Название | Verbot, Verfolgung und Neubeginn |
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Автор произведения | Helmut Reinalter |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Quellen und Darstellungen zur europäischen Freimaurerei |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783706561495 |
5. Die Entwicklung der freimaurerischen Geschichtsschreibung ab 1960 und die Gründung der Forschungsloge Quatuor Coronati Wien
Ab den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts traten immer mehr bestimmte Forschungsschwerpunkte in das Zentrum des wissenschaftlichen Interesses. Zu diesen Schwerpunkten zählten das Verhältnis zwischen Aufklärung und Freimaurerei, insbesondere die josephinische Zeit, die Beziehungen zwischen Freimaurerei und Französischer Revolution bzw. Jakobinern in Mitteleuropa, die Verbindungen zwischen regulärer Freimaurerei und den zahlreichen paraund pseudomaurerischen bzw. politischen Geheimbünden, wie z.B. die Bruderschaft der Gold- und Rosenkreuzer, der Illuminatenorden, die Asiatischen Brüder, der Evergetenbund, der Geheimbund der Carbonari und die Deutsche Union.40 Besonders wichtig wurde dann für die österreichische Freimaurerhistoriographie die Gründung der Forschungsloge Quatuor Coronati 1974, die schon erwähnt wurde. Ihr Verdienst war vor allem die Gewinnung neuer Erkenntnisse über die Anfänge der Freimaurerei, wo sie Behauptungen korrigieren konnte, die frühe Prager Logengründung sei durch Graf Sporck erfolgt.41 Die Forschungsloge gab dann auch die Quatuor Coronati-Berichte heraus, in denen zahlreiche Aufsätze über die Freimaurerei erschienen sind. Manche Beiträge, die in diesen Berichten veröffentlicht wurden, wiesen aber in den Anfängen noch kein besonderes wissenschaftliches Niveau auf. Für die Geschichtsschreibung bedeutsam wurde auch die beginnende rege Ausstellungstätigkeit in Österreich mit Katalogartikeln. Erwähnt werden müssen hier vor allem die Ausstellungskataloge des Historischen Museums der Stadt Wien und der Dauerausstellung des Freimaurermuseums Schloss Rosenau. Dort fanden auch regelmäßig Sonderausstellungen statt.42 Was aber noch immer fehlte, war eine Gesamtdarstellung der Geschichte der österreichischen Freimaurerei. Auch das 19. und 20. Jahrhundert wies noch zahlreiche Forschungslücken auf.
Als besonderes Problem bei der Erforschung der Geschichte der österreichischen Freimaurerei stellte sich der enge Zusammenhang der Freimaurergeschichte Österreichs mit den historischen Entwicklungen der Bruderkette in Tschechien, Ungarn und anderen Nachbarländern heraus. Erste wichtige Anstrengungen wurden hier von der Quatuor Coronati Loge bereits eingeleitet.43 Auch das Symposium „250 Jahre Freimaurerei in Österreich“ befasste sich 1992 mit der Geschichte der österreichischen Freimaurerei und mit einem Ausblick in die Zukunft.44
6. Der Stand der neuesten Historiographie
In jüngster Zeit hat die österreichische Freimaurerforschung besonders intensiv publiziert und wichtige Forschungslücken schließen können, vor allem sind auch umfangreichere Monographien herausgekommen. Die Veröffentlichungen weisen ein sehr professionelles und qualitativ hochwertiges wissenschaftliches Niveau auf, das durchaus mit profanen Forschungen Schritt halten kann. Bedeutsam war in diesem Zusammenhang auch die Auffindung des Wiener Großlogenarchivs im Deutschen Sonderarchiv in Moskau. Helmut Reinalter hat hier gleich nach der Wende mit Genehmigung der Russischen Akademie der Wissenschaften die Freimaurerakten eingesehen und sie als ehemaliges Archiv der Großloge von Wien identifiziert. Ein Teil dieser Akten (leider mit vielen Duplikaten) kam dann über Initiative von Stefan Karner und Bernd Gallob in Kopien zurück in das Archiv der Großloge von Wien. Helmut Reinalter stellte den Aktenfund auch im Detail dem Großbeamtenrat der Großloge von Wien in schriftlicher Form vor.
