Letzter Weckruf für Europa. Helmut Brandstätter

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Название Letzter Weckruf für Europa
Автор произведения Helmut Brandstätter
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783218012201



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      Helmut Brandstätter

      LETZTER WECKRUF

      FÜR EUROPA

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       www.kremayr-scheriau.at

      eISBN 978-3-218-01220-1

      Copyright © 2020 Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG, Wien

      Alle Rechte vorbehalten

      Schutzumschlaggestaltung: Sophie Gudenus, unter Verwendung eines Fotos

      von Robert Jaeger / APA / picturedesk

      Typografische Gestaltung und Satz: Danica Schlosser

      Lektorat: Stefanie Jaksch

      Für die Generation meiner drei Kinder und ihre Nachkommen. Mögen auch sie in einem friedlichen Europa leben, das auf Freiheit, Demokratie, Solidarität und Rechtsstaatlichkeit aufgebaut ist.

      INHALTSVERZEICHNIS

       VORWORT

       KAPITEL 1: IDENTITÄT

       KAPITEL 2: ILLUSION

       KAPITEL 3: GESCHICHTE

       KAPITEL 4: ENTSCHLOSSEN

       KAPITEL 5: SOLIDARITÄT

       KAPITEL 6: GELD

       KAPITEL 7: LERNEN

       KAPITEL 8: LEBENSART

       KAPITEL 9: BALKAN

       KAPITEL 10: KANDIDATEN

       KAPITEL 11: ZERFALL

       KAPITEL 12: KRIEG

       KAPITEL 13: REFORM

       KAPITEL 14: KLIMAWANDEL

       KAPITEL 15: WECKRUF

      VORWORT

      Sommer 2020. Ein Virus bestimmt das Leben überall auf der Erde, es bedroht unsere Art des freien und grenzenlosen Lebens und es beschleunigt die globale Machtverschiebung in Richtung China. In Europa wird darüber gestritten, ob und wie wir gemeinsam aus der größten Wirtschaftskrise seit den verhängnisvollen 1930er Jahren kommen.

      Sommer 1990. Überall im ehemaligen Sowjetblock entstehen Demokratien, für die in vielen Ländern schon jahrelang gekämpft wurde. Die Deutschen handeln mit den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs die Details ihrer Wiedervereinigung aus. Am 3. Oktober tritt die Deutsche Demokratische Republik der Bundesrepublik Deutschland bei. Der Ost-West-Konflikt scheint für immer beendet. Manche träumen vom ewigen Frieden und immerwährender Demokratie.

      Diese 30 Jahre zwischen 1990 und 2020 haben Europa grundlegend verändert, aber nicht unbedingt so, wie wir uns das nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 erhofft hatten. Der Beitritt von acht ehemals kommunistischen Staaten zur Europäischen Union im Jahr 2004 und drei weiteren 2007 und 2013 verlief plangemäß, auch die Wirtschaftskrise nach dem Lehman-Crash im Jahr 2008 überstanden EU und Euro mit Mühe, aber letztlich sehr ordentlich. Aber in einigen ehemals kommunistischen Ländern funktionierte die Metamorphose der Funktionäre zu Dienern des Rechtsstaats nur vorübergehend. Der Versuchung, mit zusehends autoritären Methoden zu regieren, erlagen vor allem die polnische Führungsschicht und Viktor Orbán in Ungarn.

      Bei einem Besuch in Budapest Ende Februar 2020 erklärte mir der Politologe Ágoston Sámuel Mráz, Direktor des Orbánnahen Think Tanks „Perspective Institute“, warum der ehemals liberale Viktor Orbán den starken Staat will: „Ungarn muss nationale Kapitalisten erziehen, öffentliche Verträge sollen in erster Linie Ungarn bekommen. Im Westen gab es auch lange Vorteile für nationale Kapitalisten, die heimische Wirtschaft zu entwickeln.“ Und Mráz weiter: „Die Ungarn wollen eine schützende Hand des Staates.“ Ich traf damals aber auch die liberale EU-Abgeordnete Katalin Cseh, die mir von Orbáns Kampagne gegen unabhängige Journalisten erzählte und forderte, dass EU-Gelder verstärkt in die Gemeinden gehen müssten, wo sie kontrolliert werden können, anstatt zu Orbáns Freunden.

      Der Besuch in Budapest sollte der Beginn von Gesprächen werden, um den Wandel der jungen Demokratien zurück zu autoritären Gesellschaften zu verstehen. Und ich wollte den Balkan bereisen, um zu sehen, wie diese Länder auf die Aufnahme in die EU vorbereitet sind. Dass alle Staaten des Westbalkan zu Europa und in die EU gehören, davon war und bin ich überzeugt, aus historischen und sicherheitspolitischen Gründen.

      Anfang März dieses Jahres war ich in Tirana, wo ich noch einige begeisterte Europäerinnen und Europäer treffen konnte, dann wurden die Grenzen geschlossen. Die weitere Recherche fand mittels vieler Gespräche per Video-Call statt.

      Die Pandemie änderte den Schwerpunkt des Buches. Es geht nicht mehr nur um die Geschichte der letzten 30 Jahre, um den auch in Westeuropa verbreiteten Rechtspopulismus und die Gefahr des Rückfalls in autoritäre, korrupte Strukturen. Nach dem Ausbruch von Covid-19 habe ich mich stark auf die Zukunft der EU konzentriert: Schaffen wir es, gemeinsam aus der Krise zu kommen? Verstärkt die Bekämpfung des Virus womöglich die Lust der Regierenden, den Rechtsstaat zu umgehen, auch im Westen? Wie soll der Aufnahmeprozess der Balkanstaaten weitergehen? Welche Gefahren drohen von außen, gibt es gar die Gefahr eines neuerlichen Krieges in Europa? Wie wird sich das im Juli in Brüssel beschlossene 1,8-Billionen-Euro-Paket der Europäischen Union auf den Zusammenhalt eines zusehends integrierten Staatenverbundes auswirken, der erstmals gemeinsame Schulden aufnimmt? Wird die EU Bestand haben, gar zu Vereinigten Staaten von Europa führen? Und wie wirkt die vielfältige Geschichte Europas nach, die die Menschen oft genug geteilt, durch den Nationalismus gegeneinander aufgehetzt und in Kriege geführt hat?

      Auch hier spielt Ungarn eine besondere Rolle. In keinem anderen Land ist man so schnell beim Ersten Weltkrieg und dessen Folgen. Der starke Orbán spielt gerne das Opfer der Folgen von Trianon. Durch diesen Friedensvertrag hat Ungarn große Teile seines Gebietes verloren. Die Kleinen in Mitteleuropa müssten zusammenhalten, nicht nur die Visegrád-Gruppe mit Polen, Tschechien und der Slowakei, auch Österreich und einige Balkanstaaten sieht der Ungar als Teil einer Art „Mitteleuropäische Union“ autoritär regierter Länder gegen Frankreich und Deutschland. Feindbilder spielen in Europa plötzlich wieder eine große Rolle, nicht nur innerhalb der Nationalstaaten.

      Beim viertägigen EU-Gipfeltreffen vom 17. bis 21. Juli 2020 war Orbán dann auch noch stolz darauf, dass die Einhaltung der Prinzipien des Rechtsstaats keine Auswirkungen auf Hilfszahlungen haben dürfe. Das war entlarvend, aber hier wird der Druck auf Orbán hoffentlich noch erhöht. Denn welches Signal sendet das an Balkanstaaten, die aus wirtschaftlichen Gründen der EU beitreten wollen, wo aber zum Teil Politiker regieren, die ihre alten, zum