Название | Die Worte des Windes |
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Автор произведения | Mechthild Glaser |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783732014545 |
Nacheinander verpasste ich jeder von ihnen eine Ohrfeige. »MACHT SCHON!«, brüllte ich sie an. »Wir haben keine Zeit für Erklärungen. RENNT!«
Da endlich setzten sie sich in Bewegung. Über ihre eigenen Füße stolpernd stürzten sie zum anderen Ende des Tunnels und die Treppe hinauf.
Ich hingegen begann nun doch, in meinem Rucksack nach der Bastelschere zu tasten. Mit grimmiger Miene wandte ich mich dem Drachen zu.
Er füllte inzwischen den gesamten Eingang der Unterführung aus. Da sein Kopf zu groß war, um ganz hindurchzupassen, hatte er das gewaltige Maul wieder ein Stück zurückgezogen. Stattdessen peitschte ein stachelbewehrter Schwanz vom Umfang eines Baumstamms durch den Nebel. Dahinter erkannte ich einen Teil seines gallertigen Rumpfes – solche Körper besaßen sonst nur die Geschöpfe der tiefsten Tiefsee. Lichtblitze glommen in seinem Inneren auf, der faulige Gestank hing nun beinahe greifbar in der Luft und schien jeglichen Sauerstoff zu verdrängen.
Ich hustete und wich zurück, als der Schwanz nach mir zu tasten begann. Schuppen und Stacheln kratzten mit einem schabenden Geräusch über den Asphalt und krochen dabei unaufhaltsam auf mich zu. Der Drache konnte mich nicht sehen, noch immer gelang es ihm nicht, sich in die Unterführung zu quetschen. Nur würde ihn dieses Hindernis vermutlich nicht allzu lange aufhalten.
Instinktiv wollte ich so viel Abstand wie möglich zwischen mich und das Biest bringen, doch da erreichte mich die mit einem langen Stachel besetzte Schwanzspitze. Genauer gesagt schnellte sie mit rasender Geschwindigkeit auf mich zu wie eine Peitsche und zerriss den Stoff meiner Jeans. Ich unterdrückte einen Schrei, als sie die Haut darunter traf.
Etwas Warmes sickerte an meinem Bein hinab. Vermutlich Blut.
Allerdings verwendete ich keine Energie darauf, es zu überprüfen. Wie schlimm die Wunde auch sein mochte, das war jetzt vollkommen unwichtig.
Meinen ersten Donnerdrachen hatte ich im Alter von zehn Jahren erlegt, als jüngste Hexe, der dieses Kunststück je gelungen war. Der Sturm hatte meine Schwestern und mich bei einem Ausflug an die Wasseroberfläche überrascht. Damals hatte ich meine Blitzklinge, ohne zu zögern, direkt in das leuchtende Herz der Bestie gestoßen. Mit mehr Glück als Verstand.
Wie naiv ich gewesen war! Ich hatte nämlich tatsächlich geglaubt, was alle behauptet hatten: dass ich unbesiegbar sei. Unfehlbar. Das sagenumwobene Kind der Prophezeiungen. Allein bei der Erinnerung daran legte sich ein bitterer Geschmack auf meine Zunge.
Inzwischen wussten wir alle es besser.
Und heute, jeglicher Klinge beraubt, brauchte ich ohnehin einen anderen Plan. Irgendetwas, das den Drachen zumindest so lange aufhielt, bis Vivien und Marie aus der Schusslinie waren (und das vorzugsweise nicht beinhaltete, dass ich mich fressen ließ).
Wieder zuckte der Schwanz in meine Richtung, doch dieses Mal verfehlte er mich um Haaresbreite, weil ich gerade noch rechtzeitig zur Seite sprang. Die Erleichterung währte leider nur kurz.
Schon näherte sich das Ding erneut.
Endlich fand ich die Schere. Ohne zu zögern, rammte ich sie mit aller Kraft in die schuppenbesetzte Haut. Doch statt zurückzuweichen, fühlte sich das Ungeheuer wohl bloß weiter angestachelt. Zumindest verriet mein lächerlicher Angriff aber, wo genau in der Unterführung ich mich befand. Wieder sauste der Drachenschwanz durch die Luft, traf mich an der Hüfte, drückte meine Oberschenkel gegen die Wand und zog mich näher und näher in Richtung des Körpers.
Die gewaltige Schnauze erschien, schnüffelte genüsslich und öffnete sich einen Spaltbreit. Der Drache spie eine weitere Ladung Muschelscherben aus, die nun auf mich zuschossen, scharf und spitz.
Ich riss die Arme hoch, um wenigstens mein Gesicht zu schützen.
