Chefarzt Dr. Norden Staffel 6 – Arztroman. Helen Perkins

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Название Chefarzt Dr. Norden Staffel 6 – Arztroman
Автор произведения Helen Perkins
Жанр Языкознание
Серия Chefarzt Dr. Norden Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740976828



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Daniel in die OP-Kleidung wechselte, wählte er nochmals Bergers Nummer und lauschte ungeduldig dem Klingelton. Nichts. Dr. Erik Berger nahm nicht ab. Was war nur los mit ihm?

      *

      Es war ein vertrautes Geräusch, das Erik aus seiner Bewusstlosigkeit riss. Doch bevor er herausfinden konnte, was es war, verstummte es wieder. Eriks Kopf schmerzte so sehr, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb. Ein heftiger Husten steigerte seine Kopfschmerzen ins Unerträgliche. Immer noch hustend schlug er die Augen auf und versuchte herauszufinden, wo er war. Er war geschockt über die absolute Dunkelheit, die ihn umgab. Staub lag in der Luft, er konnte ihn auf seinen Lippen und in seinem Mund schmecken. Er musste hier unbedingt weg! Als er sich aufrichten wollte, gelang es ihm nicht. Irgendetwas lag auf seiner linken Seite.

      Sein rechter Arm war frei. Er schmerzte, aber Erik konnte ihn bewegen. Vorsichtig tastend erkundete er die Umgebung. Überall lag Geröll, neben ihm, unter ihm und auf ihm drauf. Fast die gesamte linke Körperhälfte war mit Steinen bedeckt. Ein paar kleine bekam er weggerollt, bei den größeren gab er schnell auf. Sie waren zu schwer und schienen sich nur noch fester in seinen Körper zu graben, wenn er versuchte, sie zu bewegen. Und noch immer wusste er nicht, wo er sich befand oder wie er hergekommen war.

      Ein heller Signalton kündigte eine eingegangene Nachricht auf seinem Handy an. Sein Handy – irgendwo musste es sein. Erik griff in seine Hosentasche und fand es. Erleichtert hielt er es fest in seiner Hand. Nun würde alles gut werden. Nun konnte er Hilfe rufen. Und mit einem Schlag kehrten die Erinnerungen an den Nachtclub und das Feuer zurück. Es dauerte nicht lange, bis er verstand, dass er unter den Trümmern des Clubs lag.

      »Hilfe!«, brüllte er lautstark und hustete sofort kräftig, als kleinste Staubpartikel in seine Kehle gerieten. Dabei meldeten sich nicht nur die heftigen Kopfschmerzen zurück. Es schoss auch ein jäher, stechender Schmerz in seinen Brustkorb. Panisch japste er nach Luft, doch mit jedem Atemzug wurde der Schmerz stärker. Er fühlte, wie an seinem gesamten Körper kalter Schweiß ausbrach. Er fror entsetzlich, zitterte so stark, dass die Zähne aufeinanderschlugen und konnte dennoch die Augen nicht mehr offenhalten. Bis zum Schluss versuchte er, gegen die Ohnmacht anzukämpfen. Und bis zum Schluss fragte er sich panisch: Was war nur los mit ihm? Warum fiel ihm das Atmen so schwer? Warum hatte er das Gefühl, dass die Luft immer knapper wurde? Und warum fand ihn hier niemand?

      Nach seiner letzten OP wusste Daniel, dass ihn das Adrenalin in seinem Blut noch für Stunden wachhalten würde. An eine kurze Schlafpause war also nicht zu denken. Den müden kritischen Punkt hatte er längst überschritten. Also beschloss er, einfach weiterzumachen, bis sein Körper irgendwann kapitulieren würde. Es war gegen acht in der Früh. Er hatte die gesamte Nacht operiert und sich nur eine kleine Kaffeepause gegönnt. Die ersten Verschütteten waren geborgen und in die Behnisch-Klinik gebracht worden.

      Wie befürchtet, war es bei ihnen nicht bei harmlosen Blessuren geblieben. Knochenbrüche, Gehirnerschütterungen, blutende Wunden hatten alle in Atem gehalten.

      Noch immer waren nicht alle Opfer des Unglücks aus den Trümmern befreit worden. Nur deshalb war es im OP nun ruhiger geworden. Die Rettungsarbeiten waren fast vollständig zum Erliegen gekommen, weil das THW erst schwere Technik anfordern musste, um an die letzten Opfer zu gelangen. Je mehr Zeit dabei verging, umso kritischer wurde es für die Menschen im Club. Ihre Überlebenschancen schwanden mit jeder Minute, die verstrich.

      Daniel entledigte sich seines OP-Kittels, wechselte ein paar Worte mit dem Anästhesisten, der ihm während der letzten Stunden zur Seite gestanden hatte, und sah nach seinen Patienten im Aufwachraum. Auf dem Rückweg traf er Fee.

      »Ich dachte, du wärst schon längst wieder zu Hause und schläfst«, sagte er besorgt, als er die dunklen Schatten unter ihren wunderschönen, blauen Augen entdeckte.

