Gesammelte Kindergeschichten & Romane von Agnes Sapper. Agnes Sapper

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Название Gesammelte Kindergeschichten & Romane von Agnes Sapper
Автор произведения Agnes Sapper
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788027208784



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      »Was fehlt noch an den Puppen, wenn Sie sie abliefern?«

      »Dann haben sie noch keine Augen und –«

      »Wer macht die Augen?«

      »Die werden in Lauscha gemacht, da kommen ganze Schachteln voll her in allen Größen, die muß der Augeneinsetzer hineinmachen.«

      »Ist das das Letzte?«

      »Nein, die Maler müssen doch erst die Backen malen und die Lippen, und die Friseurin muß die Haare aufsetzen, dann wird erst der Kopf auf den Balg geleimt.«

      »Das kann Ihr Mann nicht?«

      »O, mein Mann kann das alles und als jung ist er in die Industrieschule geschickt worden, hat schon Köpfe und all die Formen machen lernen, aber dann ist sein Vater gestorben; gleich hat er dann das Lernen aufgeben müssen und hat seines Vaters Sach übernommen und ist halt auch wieder Drücker geworden. Mein Mann war von den besten einer auf der Schul’, aber er hat halt heim müssen, die Not ist gar groß bei uns.«

      »Wieviel verdienen Sie in der Woche?«

      »Ja Herr, das wechselt sehr, bald ist’s mehr, bald weniger. Es gibt Wochen im Winter, da bekommt man gar keine Bestellung.«

      »Aber in der besten Zeit des Jahrs, auf wieviel bringen Sie es in der Woche, Sie mit Mann und Kindern?«

      »Die vorige Woche hab’ ich fünfundzwanzig Mark heimgebracht, es ist auch schon auf dreißig gestiegen, aber da muß man schon die Nacht durcharbeiten. Und davon müssen wir alles selbst anschaffen, was wir zu den Puppen brauchen, gar nichts bekommen wir geliefert, das meiste geht dafür wieder hinaus und man bringt’s fast nicht dazu, daß man sich für den Winter etwas zurücklegt. Mein Mann sorgt sich jetzt schon wieder darum; ich nicht, im Sommer mag ich gar nicht an den Winter denken, sonst wird man ’s ganze Jahr nicht froh.«

      »Ist Ihr Mann gesund?«

      »Er hustet halt, das kommt von dem Staub vom Papiermasché und von den Sägspänen, aber krank ist er nicht, gottlob.«

      Jetzt mischte sich Georg ins Gespräch. »Die kräftige Nahrung fehlt halt da außen auf dem Land, in der Stadt essen sie besser.«

      »Ja, Fleisch gibt’s nicht viel bei uns, der Kaffee und die Kartoffeln sind die Hauptsache, bei uns heißt’s: Kartoffeln in der Früh, zu Mittag in der Brüh, des Abends mitsamt dem Kleid, Kartoffeln in Ewigkeit!«

      Der Amerikaner fragte nun nicht weiter, der Weg wurde steiler und eine Viertelstunde gingen die drei still nebeneinander, bis sie die Höhe erreicht hatten, wo sie wieder auf die Landstraße einmündeten und von der Ferne einzelne schiefergraue Dächer sichtbar wurden.

      »Das ist unser Dorf,« sagte Frau Greiner; »geht der Herr noch weiter heut’?«

      »Ja, aber Mittwoch komme ich wieder hier durch und dann will ich Ihren Mann aufsuchen.« Er blieb stehen bei diesen Worten und sagte, indem er Frau Greiner ernst und forschend ansah: »Sagen Sie ihm einstweilen, daß ein Amerikaner zu ihm kommt und mit ihm sprechen will. Es ist vielleicht gut, wenn ich Ihnen vorher schon sage warum. Ich möchte so eine Familie, die den ganzen Puppenbetrieb versteht, mit hinübernehmen nach Amerika. Ich habe dort Ländereien, Wald; die Eisenbahn geht vorbei, es ist gar nicht viel anders wie hier. Ich sehe nicht ein, warum wir die Puppen alle so weit her holen sollen, das könnten wir drüben auch machen, wenn wir nur die Leute dazu hätten. Dreimal so viel Lohn als Sie hier in der besten Woche haben, kann ich Ihnen für drüben das ganze Jahr hindurch versprechen. Alles schriftlich, natürlich. Ich bin schon mit dieser Absicht herübergekommen und nehme jedenfalls Leute von hier mit. Wenn Sie klug sind, reden Sie Ihrem Manne zu.«

      Frau Greiner sah den Amerikaner staunend und sprachlos an. Der junge Bursche lachte und sagte: »Ihr könnt ja gar nimmer reden, es versetzt Euch den Atem, gelt? Dreimal soviel und das ganze Jahr hindurch, das wäre nicht schlecht!«

      »Und selbstverständlich freie Reise,« fügte der Amerikaner hinzu.