Der Donnerdrache stieß einen Kampfschrei aus, der mir beinahe die Trommelfelle zerriss und außerdem ziemlich siegessicher klang. Siegessicher und hungrig.
Ich blinzelte, suchte verzweifelt nach einem Ausweg. War das also nun das Ende? Nach all den Jahren des Versteckens fiel ich nicht den Häschern, sondern einem verirrten Donnerdrachen zum Opfer? Unbewaffnet und an der Oberfläche? Die Prinzessin, die schon als Kind für ihre Klingenkunst berühmt gewesen war?
Das Maul öffnete sich weiter und machte sich bereit, mich zu verschlingen.
Nein, das durfte nicht geschehen! Ich konnte mich nicht einfach kampflos meinem Schicksal ergeben, ich musste … es wenigstens versuchen, oder?
Ja, es war riskant und gefährlich und dumm, aber mir blieb kein anderer Ausweg.
Ich wollte nicht sterben.
Muschelscherben ritzten meine Haut auf, während der Drachenschweif mich so fest umschlungen hielt, dass er meinen Brustkorb zu zerquetschen drohte.
Es war so weit, entweder jetzt oder …
Der Tod lauerte in den Schatten, umklammerte mich bereits. Hässlich und unerbittlich wie der Donnerdrache selbst.
Nein!
Ich nahm einen Atemzug, der mein letzter hätte sein können, und dann tat ich es. Tat, was ich mir eigentlich nie wieder hatte gestatten wollen.
Ich sang.
Nur einen einzelnen klaren Ton, der so fließend aus meiner Kehle emporstieg, als hätte ich ihn nicht seit vier Jahren, fünf Monaten und 16 Tagen zurückgehalten. Ein Ton, der sich ausbreitete wie ein frisch ausgeworfenes Fischernetz, der von den Tunnelwänden widerhallte und sich als knisternde Welle bis in die Stadt und den Himmel darüber auszudehnen schien. Ein Ton, der über das Meer bis zum Horizont tanzte.
Es war keine Melodie, kein Lied, keine Musik im eigentlichen Sinne. Es war ein Ruf.
Und der Ostwind antwortete.
Er gehorchte mir tatsächlich noch!
Es begann mit einem Rascheln, das sich unter das Grollen des Donnerdrachen mischte und langsam anschwoll. Es durchschnitt den Nebel und wirbelte seine Schwaden durcheinander, drängte das Drachenmaul zurück. Kurz darauf durchfuhr mein alter Freund als Bö mein zotteliges Haar, um mich zu begrüßen. Einen Herzschlag lang spielte er mit den langen Strähnen, als habe er mich vermisst, zerrte an meiner nassen Jacke, als wolle er mich umarmen. Dann stimmte er seinen eigenen Ton an.
Ich blinzelte eine Träne aus meinem Augenwinkel fort, als sich unser beider Gesang zu einem summenden Duett verband, das die Unterführung nun ganz und gar ausfüllte. Mein Haar umtoste mich, während der Ostwind mich umkreiste und so verhinderte, dass der Drache mich weiter zu sich ziehen konnte. Ich legte den Kopf in den Nacken und schloss für die Dauer eines Wimpernschlags die Augen.
Noch einmal holte ich tief Luft und veränderte meinen Ton um eine Nuance.
Der Ostwind reagierte prompt und stob auf den gallertigen Körper des Ungeheuers zu. Die Lichtblitze im Innern des Drachen flammten auf, als er aus dem Gleichgewicht geriet und zurücktaumelte. Klauen und Nebel zogen sich ein Stück zurück und tatsächlich lockerte sich auch der stachelige Schwanz um meine Hüften so weit, dass ich mich losmachen konnte.
Lange würde der Wind den Donnerdrachen sicherlich nicht aufhalten können. Aber immerhin war ich nun frei, konnte wieder rennen – und das tat ich auch.
Ich hastete zum Ausgang, zu der Treppe, die ich Marie und Vivien vor wenigen Minuten hinaufgeschickt hatte. Vielleicht gelang es uns am Ende ja doch noch allen dreien zu entkommen.
Hinter mir brauste der Ostwind noch immer mit aller Macht, um mir den Drachen vom Leib zu halten.
Doch mit einem Mal mischte sich da etwas in seinen Gesang. Ein merkwürdiges Knacken, als läge plötzlich eine Spannung in der Luft, als befänden wir uns im Innern einer Gewitterwolke kurz vor ihrer Entladung.
Ich hatte gerade die unterste Treppenstufe erreicht, da flammte ein gleißendes Licht auf, hell und scharf. Hitze durchströmte den Tunnel.
Eine Blitzklinge?