Neuer Anfang auf Wienhagen. Lise Gast

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Название Neuer Anfang auf Wienhagen
Автор произведения Lise Gast
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711509814



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unterrichtete ihn kurz, und beide gingen nochmal zu der Einschlagstelle zurück. Auch Humke hatte nichts von dem kleinen Brand bemerkt und war nicht wenig erschreckt. Aber nun war ja alles in Ordnung. Ein warmer, sommerlicher Gewitterregen prasselte herunter. Humke sparte nicht mit Worten der Anerkennung. Ja, man müßte morgen gleich die verschiedenen Stellen benachrichtigen, die Polizei, die Versicherung. Jetzt wollte er noch schnell mal durch die Ställe gehen, ob alles in Ordnung war. Na, und dann gute Nacht auch!

      Die Geschwister hatten unter dem Vordach des Hauseingangs auf Detlev gewartet. Sie waren alle erleichtert und aufgeräumt, als sie ins Haus traten und Licht machten. Sie lachten sogar, während sie sich gegenseitig musterten, naß wie sie waren und schmutzig. Die Mutter mußte das Gewitter überhaupt nicht bemerkt haben. Sicherlich hatte sie noch lange gearbeitet und war spät zu Bett gegangen.

      „Wollen wir es eigentlich Mutter erzählen?“ fragte Detlev. Rüdi klopfte sich mit dem gekrümmten Zeigefinger aufs Hirndach.

      „Natürlich. Der Feuerlöscher muß doch nachgefüllt werden.“

      „Na klar.“ Detlev schüttelte über sich selbst den Kopf. „Manchmal ist man bekloppt. Übrigens: ob wir nicht was zu essen finden? Ich habe einen Hunger wie sechs Kriegervereine.“

      So zogen sie zur Küche. Elisabeth wußte natürlich, wo Marie den Speisekammerschlüssel zu verstecken pflegte.

      „Was möchtet ihr?“ fragte sie, während sie aufschloß.

      „Schinken!“ platzte Heiner heraus. Es klang so endgültig und gleichzeitig so vergnügt, daß sie alle vier loslachten.

      Erst als Elisabeth ins Bett kroch — es wurde draußen schon hell — fühlte sie ihr Herz wieder schwer werden. Es hatte so gut getan, nach abgewandter Gefahr mit den Jungen zu blödeln und zu lachen. Jetzt drückte es aber erneut auf sie. Sie zog die Decke bis ans Kinn hoch, rollte sich wie ein Igel zusammen und versuchte, sich selbst zu beruhigen.

      Der Brand war gelöscht. Sie hatten es geschafft. Aber dies war nicht die einzige Gefahr, die ihnen drohte.

      Es ging — nun ja, man konnte es ruhig aussprechen — es ging um Wienhagen.

      Am nächsten Morgen machte Mutter den Geschwistern Vorwürfe, daß man sie nicht geweckt habe. Tatsächlich, sie hatte das Gewitter und den Blitzeinschlag verschlafen. Aber es war ja alles gut abgelaufen und der Schaden gering. Humke berichtete, daß auch die Verwüstungen durch den Regenguß auf den Feldern nicht der Rede wert seien. Immerhin wollte er heute gleich vormittags zur Stadt fahren, um den Brandschaden anzumelden. Den Dachstuhl würde man mit eigenen Kräften aus dem Dorf wieder instand setzen können. Das war nochmal gut abgelaufen. Die Geschwister konnten also ihren gewohnten Gang zu den verschiedenen Schulen antreten, um einen wichtigen Gesprächsstoff bereichert. —

      „Du lieber Himmel, was schreibt ihr denn da?“ fragte Elisabeth, als sie an einem der folgenden Nachmittage ins Jungenszimmer trat. Wahrhaftig, ein ungewohntes Bild: Rüdi und Heiner saßen am Sonntag nach Tisch, zu einer Zeit also, da jeder tun und lassen konnte, was er wollte, und kritzelten. Das taten sie bestimmt nicht freiwillig. Ihre Gesichter waren auch entsprechend mürrisch.

      „Das möchtest du gern wissen!“ knurrte Rüdi; Heiner aber, der Vierzehnjährige, guckte Elisabeth bittend an. Er schien zu wittern, daß Hilfe nahte.

      „Ich krieg’ keinen Anfang — es ist scheußlich.“

      „Was denn, Heiner?“ fragte Elisabeth und setzte sich neben ihn. Seit einiger Zeit hatte man beschlossen, ihn nicht mehr, wie früher, Heinz, sondern Heiner zu rufen. Das klang männlicher, hatte Detlev gesagt. „Meine Familie? Willst du eine Chronik anlegen?“

      „N—nein, aber —“ er schnupfte auf. Elisabeth erschrak. Er würde doch nicht etwa weinen.

      „Aber?“ fragte sie deshalb schnell.