Unter den neuesten Forschungen müssen vor allem die beiden Historiker Helmut Reinalter45 und Marcus G. Patka46 genannt werden. Marcus Patka war wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Exil im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands und ist seit 1989 Kurator am Jüdischen Museum Wien. Dort ist er zuständig für Ausstellungen, den Aufbau des digitalen Medienarchivs und für Kultur- und Zeitgeschichte. Seit 2012 ist er auch am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien als Dozent tätig. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. die jüdische Geschichte, der Nationalsozialismus und die Exilgeschichte. Helmut Reinalter war bis zu seiner Emeritierung Prof. für Geschichte der Neuzeit und Politische Philosophie an der Universität Innsbruck, leitete dort viele Jahre die internationale Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa“ und gründete 2000 das private Forschungsinstitut für Ideengeschichte, das sich neben der Demokratieforschung auch mit der Erforschung der Freimaurerei und Geheimgesellschaften beschäftigt.47 Seine Forschungsschwerpunkte umfassen neben der Freimaurerei, Ideengeschichte, Politische Geschichte, Sozialgeschichte, Politische Philosophie, Ethik und Theorien und Methoden der Geisteswissenschaften. Er war auch vorübergehend Leiter der Wissenschaftlichen Kommission zur Erforschung der Freimaurerei, die zu einer überregional bedeutsamen Forschungseinrichtung und Koordinierungsstelle geworden ist, aber dann leider nach einigen Jahren aufgelöst werden musste. Er war 15 Jahre Leiter der Freimaurerakademie der Großloge von Österreich und wurde zum Ehrenmitglied der Großloge ernannt. Im Rahmen des Instituts für Ideengeschichte gibt er auch die Zeitschrift für Internationale Freimaurer-Forschung48 und vier wissenschaftliche Reihen, „Quellen und Darstellungen zur europäischen Freimaurerei“49, „Interdisziplinäre Forschungen“50, „Schriftenreihe der Forschungsstelle Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770–1848/49“ und gemeinsam mit Anton Pelinka die Reihe „Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit“ heraus.51 Von ihm sind ab 1982 mehrere Monographien zur Freimaurerei erschienen52, wie: Geheimbünde in Tirol. Von der Aufklärung bis zur Französischen Revolution, Bozen 1982 (2. Aufl., Innsbruck 2011); Die Rolle der Freimaurerei und Geheimgesellschaften im 18. Jahrhundert, Innsbruck 1995; Die Freimaurer, München 2000 (7. Aufl. 2016, Türkische Lizenzausgabe 2008 und Japanische Lizenzausgabe 2016, Bestseller); Reflexive Aufklärung als Denkmodell für Freimaurer, Wien 2004; Aufklärung und Moderne, Innsbruck 2008; Die Weltverschwörer. Was Sie eigentlich alles nie erfahren sollten, Salzburg 2010 (Bestseller); Aufklärungsdenken und Freimaurerei, Zürich 2014; Der aufgeklärte Mensch. Das neue Aufklärungsdenken, Würzburg 2016 (2. Aufl. 2016); Aufklärung, Humanität und Toleranz. Die Geschichte der österreichischen Freimaurerei im 18. Jahrhundert, Innsbruck 2017; Freimaurerei, Politik und Gesellschaft. Die Wirkungsgeschichte des diskreten Bundes, Wien 2018 und Die Zukunft der Freimaurerei, Leipzig 2018.
Auch als Herausgeber von Sammelbänden und Akteneditionen war Helmut Reinalter sehr aktiv. Zu nennen wären hier vor allem: Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa, Frankfurt / M. 1983 (4. Aufl. 1996); Joseph II. und die Freimaurer im Lichte zeitgenössischer Broschüren, Wien-Köln-Graz