Endlich im Pferdeglück. Lise Gast

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Название Endlich im Pferdeglück
Автор произведения Lise Gast
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711509319



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aber vorher muss trainiert werden. Ein paar Wochen schon. Sie sollte das erste Mal mitreiten.“ Cornelia wartete am Bordstein, bis die Straße frei war. „Ich muss fort, tschüss, wie gut, dass ich dich getroffen hab!“

      Sie lief rüber. Anja sah ihr nach.

      Wie Cornelia müsste man einmal werden, so munter, so lebendig, so ansteckend fröhlich. Anja guckte ihr nach, winkte, als der rote VW losbrummte, und drehte dann eilig und eifrig um. Hoffentlich war niemand in der neuen Telefonzelle, sodass sie gleich hineinkonnte. Die kleinen Jungen lagen ja gottlob noch in ihrem Wagen, rausfallen würden sie bestimmt nicht. Anja langte am Telefonhäuschen an – es war leer – und schlüpfte hinein, nachdem sie die Bremse des Kinderwagens angezogen hatte. Durch das Rubbelglas hindurch konnte sie den Kinderwagen sehen, während sie wählte. Die Nummer wusste sie auswendig.

      Sie bekam Petra sofort.

      „Hier Petra Hartwig, guten Tag.“

      „Hier ist Anja.“

      „Ach du, altes Monstrum! Wunderbar! Ich langweile mich zu Tode. Warst du im Reitverein? Was macht Wanda? Hat sie schon wieder jemanden ins Krankenhaus gebracht? Keinen? Wie schade. Und wie geht’s Othello? Cornelia hast du getroffen? Na, weißt du, du hast’s gut! Du kannst rumsausen, und ich muss hier auf dem Schmerzenslager ausharren.“ Sie lachte, man hörte es deutlich. Anja musste auch lachen.

      „Rumsausen. Hast du eine Ahnung. Meine kleinen Brüder muss ich ausfahren!“

      „Das hab ich nicht gemusst. Meiner ist ja nur drei Jahre jünger als ich. Ein Ekel, immerzu kommt er mich ärgern. Sei froh, dass deine noch so klein sind.“

      Wie eine Mühle ging ihr Mundwerk, wie eine Plappermühle. Anja wurde richtig vergnügt, ohne es zu merken.

      „Natürlich bin ich bald wieder auf. Die zehn Tage, außerdem brauch ich keine Schularbeiten zu machen, und wenn ich jetzt kleben bleib, schieb ich es darauf. Wunderbar, nicht? Ich wäre wahrscheinlich sowieso anhänglich gewesen. Dauernd schreiben sie jetzt Arbeiten …

      Wann besuchst du mich? Morgen? Du weißt nicht, ob du wegkommst? Na hör mal, eine schwerkranke Freundin besuchen, die im Bett liegt, das muss man doch dürfen. Also du kommst, ich sag meiner Mutter Bescheid. Sie soll Obstsalat machen, magst du doch, oder? Na, ich auch.

      Weißt du, du solltest in den Reitverein. Nein, nicht nur so, dass du kommst und hilfst, sondern richtig. Als Mitglied. Dann musst du einfach von zu Hause wegkönnen, verstehst du.“

      Anja war ganz atemlos, als sie endlich angehängt hatte, weil draußen schon Leute klopften. Zwei Frauen standen vor dem Häuschen und sahen sie vorwurfsvoll an. So lange zu quatschen, unerhört!

      Sie konnte doch nicht sagen, dass sie mit einer Kranken telefoniert hatte. Schnell fasste sie den Griff des Kinderwagens, wollte losschieben, hatte vergessen, die Bremse aufzumachen, und mühte sich vergeblich. Als sie dann endlich fort war, merkte sie, dass Volker seine Klapper nicht mehr in der Hand hielt. Sie fuhr zurück und hielt wieder an der Telefonzelle.

      „Nein, nochmal gehst du nicht rein, jetzt komm ich erst dran“, sagte die Frau giftig, die vorhin die andere hatte vorlassen müssen.

      „Ich will ja gar nicht“, sagte Anja und hob die Klapper auf. „Nein, die darfst du jetzt nicht haben, du steckst sie in den Mund, und sie hat gerade hier auf der Straße gelegen.“ Sie wendete den Wagen und schob ihn im Eiltempo Richtung Heimat. Sie musste die Klapper abwaschen.