      „Wir sollen doch fort. Alle beide.“

      „In Zwangserziehung. Ich auch. Und bloß, weil Heiner —“ sagte Rüdi wütend. Elisabeth sah ihn erschrocken an.

      „Fort? Ihr sollt fort?“ Das hatte sie noch nicht gehört. „Oder ist das ein blöder Witz von dir?“

      „Witz! Ja, schöner Witz! Es ist wegen —“ und nun gaben sie sich die Stichworte und berichteten, was vorgefallen war. Dabei sparte Rüdi nicht mit Beschimpfungen seiner Lehrer und seiner Brüder, des jüngeren, weil er der Anlaß war, und des älteren, weil er Mutter zu diesem Plan zugeredet hatte. Elisabeth hob abwehrend die Hände.

      „Sachte! Wer hatte immer Arrest? Und wer hat die Schule geschwänzt? Na also. Und wohin sollt ihr?“

      „In ein Internat. In Neunkirchen.“ Das war ein Städtchen, etwa dreißig Kilometer von Wienhagen entfernt. Elisabeth entsann sich jetzt, daß es dort eine Heimschule für Jungen gab, die sehr gerühmt wurde. Keine „Presse“, auch kein Landschulheim, sondern ein Internat mit frischen, netten, vernünftigen Lehrern. Von Zwangserziehung, wie Rüdi sich ausgedrückt hatte, konnte keine Rede sein.

      „Ach! Aber ich verstehe trotzdem nicht, warum ihr da heute hier sitzt und schreibt.“

      „Wir müssen für die Aufnahme in diese Schule einen Aufsatz machen, damit sie uns schon etwas kennen lernen, und wir — ich meine, unsere Familie —“ er stockte.

      „Na? Was denn?“ fragte Elisabeth ermunternd.

      „Unsere Familie ist doch so schwierig zu beschreiben“, maulte Heiner. Diesmal widersprach auch Rüdi nicht. Elisabeth überlegte.

      Wirklich, in diesem Punkt hatten die Jungen recht. Es gab in der Familie Hagen „meine-deine-unsere“ Kinder, wie sollte man das auf eine kurze klare Formel bringen? Unter dem Fenster hörte man es jetzt rufen:

      „Liiiiiesabeth! Kommste endlich?“ Das war die kleine Liane, das Nestküken. Wo Gerd steckte, ahnte sie nicht.

      „Ja! Warte doch! Du hast recht, Heiner, das ist eine knifflige Geschichte.“ Sie beugte sich vor, auf dem Nachbarstuhl kniend und die Arme aufgestützt. So lag sie über dem Tisch, beide Fäuste in die Backen gestemmt, und sah auf das Blatt herunter, auf dem er angefangen hatte zu schreiben. „Ich bin der dritte Sohn von —“ weiter ging es noch nicht.

      „Hier steckt ihr?“ fragte in diesem Augenblick Barbara. Sie war zur Tür hereingeschusselt gekommen, trotz des Sonntags in Reithosen und Anorak, ein Reithalfter in der Hand. „Rüdi, wo bleibst du denn? Dann nehme ich eben die Horka!“

      „Untersteh dich!“

      „Nun seid doch mal einen Augenblick still! Von draußen brüllt Liane nach mir, du zerrst an Rüdi, man kann ja keinen Gedanken fassen.“

      „Wozu brauchst du denn am heiligen Sonntag Gedanken? Außerdem macht Denken häßlich.“ Barbara lachte.

      „Grünschnabel! Ich brauch’ sie zu dem Aufsatz: Meine Familie. Schreib du das mal kurz und bündig bei so verworrenen Verhältnissen wie den unseren.“

      „Ach, ihr Umstandsräte! Ich brächte das in drei Sätzen fertig“, sagte Barbara und setzte sich mit einem Hops auf den Tisch, ließ die Beine baumeln und polierte mit dem Ärmel ihres Anoraks den Stirnriemen des Halfters. „Ich schriebe —“

      „Was denn, bitte sehr?“

      „Wollen wir wetten, daß ich es in drei Sätzen hinkriege? Also: Vater und Mutter waren beide verwitwet, als sie heirateten. Vater hatte drei Söhne, Detlev, Rüdiger und Heiner, Mutter drei Töchter, Elisabeth, Ingrid und Barbara. Nach einem Jahr bekamen sie Zwillinge: Gerd und Liane. Basta. Punkt. Streusand drüber. Na? Wie findet ihr das?“

      „Großartig“, sagte Rüdi anerkennend, und auch Elisabeth sagte, sich aufrichtend: „Gar nicht dumm, Bäbbs. Kurz, treffend und völlig ausreichend. Dafür bekommst du eine Eins mit einem goldenen Stern.“

      „Können wir das aber alle beide schreiben? Ich meine, ob das nicht auffällt, wenn Rüdi und ich denselben Aufsatz abgeben?“ fragte Heiner vorsichtshalber noch. Barbara lachte.

      „Es