Hiob. Rüdiger Lux

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Название Hiob
Автор произведения Rüdiger Lux
Жанр Документальная литература
Серия Biblische Gestalten (BG)
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783374057627



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darüber gemacht, wo die Grenzen zwischen dem notwendigen Widerstand gegen das ›Schicksal‹ und der ebenso notwendigen Ergebung liegen. Der Don Quijote ist das Symbol für die Fortsetzung des Widerstands bis zum Widersinn, ja zum Wahnsinn – ähnlich Michael Kohlhaas, der über die Forderung nach seinem Recht zum Schuldigen wird – […] der Widerstand verliert bei ihm letztlich seinen realen Sinn und verflüchtigt sich ins Theoretisch-Phantastische. […] Ich glaube, wir müssen das Große und Eigene wirklich unternehmen und doch zugleich das selbstverständlich- und allgemein-Notwendige tun, wir müssen dem ›Schicksal‹ – ich finde das ›Neutrum‹ des Begriffes wichtig – ebenso entschlossen entgegentreten wie uns ihm zu gegebener Zeit unterwerfen. Von ›Führung‹ kann man erst jenseits dieses zwiefachen Vorgangs sprechen, Gott begegnet uns nicht nur als Du, sondern auch ›vermummt‹ im ›Es‹, und in meiner Frage geht es also im Grunde darum, wie wir in diesem ›Es‹ (›Schicksal‹) das ›Du‹ finden, oder m. a. W. […] wie aus dem ›Schicksal‹ wirklich ›Führung‹ wird.«3

      Das Hiobbuch lotet diese Spannung zwischen Widerstand und Ergebung, die das Leben Hiobs förmlich zu zerreißen droht, bis in eine Tiefe hinein aus, die ihresgleichen in der Literatur der Antike wie auch der Moderne sucht. Es schreit nach dem Du Gottes, der die teilnahmslose Larve des Es trägt. Einerseits widersetzt sich Hiob mit all seiner ihm verbliebenen Kraft dem Geschick, das über ihn wie aus dem Nichts hereingebrochen ist und für das er doch keinen anderen als Gott selbst verantwortlich zu machen wüsste. Er klagt vor Gott und den Menschen (Hi 3), ja, er geht so weit, dass er Gott selbst mit einer Schärfe anklagt, die dem frommen Leser den Atem raubt. Dabei schreckt er nicht davor zurück, Gott als seinen Feind zu brandmarken, der seine giftigen Pfeile auf ihn abgeschossen und seine Nieren gespalten habe (Hi 6,4;16,3). Schlimmer noch! Hiob macht Gott einen geradezu ungeheuerlichen Vorwurf:

       Die Erde wurde in die Hand eines Verbrechers (rascha’) gegeben.

       Das Angesicht ihrer Richter verhüllt er.

      Wenn nicht (er), wer ist es denn sonst? (Hi 9,24)

      Gott ein Verbrecher, der die Augen der Richter verhüllt, diejenigen mit Blindheit schlägt, die für Recht und Gerechtigkeit einzustehen haben? Gott ein seelenloses Es, ein Ding, das wie eine gewaltige Kriegsmaschine die Menschen ohne Ansehen der Person in Staub und Asche legt? So hatte noch keiner gewagt, von Gott zu reden. In dieser Freiheit hatte noch keiner dem widerstanden, aus dessen Hand er bisher alles widerstandslos hingenommen hatte, das Gute und das Böse (Hi 2,10).

      In Hiob kommt damit zweierlei zum Durchbruch: Das Ende der Geduld, auch der Geduld mit Gott, und die Freiheit des Leidenden Widerstand zu leisten, zu klagen und anzuklagen. Aber nach schmerzhaften Dialogen und Monologen, in denen sich weder Hiob und seine Freunde, noch Gott und Hiob gegenseitig etwas schenken, folgt schließlich auch jenes dem Leser beinahe ärgerlich und kleinlaut scheinende Wort der Ergebung:

       Darum verwerfe ich (meine Anklage) und bereue

      – auf Staub und Asche! (Hi 42,6)

      Ist Hiob mit seinem Widerstand gegen Gott am Ende doch gescheitert? Sind Ergebung und Unterwerfung der Preis, den er zahlen musste, um am Ende schließlich doch gerechtfertigt (42,7) und wieder hergestellt zu werden (42,10–17)? Und war dieser Preis angesichts des abgrundtiefen Leides, das ihm widerfuhr, nicht viel zu hoch? Oder konnte sich Hiob am Ende in sein Geschick ergeben, weil sich ihm die Gottesfinsternis aufgehellt hatte, weil er hinter der undurchsichtigdämonischen Maske des Es, eines blinden Fatums, das Du des lebendigen Gottes entdeckt hatte, eines Gottes, der auch in der Finsternis auf der Seite der Leidenden steht? Ja, konnte er schließlich jenseits von Widerstand und Ergebung und im Abstand dazu so etwas wie Gottes führende Hand in alledem entdecken?