      »Für alle? Wir haben drei Kinder, nein, jetzt vier, das vierte ist ein Waisenkind, das haben wir erst aufgenommen.«

      »Das bleibt hier. Dazu gibt’s Waisenhäuser. Aber Ihre eigenen drei gehen mit. Die Kinderarbeit will ich bei uns auch einführen, dazu brauchen wir deutsche Kinder, die es vormachen als Beispiel, damit es unsere davon absehen. Verstehen Sie? Gut, also reden Sie mit Ihrem Mann und lassen Sie den Vorteil nicht hinaus, denn wenn Sie nicht gehen, so finde ich genug andere, die gerne gehen. Wie heißen Sie?«

      Er zog sein Merkbuch, schrieb den Namen auf, reichte der Frau einen Taler, daß sie beim Mann ein gutes Wort für ihn einlege, und schlug die kleine Straße ein, die hier von der Oberhainer Straße abzweigte.

      Frau Greiner stand still und sah ihm nach. »Hab’ ich nun das alles geträumt oder ist’s wahr?« sagte sie zu Georg. Es mußte wohl wahr sein, denn Georg behauptete, sie habe ein unerhörtes Glück und sie hätte nur gleich »ja« sagen sollen, damit ihr nicht andere Leute zuvorkämen. Warum sie denn auch gar kein Wort geantwortet habe?

      »Es ist wahr,« sagte Frau Greiner, »ich war halt ganz wie aus den Wolken gefallen, denk nur, alle miteinander übers Meer, die weite Reise! Aber schön müßt’s sein, was könnt’ man da alles sehen, und ganz freie Überfahrt und drüben den dreifachen Lohn! Ach, der Herr wird jetzt doch nicht beleidigt sein, daß ich so dumm dreingeschaut hab’, er wird doch auch gewiß kommen? Was meinst, Georg?«

      Immer rascher ging Frau Greiner dem Dorf zu, sie konnte es nicht mehr erwarten, mit ihrem Mann zu reden. Im Ort, gerade beim Wirtshaus, trennte sich ihr junger Begleiter von ihr. »Sag’s noch niemand, Georg, weißt, es gibt so viel Neider, schweig still davon, gelt?« empfahl sie ihm noch an; aber er lachte nur und ehe noch Frau Greiner, die ganz oben im Dorf wohnte, ihr Haus erreichte, hatte Georg die merkwürdige Begegnung schon all seinen Hausgenossen erzählt.

      Es war schon fast eine wehmütige Abschiedsstimmung, mit der die junge Frau durchs Dorf ging. Sie sah nach rechts und nach links und grüßte mit besonderer Herzlichkeit die Dorfbewohner. Alle waren ihr bekannt, und in dem Augenblick waren sie ihr auch alle lieb, weil sie dachte, sie würde sich bald von ihnen trennen. Der Verdruß über die schlechte Einnahme war ganz überwunden durch die Hoffnung auf zukünftige Reichtümer, und dann hatte sie ja auch noch den Taler in der Hand als Unterpfand, als Beweis, wenn ihr Mann etwa die wunderbare Mär nicht glauben wollte.

      Aus dem Hause drang ihr Kindergeschrei entgegen und als sie die Stubentüre aufmachte, wurde sie von allen Seiten mit der Nachricht begrüßt, Alex habe fast den ganzen Tag geschrien. Da lag das arme Büblein in seinem schönen Wagen, zog die Beinchen in die Höhe und kreischte wie ein Kind, das Schmerzen hat. Es war gar keine Möglichkeit, die große Neuigkeit mitzuteilen, die sie eben noch ganz erfüllt hatte, sie verstand ihre eigenen Worte nicht. Deshalb nur schnell die guten Kleider abgelegt, die große Schürze umgebunden und den Kleinen auf den Arm genommen. Lange wollte er sich nicht beruhigen. »Ein paar Stücklein Hering hat er heut’ mittag gegessen und seitdem schreit er,« berichtete Marie. Mütterlich sprach die Frau dem Kleinen zu, ob er gleich nichts davon verstand: »Gelt, armer Kerl, gelt dir tut’s weh; gelt, ja, das sind böse Leut, die geben dir deinen Soxhlet nicht, sei nur still, mein Schatz, ich kauf’ dir Milch, still, still! Marie, spring in Gottes Namen und hol’ noch einmal Milch; geh zu Bauers hinüber, von der schönen weißen Geiß sollen sie dir was melken; zahlst gleich einen Groschen dafür. Nimm so ein Fläschchen mit von seinem Soxhlet, daß ihm’s gut bekommt; still, mein Bübchen, die Marie bringt dir Milch; sollst es gut haben, so lang du noch bei uns bist. Mußt ja doch bald ins Waisenhaus. Still, mein Waislein, still!«

      Es war spät abends, alle Kinder schliefen; Mann und Frau saßen beisammen und sprachen von dem großen Plan, den Frau Greiner mitgeteilt und warm befürwortet hatte. Wenn Greiner schon im alltäglichen Leben alles schwer nahm, wieviel mehr Bedenken machte er sich jetzt, wo die Frage an ihn herantrat, ob er mit Frau und Kind auswandern wolle in einen andern Weltteil! Es war kein Fertigwerden mit ihm; wenn seine Frau gegen alle seine Bedenken etwas vorgebracht hatte, so fing er beim ersten wieder an. Als sein Bundesgenosse meldete sich von Zeit zu Zeit der kleine Alex mit leisem