DAS VERMÄCHTNIS (JET 5). Russell Blake

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Название DAS VERMÄCHTNIS (JET 5)
Автор произведения Russell Blake
Жанр Языкознание
Серия Jet
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783958355088



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      KAPITEL 2

       Vor drei Monaten, 300 Kilometer östlich von Hobyo, Somalia

      Der massige Bug der Salome pflügte durch die tosenden Fluten, deren Wellen meterhoch in die Luft peitschten. Der Wind schien aus allen Richtungen zugleich zu kommen, die Witterung war in diesem Teil des Westindischen Ozeans oft absolut unberechenbar. Die Sonne war noch nicht aufgegangen und entsprechend schwarz war der neblige Himmel. Nur hier und da schaffte es ein heller Stern, durch die wenigen Löcher im Wolkendach zu schimmern. Die Dieselmotoren des Frachters röhrten heiser, als er sich unnachgiebig in Richtung seines Zieles vorankämpfte – dem Hafen von Jeddah in Saudi-Arabien.

      Die Salome war ein mit den Wassern aller Weltmeere gewaschenes Handelsschiff, das seit beinahe zwei Jahrzehnten vor allem vor den Küsten Afrikas, Indiens und Pakistans kreuzte. Es war ein hartes Geschäft, doch es lohnte sich. Die Besatzung bestand aus einer wilden Mischung aus internationalen Seeleuten. Sie fuhr unter der Flagge von Liberia, wie so viele Schiffe, die in diesen berüchtigten Gewässern unterwegs waren. Grund dafür waren die beinahe nicht-existenten Regularien dieses winzigen afrikanischen Staates, der auf diese Art eine Flotte von dreitausendfünfhundert Schiffen beheimatete … beinahe elf Prozent aller Schiffe der Welt.

      Auf der Brücke rammte der Nachtwächter gerade dem ersten Maat seinen Ellenbogen in die Seite. »Was meinst du?«, raunzte er und nippte dabei an seiner dampfenden Tasse herrlich schwarzen Kaffees. Sein Blick war auf den Radar gerichtet und er deutete mit der freien Hand energisch auf einen leuchtenden Fleck.

      »Sieht für mich wie ein Fischerboot aus. Die machen gerade einmal neun Knoten, wenn überhaupt«, antwortete sein Kollege.

      »Wie weit ist es entfernt?«

      »Ungefähr sechs Meilen.«

      »Wir sollten den Kapitän dennoch aufwecken«, meinte der Wachhabende, wobei er einen weiteren Schluck des Getränks nahm, das er wie aus Eimern konsumierte – am liebsten schwarz und schön heiß.

      »Er steht sowieso gleich auf. Halt einfach ein Auge drauf, und wenn die uns zu nahekommen, geben wir Alarm. Bei der momentanen Geschwindigkeit gehe ich aber nicht von einer Gefahr aus. Gönnen wir dem Kapitän doch seinen Schönheitsschlaf.«

      Inzwischen betrachtete der Wachmann den Horizont durch sein Fernglas, ließ es kurz darauf aber wieder auf seine Brust sinken.

      »Kein Licht zu sehen.«

      »Es gibt jede Menge Boote, die sich nicht die Mühe machen. Diese verdammten Schabracken von den Chinesen und Thais sind so alt, dass sie sich kaum über Wasser halten können. Die geben ganz bestimmt kein Geld für neue Birnen aus. Das muss nichts heißen.«

      »Das stimmt, aber komisch ist es trotzdem. Lass uns wenigstens unsere beiden Sicherheitskräfte wecken, die können auch mal was für ihr Geld tun.«

      Er sprach dabei über die beiden Söldner einer israelischen Firma, die sich auf Vorsichtsmaßnahmen gegen Piraterie spezialisiert hatte. Sie wechselten sich täglich mit Zehn-Stunden-Schichten ab, was vier Stunden übrig ließ, in der beide Männer schliefen. Die Sichtung eines langsamen Fischerbootes klang nicht nach einem absoluten Notfall, doch niemand aus der Crew mochte die Söldner besonders gern. Sie blieben meistens unter sich und machten immer eine große Show daraus, mit ihren Gewehren herumzuhantieren, die die einzigen Waffen auf dem gesamten Schiff waren.

      Kommerzielle Seegefährte durften normalerweise nämlich überhaupt keine Waffen mitführen, doch wegen der außer Kontrolle geratenen Piraterie vor der Ostküste Afrikas hatten einige Länder ihre Regeln geändert, was geschäftstüchtigen Sicherheitsfirmen ein ganz neues Betätigungsfeld eröffnet hatte. Mehr und mehr Schiffe auf dieser Route heuerten deshalb routinemäßig Söldner an, um sich vor Entführungen und Raub zu schützen. Die Piraten hatten es auf leichte Ziele abgesehen und waren nicht scharf darauf, bei einem Feuergefecht das Zeitliche zu segnen. Nachdem sich in letzter Zeit sogar internationale Marineverbände an der Jagd auf Piraten beteiligt hatten, waren die Seeräuber allerdings wieder aggressiver geworden und griffen nicht selten mit Maschinengewehren oder sogar Raketenwerfern an.