      Das Hiobbuch ist ein in hohem Maße riskantes Buch. Einerseits riskiert Gott in ihm die Absage seines treuen Knechtes Hiob. Ja, er riskiert, dass in der himmlischen Wette am Ende der Satan Sieger bleibt. Andererseits riskiert aber auch der anklagende Hiob den Verlust Gottes, des Gottes, der ganz darauf setzt, dass er, der Dulder, die Kraft finden wird, dem Satan zu widerstehen, dass auch das Leid ihn nicht von Gott weg, sondern zu ihm hinführen wird. Was hier riskiert wird, das ist die Gottesbeziehung – die Hiobs zu Gott und die Gottes zu Hiob. Sie wird durch das Leiden einer geradezu erbarmungslosen Prüfung unterzogen. Und dabei ist das Scheitern keineswegs von Anfang an ausgeschlossen. Gibt es nicht genug Hiobsgestalten in der Geschichte des jüdischen Volkes und der Völker, denen ihr Gottvertrauen unwiderruflich zerbrach? Und werden diese leidgeprüften Glaubensstreiter nunmehr in einer undurchdringlichen Gottesfinsternis versinken? Oder ist gar das Scheitern ihres Glaubens ein erster Schritt in die Freiheit, eine Freisetzung der Vernunft, die endgültig darauf verzichtet, Gott als Argument in die Debatte der großen Welt- und Lebensrätsel einzuführen, zu denen das Böse gehört? Ist der Abbruch der Gottesbeziehung also kein Absturz in die Gottesfinsternis, sondern der Mut, sich fortan nur noch vom Licht der eigenen Vernunft leiten zu lassen?

      2. VOM LEIDEN ALS »FELS DES ATHEISMUS«

      Im 3. Akt des Dramas »Dantons Tod« von Georg Büchner (1835) trifft man auf eine Runde von Gefangenen im provisorisch zur Haftanstalt hergerichteten Palais du Luxembourg, die auf ihre Hinrichtung warten. Unter ihnen kommt es zu einer lebhaften philosophischen Debatte über die Revolution, den Sinn des Lebens, den Tod, die Unsterblichkeit und Gott. In ihr deklamiert der Häftling Payne:

      »Schafft das Unvollkommene weg, dann allein könnt ihr Gott demonstrieren; Spinoza hat es versucht. Man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz; nur der Verstand kann Gott beweisen, das Gefühl empört sich dagegen. Merke dir es, Anaxagoras: warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes, und rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riß in der Schöpfung, von oben bis unten.«4

      Dieser Debattenbeitrag im Schatten der Guillotine ist in mehrfacher Hinsicht von Interesse. In ihm wird die Theodizeeproblematik, die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts einer unvollkommenen von Naturkatastrophen, Seuchen, Kriegen und vielfältigen Leiden heimgesuchten Lebenswirklichkeit, auf den Punkt gebracht. Wie kann Gott angesichts des Bösen in der Welt zugleich allmächtig und gut sein? Müsste die Welt nicht, wenn er allmächtig und gut wäre, vollkommen sein? Kann also nur eine Welt der Vollkommenheit und ungetrübten Harmonie Gott demonstrieren, ihn glaubhaft und einsichtig machen, ja, gar beweisen? Und wäre eine solche Welt nicht der Garten Eden, den Adam, der Mensch, längst verspielt hat, das Paradies, der Himmel auf Erden? Eine Welt unserer Träume?

      Aber, das Gedankenexperiment sei gewagt: was für ein Gott wäre das, was für eine Welt und was für ein Mensch, die keine Brüche, Risse, Spannungen, Kämpfe und Streit, keine Übel, Schmerzen, Leiden, Trauer, Tränen und Tod mehr kennen würden? Ist uns eine solche Vollkommenheit überhaupt vorstellbar? Und sollte dies der Fall sein, wäre sie wirklich wünschenswert? Eine Welt, in der alles bestens geregelt ist, ohne Absurdes, Widersinniges, Erschreckendes, Verwegenes, unangenehm Überraschendes, Mühsames, ohne Mangel und Not, wäre sie nicht zeitlos, da ohne Veränderungen unterwegs zwischen gestern und morgen? Gefangen in vollkommener Harmonie, in sich selber kreisend? Wäre es nicht eine Welt ohne Geschichten und daher auch ohne Geschichte, weil ohne Vergänglichkeit und Tod? Und könnte sie wirklich Gott demonstrieren? Vielleicht den Gott der Philosophen, das ens perfectissimum, das »vollkommenste Wesen«, nicht aber den Gott der Bibel, der sich aufs Unvollkommene einlässt, auf den Menschen und seine Welt, auf Leiden, Schmerz, Vergänglichkeit und Tod. Der Mose der Tora, die prophetische Urgestalt Israels schlechthin, weiß sehr wohl darum, dass die Abschaffung der Unvollkommenheit nicht notwendig zur Gotteserkenntnis führt, sondern eher die Gefahr der Gottvergessenheit mit sich bringt:

      Wenn dich JHWH, dein Gott, in das Land bringt, von dem er deinen Vätern Abraham, Isaak und Jakob geschworen hat, es dir zu geben, große und gute Städte, die du nicht gebaut hast, Häuser, angefüllt mit allerlei Gutem, die du nicht gefüllt hast und ausgehauene Zisternen, die du nicht ausgehauen hast, Weinberge und Ölbaumgärten, die du nicht gepflanzt hast, und wenn du dann isst und satt wirst, dann hüte dich davor,