      „Ja, Anja, bist du schon wieder da? Aber es ist doch noch gar nicht fünf, nicht mal vier! Nein, das gibt es nicht, mir die Jungen schon wiederzubringen.“ Mutter sah sehr ärgerlich aus, als sie die Tür geöffnet hatte. „Nun sei ein einziges Mal vernünftig, und bleib noch draußen.“

      „Ich will ja nur …“

      „Nein, Schluss, keine Debatte.“ Mutter schlug die Tür nachdrücklich zu. „Ein einziges Mal …“ Anja stand einen Augenblick still, dann schmiss sie die Klapper wütend auf die Erde, ließ sie liegen und ging wieder los. Gut, dann musste Volker eben ohne Klapper glücklich sein, und wenn er aus vollem Halse schrie. Mutter wollte es ja nicht anders …

      „Na, was hat denn unser Goldtöchterchen? Läuschen über Leberchen gelaufen?“, fragte Vater am Abendbrottisch.

      Anja hatte noch keinen Bissen gegessen, bei allem, was Mutter ihr zuschob, schüttelte sie stumm den Kopf.

      „Keinen Hunger? Na, dann lass. Die meisten Menschen essen zu viel, zum Beispiel ich“, sagte Vater friedlich und nahm sich ein Brot, „aber du willst doch groß und stark werden. Ist dir nicht gut?“

      „Ich hab noch Schularbeiten“, sagte Anja bockig. „Darf ich aufstehen? Ich hab den ganzen Nachmittag die Kleinen fahren müssen, da bin ich zu nichts gekommen.“

      „Aber Anja, du hast mir doch gesagt, du hättest alles in der Schule gemacht?“, sagte Mutter und sah sie verblüfft an. „Bestimmt hast du das gesagt. Ihr hättet eine Freistunde gehabt.“

      Mutter erinnerte sich genau. Sie hatte den Ausdruck „Freistunde“ das erste Mal gehört.

      „Ja, schon. Aber nicht alles. Die Jungen aus meiner Klasse machen immer solchen Klamauk, weil kein Lehrer zur Aufsicht da ist. Da kann man nicht richtig lernen.“

      Schweigen. Vater sah unauffällig von einer seiner zwei Frauen, der großen und der kleinen, zur andern.

      „Na, dann lauf. Wenn du nichts essen willst – komm, nimm dir wenigstens noch einen Apfel mit“, sagte er freundlich. Anja schnupfte und schüttelte den Kopf.

      Später kam Vater in ihr Zimmer. Sie saß am Tisch, hatte die Bücher vor sich ausgebreitet, Arme und Kopf darauf gelegt und heulte. Er setzte sich sachte neben sie.

      „Anja. Was gibt’s denn? Wo steckt der Kummer?“

      „Ich – ich will in den Reitverein“, stieß Anja hervor. Es klang ausgesprochen ungezogen, sie merkte es selbst. Aber manchmal kann man nicht anders … Sie war so wütend, sie kam sich schlecht und ungerecht behandelt vor und tat sich schrecklich Leid. „Alle dürfen, und Petra sagt es auch, und –“ Sie glaubte jetzt selbst, was sie sagte. Vater antwortete nicht, er sah nachdenklich vor sich hin.

      „In den Reitverein? Richtig als Mitglied? Wird man denn da mit zehn Jahren schon genommen?“

      „Klar. Mit neun schon. Petras kleiner Bruder ist neun.“

      „Und der ist schon Mitglied? Und was kostet es? Weißt du das?“

      „Nein, aber für Kinder – für Kinder ist es sicherlich billiger –“ Anja hatte sich darüber auch schon Gedanken gemacht. „Petra hat erzählt, dass er – er hat bloß entsetzliche Angst zu reiten, so was! Und heult, wenn man ihn draufsetzt. Und ich darf nicht – und immer muss ich die Jungen ausfahren – und – und wenn man nicht zeitig anfängt, lernt man es nie, sagt Cornelia –“

      „Wer ist denn Cornelia?“

      „Eine Ärztin. Die reitet auch. Und sie hat gesagt –“

      „Was hat sie denn gesagt?“

      „Dass sie viel zu spät angefangen hat. Mit über zwanzig erst, ganz alt. Und jetzt hat sie zu wenig Zeit, und Mutter erlaubt mir ja nicht mal, dass ich zum Zugucken hingeh –“ Sie weinte jetzt richtig. Vater schüttelte den Kopf.

      Abends sprach er mit Mutter. Mutter war empört, als sie hörte, was Anja gesagt hatte.

      „Es war das erste Mal seit Wochen, dass ich sie gebeten hab, mir die Jungen für eine Weile abzunehmen. Nein, wenn sie so anfängt, kommt sie nicht in den Reitverein. Sie steckt sowieso dauernd dort.“ Sie sagte noch mehr. Vater hörte schweigend zu.

      Ach ja, es ist nicht so einfach, für beide nicht, dachte er. Für Mutter nicht, auf einmal drei Kinder und einen Mann zu haben, und für Anja nicht, nicht mehr die Einzige zu sein. Vielleicht wäre es doch gut, sie ginge in den Reitverein, dort hat sie, scheint’s, Leute gefunden, an die sie sich anschließt.

      Aber