Krach im Ferienlager. Marie Louise Fischer

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Название Krach im Ferienlager
Автор произведения Marie Louise Fischer
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711719435



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vor ihm, ein entscheidender Fehler. Er hätte besser alle, die nicht direkt mit dem Fall zu tun hatten, zurück an die Arbeit schicken sollen, aber das unterließ er. Vielleicht vergaß er es ganz einfach oder auch er hielt die Gelegenheit für günstig, seine Macht endgültig und ein für allemal zu festigen.

      »Du willst also nicht arbeiten?« fragte er Hertha, und seine Stimme war betont ruhig. »Du willst also deine Pflichten der Gemeinschaft gegenüber nicht erfüllen?«

      Hertha schwieg, aber sie erwiderte unerschrocken den Blick seiner scharfen blauen Augen.

      »Los, raus mit der Sprache!« sagte Hans, immer noch sehr ruhig.

      »Ich rede nicht, solange man mich festhält!« erwiderte Hertha trotzig.

      »Laßt sie los!« befahl Hans.

      Hertha rieb sich ihr gerötetes Handgelenk und warf Günther einen verächtlichen Blick zu.

      »Also … wirďs bald?«

      Hertha wandte sich Hans zu, ihr rotes Haar flammte. »Natürlich will ich arbeiten, aber freiwillig! Ich will mich nicht von früh bis spät kommandieren lassen … nicht von dir, Hans, und nicht von deinen Trabanten! Verstanden? Ich möchte gerne wissen, wer dir die Leitung des Lagers anvertraut hat! Dr. Kirst etwa oder Fräulein Widemann? Oder unsere Eltern? Von uns war es nämlich keiner, das weiß ich genau!«

      Hertha hatte sehr schnell gesprochen, um nicht unterbrochen zu werden, und jetzt ertönte aus dem Kreis ringsum unmißverständliches Beifallsgemurmel. »Sie hat ganz recht!« rief Thomas, ein schwarzhaariger, glutäugiger Junge, hitzig. »Das möchten wir alle gern wissen!« Das Beifallsgemurmel verstärkte sich.

      Hans wandte seinen Blick in die Richtung, aus der die respektlose Bemerkung gekommen war, aber Thomas, der ziemlich weit hinten stand, duckte sich rasch, weil er Angst vor seinem eigenen Mut bekommen hatte.

      »Sonst noch was?« fragte Hans, so gelassen wie zuvor, und sah sich herausfordernd im Kreise um.

      »Weiter nichts!« antwortete Hertha. »Wenn du uns das erklären kannst, dann will ich gerne acht Stunden am Tag Kartoffeln schälen, wenn es sein muß!«

      »Nun hört mal zu«, begann Hans, »ihr wißt alle, wie es hier zuging, bevor ich …«

      »Das hat nichts damit zu tun«, rief Hertha dazwischen, »überhaupt nichts! Lieber das größte Tohuwabohu als sich von einem Flegel wie dir und zwei Sitzenbleibern …« Hertha stockte mitten im Satz und sprang schnell zur Seite, denn Karls kräftige Faust kam auf sie zugeschossen.

      Jeder im Lager wußte, daß Klaus und Karl sitzengeblieben waren, und jeder wußte auch, daß das ihre empfindliche Seite war.

      Für Hertha kam dieser Angriff ganz und gar nicht überraschend. Es gelang ihr sogar, Karl schmerzhaft gegen das Schienbein zu treten.

      Er schrie auf und wollte sich auf Hertha stürzen, aber da griff Theo, dessen Kopf immer noch von einem imponierenden weißen Verband geschmückt war, mit einem Sprung in den Kampf ein, Klaus kam Karl zu Hilfe, Thomas drängte sich mit plötzlichem Entschluß nach vorn, die Unzufriedenen im Lager warfen sich mit Karacho in das Gewühl. Hans hieb mit beiden Fäusten um sich, und seine Getreuen halfen ihm nach Kräften.

      Die allgemeine Prügelei nahm ungeahnte Ausmaße an, es war schwer, Freund und Feind zu unterscheiden. Der trockene Sand wirbelte auf und tat das Seine dazu, die Verwirrung und die Wut zu vergrößern. Eine Gruppe von Jungen wurde gegen Hansens Zelt, das Hauptquartier, geworfen, und krachend stürzte es zusammen.

      Der Kampf endete unentschieden. Es gab weder Sieger noch Besiegte, sondern nur Erschöpfte. Dennoch wußten alle, auch Hans, daß seine Macht endgültig gebrochen war.

      Wir wollen eine Demokratie!

