Mein geniales Leben. Jenny Jägerfeld

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Название Mein geniales Leben
Автор произведения Jenny Jägerfeld
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783825162313



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      Ich kitzelte ihn hinterm Ohr, er leckte mir die Hand und die Backe und ich musste schnell den Mund fest zukneifen, um keinen Zungenkuss abzubekommen. Dann hörte ich Schritte auf der Treppe. Ein paar Sekunden später schaute Mama herein. Sie hatte ihre Jeansjacke an und ihre hellbraunen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden.

      »Hallo, Schatz! Bist du schon wach?«

      »Nö, ich schlafe«, sagte ich.

      »Du, hör mal, ich fahr jetzt nach Norrköping, möchte ein paar Bewerbungen schreiben. Ich hab vor, mich mit dem Laptop in ein Café zu setzen, um ungestört zu sein. Hier im Haus ist das ja nicht so ganz einfach …« Sie lachte kurz. »Oma hat versprochen, auf euch aufzupassen.«

      »Okay«, sagte ich.

      »Aber ich wollte dich fragen, ob du mit Einstein rausgehst? Nicht jetzt gleich, aber bald. Ich schaffe das einfach nicht. Der Bus fährt in zehn Minuten.«

      »Kann Majken das nicht machen? Die macht doch nie was.«

      »Aber Schatz, sie ist zu klein, um mit ihm rauszugehen, das weißt du doch. Wenn er plötzlich ein Eichhörnchen sieht, fliegt sie wie ein Handschuh an der Leine durch die Luft. Außerdem hört er nicht auf sie.«

      »Was eigentlich komisch ist, wo sie doch so laut spricht!«

      Mama legte den Kopf schief und warf mir einen flehenden Blick zu. Dabei sah sie ungefähr so aus wie Einstein, wenn er neben dem Esstisch sitzt und bettelt.

      »Von mir aus.«

      »Danke, danke, Sigge-Schatz! Du bist der Beste!«

      Sie beugte sich übers Bett und gab mir einen Kuss. Einstein leckte ihr schnell das Gesicht ab. Sie richtete sich rasch wieder auf.

      »Einstein, dein Mundgeruch, aber ehrlich! Was hast du gefressen? Abfall?«

      Sie wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab.

      »Übrigens, Oma schafft es heute vielleicht, dir die Haare zu schneiden. Das wäre doch gut, oder?«

      »Du nervst.«

      Bevor Mama antworten konnte, begann eine von Omas vielen Uhren eine Klimpermelodie zu spielen. Oma hatte erzählt, das sei das gleiche Lied, das der Big Ben, dieser große Glockenturm in London, jede Stunde spielt.

      »Mist, ist es schon neun? Wir sehen uns in ein paar Stunden oder so. Muss schnell los!«

      Sie verschwand durch die Tür, dann hörte ich ihre eiligen Schritte die Treppe hinunterklappern.

      Gähnend setzte ich mich auf. Ich würde Majken trotzdem wecken, sie konnte mir wenigstens Gesellschaft leisten.

      Einstein folgte mir dicht auf den Fersen, als ich in Majkens Zimmer trat. Ein paar Lämpchen leuchteten in der Dunkelheit, ich hörte den Cola-Automaten brummen. Der Automat durfte nicht angeschlossen sein, wenn keine Cola zum Kühlen drin war. Er funktionierte ja wie ein Kühlschrank und verbrauchte eine Menge Strom. Das kümmerte Majken offenbar wenig. Sie hatte sich die Bettdecke abgestrampelt und lag mit ausgebreiteten Armen und Beinen schnarchend im Bett. Als Nachthemd hatte sie ein T-Shirt von Oma an, auf dem eine gelbe Corvette drauf war. Ihre rotblonden Haare lagen wie ein wirres Vogelnest auf ihrem Kopf. Mama und sie zankten sich mindestens einmal täglich, weil Mama Majkens Haare bürsten wollte und Majken sich dagegen wehrte.

      »Majken«, sagte ich und knuffte sie am Arm. »Majken, wach auf!«

      Majken rollte sich auf die Seite und schnarchte weiter. Absolut crazy, sie schnarchte tatsächlich schlimmer als Svedrik!

      »Majken! Majken! MAJKEN!«

      Ich schüttelte sie an der Schulter, stupste sie unterm Arm und pustete ihr ins Ohr, mit dem einzigen Ergebnis, dass sie sich zur Wand drehte. Ich gab auf. Einstein sah mich erwartungsvoll an.

      »Dann gehen wir eben zu zweit raus, du struppiger Kerl.«

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      Wir überquerten den Waldweg und die Wiese, dann sah ich mich vorsichtig um, bevor ich mit Einstein über die große Landstraße rannte, wo die mit langen Holzstämmen schwer beladenen Fernlaster auf dem Weg zur Papierfabrik vorbeidonnerten.