      Der Maat grunzte, als er die Brücke verließ, um die Söldner zu wecken. Die Salome kreuzte weiter mit achtzehn Knoten durch die Wellen und ein halb so schnelles Fischerboot schien keine große Gefahr darzustellen. Deshalb hatte er es auch nicht eilig, die Treppen hinunterzugehen, um das Deck zu erreichen, auf dem die Sicherheitsmänner schlummerten.

      Als er die beiden Schlafenden aufweckte, konnte er sich allerdings eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen, während er darauf wartete, dass sich die beiden anzogen. Beide streifen schusssichere Kevlar-Westen über und schnappten sich dann ihre Kalaschnikow AKMs, bevor sie ihm zurück auf die Brücke folgten.

      »Womit haben wir es denn zu tun?«, fragte Ari, der Größere von beiden.

      »Wahrscheinlich nichts Ernstes.« Er deutete auf den hellen Fleck auf dem Radarschirm. »Es geht um diese Jungs hier. Sie haben kein Licht an und wir wissen auch nicht, ob ihr Kurs sie wirklich in unsere Nähe bringen wird. Aber ich dachte mir, ihr wollt euch vielleicht auch mal nützlich machen. Vielleicht kommt ihr sogar mal dazu, eure Elefantenbüchsen abzufeuern.«

      Ari ignorierte die Sticheleien, denn es war nicht sein Job, sich mit der Crew anzulegen. Diese Seefahrten waren immer sterbenslangweilig, und er hatte schon Hunderte von ihnen absolviert, auf denen nie etwas passiert war. Eigentlich schon fast enttäuschend, nach den großen Reden, die die Firma bei seinem Bewerbungsgespräch geschwungen hatte. Er hatte sich exotische Häfen und Kämpfe gegen Piraten auf offenem Meer vorgestellt, doch in Wirklichkeit gab es nur Dieseldämpfe und Seekrankheit.

      Er schaute Barry, seinen Partner an und verzog das Gesicht.

      »Klingt nicht besonders aufregend. Willst du wach bleiben und dir das mal anschauen? Ich lege mich dann wieder hin. Bei dem Schneckentempo, das die draufhaben, kann ich auch Eis beim Schmelzen zugucken.«

      »Klar, mach das. Die Situation ist definitiv nicht so aufregend, dass wir beide ein Auge darauf haben müssen.«

      Ari nickte und schlurfte zurück zu dem schmalen Treppenaufgang, der auf das Hauptdeck führte, wobei er sorgsam darauf achtete, dass die Mündung seiner Waffe immer nach unten zeigte. Das Ganze war nur wieder ein falscher Alarm, wie so oft. Jedes Mal, wenn irgendetwas auf dem Radar auftauchte, das nicht auch ein Tanker war, gab es sofort einen Alarm. Doch nach knapp zwei Jahren hatte er sich daran gewöhnt. Eigentlich war es auch gar nicht so schlimm. Die Angriffe, von denen er gehört hatte, hatten eigentlich alle damit geendet, dass die Piraten in dem Moment, als zurückgeschossen wurde, sofort abdrehten und das Weite suchten. Im Grunde waren das doch auch nichts anderes als extrem arme Hunde, die aus purer Not einem kriminellen Geschäft nachgingen. Deshalb war die Anwesenheit von ihm und Barry ja auch so wertvoll. Ein paar Salven vor den Bug von irgendwelchen Piratenkähnen und die suchten sich sofort ein anderes Opfer. Zumindest wurde es ihm so immer wieder erzählt, und er sah keinen Grund, die Geschichten infrage zu stellen.

      Auf der Brücke legte Barry jetzt sein Gewehr beiseite und ging, in Erwartung von zwei höchst langweiligen Stunden, in denen er wohl nur auf einen Bildschirm starren und darum kämpfen würde, nicht einzuschlafen, zur Kaffeemaschine.

      ***

      Die Jiang Li, ein dreißig Jahre alter chinesischer Fischtrawler mit Stahlhülle war vor drei Wochen entführt worden. Die Crew hielt man als Geisel, während die Piraten die undichte Schaluppe als Mutterschiff benutzten. Zwei schnelle Motorboote waren am Heck vertäut, und die ursprünglichen fünfzehn Besatzungsmitglieder machten sich inzwischen keine Illusionen mehr um ihr Schicksal. Man zahlte ihnen nicht genug, um sich mit den Piraten anzulegen, und ebenso unwahrscheinlich war es, dass ihr Arbeitgeber ein Lösegeld für sie zahlen würde. Also blieb ihnen nichts anderes übrig, als einen Tag nach dem anderen zuzusehen, wie die einundzwanzig somalischen Piraten sie an Deck in Schach hielten, wo man sie gegebenenfalls als menschliche Schilde nutzen konnte, falls Kriegsschiffe auftauchen sollten, obwohl das bislang noch nicht der Fall gewesen war. Eine multinationale Eingreiftruppe hatte zwar einige Patrouillen