      Diesen Mittag gab es nur eine sehr dünne Suppe, da erst die Hälfte der Kartoffeln geschält worden war, und daß es überhaupt etwas zu essen gab, war nur dem uneigennützigen Pflichteifer Liebknecht Müllers zu verdanken. Die Stimmung im Lager war gedrückt, wenn möglich noch gedrückter als am Morgen, denn selbst die Freiheitsdurstigsten waren sich darüber klar, daß dieser unverhoffte Sieg keineswegs ein Schritt voran bedeutete, sondern daß man nur eben wieder dahin gekommen war, wo man vor gut einer Woche angefangen hatte.

      Hans und seine vier Trabanten nahmen am Mittagessen nicht teil. Sie hatten fast eine Stunde damit zu tun, ihr Zelt zu flicken und wieder aufzurichten, dann begaben sie sich ins Dorf und besorgten sich Kuchen beim Bäcker, und anschließend gingen sie an den See.

      Hans war sehr schweigsam. Er grollte. Seine Trabanten respektierten diesen Gemütszustand und belästigten ihn weder mit Fragen noch mit unerwünschten Ratschlägen. Bis es kühl wurde, aalten sie sich in der Sonne, dann trabten sie ins Lager zurück.

      Ohne links und rechts zu schauen, erreichten sie ihr Zelt. Hans holte die Stahlkassette aus ihrem Versteck und begann, die Lagerkasse zu zählen.

      Bei dieser Beschäftigung war er noch, als Helmuth mit einem munteren ›Guten Abend zusammen!« ins Zelt geschlüpft kam.

      Niemand antwortete ihm.

      »Ich störe doch nicht?« fragte er, scheinbar arglos.

      Wieder bekam er keine Antwort.

      »Ich wollte dir nur einen Vorschlag machen, Hans!«

      Hans brummte etwas Unverständliches, und Helmuth nahm es als eine Aufforderung, Platz zu nehmen.

      »Na, wie stehen die Finanzen?« fragte er. »Reicht’s noch für die nächsten fünf Wochen?«

      Hans warf das weiche braune Haar aus der Stirn und sah Helmuth an. »Ich bin dabei, die Kasse aufzuteilen«, sagte er.

      »Wieso!«

      »Jeder bekommt seinen Anteil ausbezahlt, und damit hat sich’s!«

      »Hm«, meinte Helmuth, »gar nicht so dumm, nur …«

      »S-s-soll ich d-d-dies-s-ses B-leichgesicht«, stotterte Eberhard Brecht, der zu seinem Leidwesen mit einem Sprachfehler behaftet war und aus diesem Grunde niemals dazu kam, einen Satz zu Ende zu sprechen.

      »… rauswerfen?« ergänzte auch diesmal Günther Furnickel.

      »Laßt nur!« wehrte Hans ab.

      Helmuth hatte sich mit untergeschlagenen Beinen niedergehockt. Jetzt nahm er seine Brille von der Nase und begann sie umständlich zu putzen. Er war ein schmächtiger, unsportlicher Junge, Klassenbester zudem, und weit mehr an wissenschaftlichen Dingen als an Fußballwettkämpfen und Raufereien interessiert. Aus diesem Grunde war er den anderen Jungen oft eine willkommene Zielscheibe für Spott und Hänseleien, was er sich mit leicht überheblicher Gutmütigkeit gefallen ließ. Daß er in Wahrheit aber durchaus nicht unbeliebt war, lag daran, daß er kein wirklicher Streber war, sich nie bei den Lehrern Liebkind zu machen suchte, jedem half und erklärte, der es wollte, und auch seine Arbeiten ohne weiteres zum Abschreiben hergab, falls es sich einrichten ließ.

      »Was wolltest du sagen, Helmuth?«

      »Och, nichts Besonderes … ich wollte dich nur dran erinnern, daß Sonntag in einer Woche die Eltern zu Besuch kommen!«

      »Von mir aus!« Hansens blaue Augen verfinsterten sich.

      »So? Was glaubst du, was passiert, wenn sie hier einen Sauhaufen vorfinden?! Wir sind bis auf die Knochen blamiert! Mit Schimpf und Schande müssen wir nach Hause, das ist sicher!«

      »Na, wenn schon«, erklärte Hans trotzig.

      »Möchtest du das?«

      »Ich werde nicht mehr dabeisein. Meine Freunde und ich werden uns einen anderen Lagerplatz suchen … wo die Luft reiner ist!«

      »Und deine Mutter?«

      »Ich werde ihr schreiben … alles! Und ich glaube, sie wird’s schon verstehen!«

      Helmuth hatte seine Brille wieder aufgesetzt und schaute Hans nachdenklich durch die funkelnden