      Als wir auf dem Schotterweg gegenüber ankamen, musste ich Einsteins Leine nicht mehr so kurzhalten. Hier fuhren fast keine Autos und nur ganz selten ein paar Fahrräder. Der Weg führte an einem Acker vorbei und an einer Pferdeweide mit zwei braunen Pferden, dann an einem abgebrannten Haus, von dem nur der gemauerte Schornstein noch stand, und an einem Bauernhof mit einem Garten voller bunt leuchtender Blumen.

      Einstein trottete hin und her, bei jedem Schritt hüpften seine Ohren. Er schnupperte im Graben und pinkelte alle fünf Meter auf irgendwelche zerzausten Grasbüschel. Ab und zu drehte er sich um und checkte, dass ich noch da war.

      Ich musste daran denken, wie er als kleiner Welpe gewesen war. Echt anstrengend war das damals! Nachts hatte er gejault, weil er nicht allein schlafen konnte, also durfte er schließlich bei mir im Bett schlafen. Da legte er sich prompt über meinem Kopf aufs Kissen, die Beine links und rechts ausgestreckt, und das fühlte sich an, als hätte ich eine kleine Pelzmütze auf. In der ersten Woche fraß er fast nichts, und das machte uns große Sorgen. (Jetzt, wo er mehr oder weniger alles verschlingt, was er sieht, sofern es nicht aus Metall oder Glas ist, kann man sich das kaum noch vorstellen.) Aber das alles war unwichtig, er war nämlich der niedlichste Welpe, den ich je gesehen hatte. Klein und rund, vor allem schwarz, Pfoten und Hals aber sahnebonbonbraun. Seine Augenlider waren auch sahnebonbonbraun, als hätte er Lidschatten aufgelegt. Er war ein Rottweiler-Schäferhund-Mix. Drei Viertel Rottweiler und ein Viertel Schäferhund. Ein Mischling, genau wie ich.

      Obwohl er der ganzen Familie gehörte, war er doch vor allem mein Hund. Mama hatte ihn mir geschenkt, und ich hatte ihn aufgezogen. Ich hatte mit ihm Agility-Kurse besucht, mit ihm trainiert, über und unter Hindernisse zu hüpfen und zu kriechen, auf Brettern zu balancieren und durch Tunnels zu rennen. Mir gehorchte er am meisten, danach Mama, dann Oma und zuletzt Majken. Auf Svedrik hatte er nie gehört, und Bobo war in seinen Augen wohl nur ein unbedeutender kleiner Welpe, obwohl er es schätzte, dass sie immer Essen auf den Boden fallen ließ.

      Ich bekam ihn im Herbst, als ich neun war, und er wurde sofort mein allerbester Freund. Mein einziger Freund. Damals ging ich in die Dritte, in meiner Erinnerung ein einziges verschwommenes Dunkel. Die Schulstunden waren okay, die Pausen dagegen wahre Albträume. Ich blieb so lange wie möglich im Klassenzimmer, um nicht mit den anderen in den Garderobenflur zu müssen. Fürchtete, was die Jungs sagen würden, was sie machen würden. Würden sie meine Mütze nehmen und sie ins Klo werfen? Oder an mir herumschnuppern und behaupten, ich würde nach Pisse stinken? Meine Brille an sich reißen, sie aufsetzen und mich nachäffen, indem sie mit piepsiger Stimme sprachen, wie eine Balletttänzerin herumtrippelten und die Augen verdrehten, bis sie schielten? Budde war der Schlimmste von allen. Ja, so wurde er genannt. Budde. Was für ein idiotischer Scheißname. Ich hasste ihn.

      Sie ärgerten mich nicht immer, eher nach Lust und Laune. Manchmal spielten wir in den Pausen sogar zusammen. Aber schon am nächsten Tag konnte es kippen, dann waren sie wieder superfies. Man wusste nie, woran man war. Am schlimmsten war es, als ich ein Video auf YouTube hochgeladen hatte. Damals ging ich noch zum Eiskunstlauf und hatte ein eigenes Programm erstellt, auf das ich stolz war. Ich kreuzte übers Eis, machte einen »Bielmann«, wo man den einen Fuß so hoch wie möglich nach hinten streckt und den Schlittschuh dann mit den Händen umfasst, die Arme schräg hinter den Kopf hochgestreckt. Und es gelang mir sogar, eine echt schwierige Pirouette fast perfekt auszuführen. Ich liebte das Eislaufen. Ich liebte das Eis, die Kleidung, die Musik und das Adrenalin, das einem durch die Adern schoss. Und die Geschwindigkeit. Es war ein Gefühl, als würde ich fliegen.

      Ich weiß immer noch nicht, wie Budde meinen YouTube-Kanal entdecken konnte, der hieß nämlich nur Blades of glory, mein Name kam gar nicht darin vor. Aber manchmal habe ich mich gefragt, ob es nicht Valter war, der mich verriet, denn er war der Einzige, abgesehen von meiner Familie und den anderen im Eislaufverein, der davon wusste. Egal wie,