie da, bereit, in ihr neues, schönes Haus einzuziehen. Thor blieb sitzen. Erst als Vater die Wagentür öffnete und demonstrativ wartend wie eine Steinsäule davor verharrte, stieg er aus. Er blieb stehen und schaute sich das Holzhaus an. Eine alte, kräftige Eiche reckte ihre langen Äste an der Hauswand entlang und verdeckte eines der Fenster im ersten Stock fast vollkommen. Durch das dichte Laub schien es Thor, als sähe er, wie sich etwas hinter der Fensterscheibe bewegte. Aber er konnte nicht länger darüber nachdenken, denn schon kam seine Mutter zu ihm und fragte: »Na, wie findest du es?«

      Er konnte eine große Bitte in ihren Augen lesen. Sie wollte so gern Frieden mit ihm schließen.

      »Okay«, antwortete er und zuckte mit den Schultern.

      Mutter sollte nur nicht denken, er würde jetzt übers ganze Gesicht strahlen und sich von dieser Schönheit überwältigen lassen.

      »Geh nur rein und guck dich um, du hast das Haus ja noch nicht gesehen«, schlug sie vor.

      Die Möbelpacker waren bereits dabei, die Möbel hineinzutragen und Mutter lief herum, um ihnen zu zeigen, wo alles hinsollte. Thor ging hinter ihnen die Außentreppe hinauf. Zuerst kam er in einen kleinen Windfang, der in einen größeren Flur führte, mit einer Treppe in den ersten Stock. Rechts konnte er die Küche sehen. Sie war groß, viel größer als die, die sie vorher gehabt hatten. Die Tür links führte ins Wohnzimmer. Er mochte nicht hineingehen und den Möbelpackern zwischen den Beinen herumstehen, also beschloss er ins Obergeschoss hochzusteigen. Als er die Treppe hinaufgegangen war, stand er auf einem langen, schmalen Flur mit zwei Türen auf jeder Seite. Er öffnete die erste Tür und kam ins Bad.

      Nicht schlecht, dachte er, als er die Badewanne entdeckte. Sie stand auf Beinen, die wie Löwenpranken geformt waren. Die Wanne selbst war alt und die weiße Emaille an mehreren Stellen ganz gelb. Die Vorstellung, sich in der Wanne ausstrecken zu können, war verlockend. Zu Hause hatten sie nur eine Dusche gehabt. Es durchfuhr ihn, zu Hause, das war jetzt hier. Er ging zurück auf den Flur und machte die Tür hinter sich zu. Die Wände waren in einer hellgelben Farbe gestrichen, die ihm nicht gefiel. Thor wollte sich die anderen Zimmer angucken. Da gab es ein großes Schlafzimmer direkt neben dem Bad. Das hatten sich Mutter und Vater bestimmt schon ausgesucht.

      Welches Zimmer war für ihn? Hatten sie das auch schon beschlossen? Vom Flur aus öffnete er eine weitere Tür. Dieses Zimmer war ziemlich groß und das Fenster zeigte auf die Eingangsfront des Hauses. Nicht schlecht, dachte Thor. Aber erst wollte er noch das letzte Zimmer sehen. Er ging wieder auf den Flur, öffnete die nächste Tür, blieb stehen und schaute sich um. Die Tapete an den Wänden war hellbraun und fleckig, die Schranktür zu einem kleinen Verschlag war braun gestrichen. Das sah ziemlich traurig aus.

      Das Zimmer wirkte dunkler als das nebenan. Als Thor zum Fenster schaute, entdeckte er, woran das lag. Die große Eiche stand direkt davor und warf ihre Schatten. Das war das Fenster, das er von der Pforte aus kaum hatte sehen können. Er trat heran und schaute sich von diesem Winkel aus das Zimmer an. Es war etwas kleiner als das daneben. Und winzig klein im Verhältnis zu seinem alten Zimmer. Hier war gar nicht daran zu denken, Regale aufzustellen, damit er all seine Modelle aufreihen konnte. Die Sprossenwand und die Turnringe konnte er gleich vergessen. Dennoch gefiel ihm dieses Zimmer besser als das angrenzende. Es gab ihm das unerklärliche Gefühl zu all dem Neuen und Fremden doch dazuzugehören. Sonderbarerweise ließen ihn die braunen, trüben Wände zur Ruhe kommen. Seine Schulterblätter entspannten sich und er war nicht mehr so aufgewühlt und verbissen. Thor beschloss, dass er dieses Zimmer haben wollte. Er drehte sich um und guckte aus dem Fenster. Viel konnte er durch das dichte Laub nicht erkennen. Er wollte gerade einen der Fensterriegel anheben, als er das Gefühl hatte, als stünde jemand direkt hinter ihm. Er ließ den Arm fallen und drehte sich um. Voller Überraschung musste er feststellen, dass niemand dort war.

      Mutter protestierte, als er ihr erzählte, welches Zimmer er sich ausgesucht hatte.

      »Aber das ist doch viel kleiner als das andere. Willst du das wirklich haben? Das andere ist heller und wir müssen es nicht erst tapezieren.«

      »Die Tapete ist schon in Ordnung.« Thor ließ sich nicht umstimmen.

      Im Laufe des Nachmittags und des Abends bekam Thor sein Bett, seinen Schreibtisch und ein paar Lampen ins Zimmer. Das musste fürs Erste reichen. Die meisten seiner Sachen waren noch in den Pappkartons, die an der einen Wand gestapelt waren. Dort konnten sie bis zum nächsten Tag stehen bleiben, dachte er, als Mutter ihn zum Abendessen rief. Jetzt, wo die Küche nicht mehr leer war, wirkte sie etwas kleiner. Thor überlegte, ob er sich wohl irgendwann hier heimisch fühlen würde. Als er mit dem Essen fertig war, hatte er keine Lust länger unten zu bleiben und ging wieder in sein Zimmer. Es war ziemlich dunkel im Raum und er schaltete die Lampe an, die auf seinem Schreibtisch stand. Er zuckte zusammen, als er sah, wie sich etwas vor dem Fenster bewegte. Wind war aufgekommen und die Zweige der alten Eiche folgten dem Wind mit langsamen, geschmeidigen Bewegungen. Thor musste über sich selbst lachen. Er dachte an den Herbst und an die starken Stürme, die diese Jahreszeit mit sich brachte. Dann konnte es sicher richtig unheimlich hier werden, mit knackenden Zweigen und Regen, der gegen die Scheibe schlug. Toll!

      Thor legte sich aufs Bett, blieb dort mit den Händen unter dem Kopf liegen und starrte an die Decke. Er dachte an Ragnar und ihren Abschied heute früh. Das erschien ihm jetzt bereits so fern. Dachte Ragnar an ihn? War er im Laufe des Tages