      »Nein, das konnte ich nicht. Genauso wenig wie du, mein Lieber.« Fee lächelte ihn erschöpft an. »Was hältst du von einer kleinen Pause? Wir könnten einen Kaffee trinken.«

      »Gern, Feelein.« Daniel strich ihr eine blonde Strähne aus dem Gesicht, bevor er sie küsste. Als sie sich im Pausenraum gegenübersaßen, wollte er von ihr wissen: »Hast du schon herausbekommen, wie es zu diesem Unglück kommen konnte?«

      Fee nickte bekümmert. »Ich musste den Barkeeper versorgen. Er steht unter Schock, weil er sich die Schuld an dem Feuer gibt. Er hatte die Fritteuse in der Küche vergessen.«

      »Ein dummer Fehler, der passieren kann.«

      »Ja, das habe ich ihm auch gesagt. Aber ob ihm das hilft, mit seinen Schuldgefühlen klarzukommen, ist mehr als fraglich. Auch wenn er die zugestellten Notausgänge nicht zu verantworten hat, wird er …«

      »Die Notausgänge waren nicht frei?«, entfuhr es Daniel verständnislos.

      »Ja, leider. Nur deswegen waren noch Menschen im Gebäude, als es zur Gasexplosion kam. Wahrscheinlich wäre niemand zu Schaden gekommen, wenn die Evakuierung nicht so lange gedauert hätte.«

      »In der Haut des Besitzers möchte ich nicht stecken. Das wird ernsthafte Konsequenzen für ihn haben.«

      Fee nickte und bemühte sich, ein herzhaftes Gähnen zu unterdrücken.

      »Leg dich ins Bereitschaftszimmer und schlaf ein wenig, Liebling«, sagte Daniel. »Wenn ich deine Hilfe brauche, wecke ich dich. Einverstanden?«

      »Ja, vielleicht, Dan. Noch geht es. Ich hoffe, dass wir Berger bald erreichen können. Es ist schon seltsam, dass er sich noch nicht gemeldet hat. Inzwischen hat er bestimmt von dem Unglück erfahren. Er muss sich doch denken können, dass wir hier Hilfe brauchen.«

      Daniel nickte nur stumm. Er hatte bereits sein Telefon in der Hand und rief seinen Notfallmediziner an. Vielleicht ging er ja diesmal ran. Aber wieder hörte er nur den einsamen Klingelton, ohne dass jemand abnahm.

      Er wollte es gerade aufgeben, als er eine schwache Stimme hörte, die kaum zu verstehen war: »Hilfe … ich …«

      »Berger? Sind Sie das?« Am anderen Ende war Stille. »Hallo! Hören Sie mich? … Herr Berger, melden Sie sich!«

      »Was ist los?«, flüsterte Fee ihm zu.

      Daniel zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Er hatte abgenommen, aber nun ist er wohl weg. Er klang gar nicht gut. Vielleicht probiere ich es nachher noch mal.«

      »Hat er aufgelegt?«

      »Nein, er antwortet nur nicht mehr.«

      Fee nahm ihm schnell das Telefon aus der Hand und legte es auf den Tisch, nachdem sie den Lautsprecher eingeschaltet hatte. »Herr Berger? Sind Sie das? Können Sie mich verstehen?«, versuchte sie ihr Glück.

      »Ja … Hilfe …«

      »Wo stecken Sie?«, rief Daniel jetzt in echter Sorge.

      »Club … Feuer … es hat gebrannt … ich komm nicht raus …«

      Es brauchte nicht lange, bis die beiden Ärzte in dem kleinen Pausenraum die Zusammenhänge verstanden. Im maßlosen Entsetzen sahen sie sich an. Das war also der Grund, warum niemand Erik Berger erreichen konnte. Bei der Versorgung der Verletzten konnte er nicht mithelfen, weil er selbst zu ihnen gehörte …

      »Berger, hören Sie, versuchen Sie, ruhig zu bleiben!«, sprach Daniel eindringlich auf ihn ein. »Die Rettungskräfte holen alle raus. Können Sie sagen, wo genau Sie sich befinden? Im Eingangsbereich?«

      Es dauerte endlos lange, bis Erik antwortete: »Nein … ich glaube, gegenüber der Küche. Da waren Tischnischen …«

      »Okay, wir geben das an die Feuerwehr weiter.« Er nickte Fee zu, die ihn gleich verstand, aufsprang und mit ihrem Handy den Notruf der Feuerwehr wählte.

      »Wie geht es Ihnen?«, fragte Daniel derweil. Er wollte unbedingt, dass Erik Berger weiter mit ihm sprach. »Sind Sie verletzt? Haben Sie Schmerzen?«

      »Ja … ja … ich bin eingeklemmt … alles ist über mir zusammengebrochen … es ist dunkel … auf meinem linken Arm liegen Trümmer, den … den Unterschenkel kann