Stiefelschritt und süßes Leben. Klaus Muller

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Название Stiefelschritt und süßes Leben
Автор произведения Klaus Muller
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783954628414



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errichtet. Hier trieb ich mich herum, weil von deren Fahrzeug meine Schnapskiste und meine Person transportiert wurden. Wo gekocht und gegessen wird, müssen auch die durch die Verdauung entstehenden, mit Kolibakterien versetzten Stoffwechselprodukte möglichst hygienisch ausgeschieden werden.

      Das geschah auf deutschen Truppenübungsplätzen und in Feldstellungen des Heeres auf zu diesem Zweck errichteten Latrinen, deren Aufstellung und Betrieb in der Dienstvorschrift DVA052/1/005 genauestens geregelt war. In diesen Einrichtungen, manche sogar überdacht, hatte, wenn schon nicht Häuslichkeit, so doch Hygiene zu herrschen, um die Gefahren des Krieges nicht auch noch durch Sepsis zu erhöhen. Im Trommelfeuer und beim Sturmangriff beherrschen viele Soldaten ihren Schließmuskel nicht mehr, so dass bei Verletzungen, die im Kampf ja nicht ausbleiben, leicht Darminhalt aus dem Hoseninneren in offene Wunden gelangen kann, was Feldärzten und Armeeführung schon seit Generationen große Sorgen bereitete. Deshalb war der Latrinengang vor dem Kampfeinsatz obligatorisch im deutschen Kriegswesen.

      Russische Kriegsführung, überhaupt russisches oder sowjetisches Militär, kennt solche Vorsorge um das Menschenmaterial nicht. Latrinen im oben beschriebenen Sinne gab es hier also nicht, aber eines ihrer Scheißhäuser stand einsam im Walde.

      Ich musste nun dringend dorthin. Das einsame Haus, eigentlich nur eine Laube, hatte die Tür nur angelehnt, hatte auch keine Verriegelung. Im Innern befand sich ein Loch, das in einem ungehobelten Bretterboden war. Da viele der sowjetischen Genossen das Loch mit ihren Ausscheidungen nicht getroffen hatten, war die Umgebung des Loches, eigentlich die gesamte Hütte, mit Kot beschmiert, in den ich mit meinem Kampfstiefel, im Jargon „Knobelbecher“ genannt, nicht hineintreten wollte. Ich entdeckte aber an der Innenseite der Tür eine Lederschlaufe, die ich als Haltegriff ansah. Also, Kampfanzug runter, mit den Stiefeln auf die Türschwelle getreten, den Haltegriff erfasst und den bloßen Hintern langsam in die Nähe des Loches gesenkt.

      Die Lederschlaufe war aber nur zum Ausbalancieren beim Stuhlgang gedacht. Als die Schlaufe nun mein ganzes Körpergewicht zu tragen hatte, riss sie aus der Befestigung und ich krachte mit dem nackten Hintern in die Scheiße.

      Ich hangelte mich wieder nach oben, hatte zum Glück eine ganze Rolle Toilettenpapier bei mir, mit der ich mir nun um den beschmutzten Unterleib quasi eine Toilettenpapierunterhose wickelte. Nun Kampfanzug wieder hoch, ins Küchenzelt gegangen und dem Koch mein Malheur erzählt. Der Koch stellte mir eine Schüssel mit heißem Wasser in das Zelt, in der ich mich nun, mittlerweile splitternackt ausgezogen, mit einem Stapel Küchenhandtücher säuberte. Ich bemerkte noch, als ich frisch gewaschen das schmutzige Wasser in den Wald kippte, wie der Koch ungerührt die dreckigen Handtücher in den Wäschesack warf.

      Ende April 1965, das zweite Halbjahr des Grundwehrdienstes war fast herum, mahnte mich der Spieß, ich solle meinen Urlaub einreichen.

      Mein Batteriechef und ich kamen aber zu der Übereinkunft, dass ich die sieben Tage Urlaub, die nun für mich anstanden, an meinen Resturlaub vor der Entlassung anhängen könne. Dieser Geniestreich machte mich zum Zeugen eines welthistorischen Ereignisses. Ein oder zwei Tage später, es müsste der 21. oder 22. April gewesen sein, bekam ich einen Marschbefehl nach Strausberg. zum Ministerium für Verteidigung der DDR; sollte mich dort bei einem Hauptmann so und so melden.

      Als ich in Strausberg ankam, stellte sich heraus, dass der Hauptmann so und so für die Ausrichtung von Empfängen und Feierlichkeiten in den Gebäuden des Ministeriums und den umliegenden Gästehäusern zuständig war. Ich sollte, mit drei weiteren Abkommandierten, die alle als Berufsbezeichnung „Kellner“ angegeben hatten, als Ordonnanz bei einer Reihe von Staatsempfängen und Feierlichkeiten mitwirken, deren Durchführung bis zum 8. Mai 1965, dem 20. Jahrestag der Befreiung, geplant war.

      Zuerst trieb der Hauptmann zur Eile. Wir wurden in einer Baracke in der Nähe jenes stalinistischen Kulturhauses, das an eine Akropolis erinnern sollte, einquartiert. Dann verkündete der Hauptmann, dass in wenigen Tagen eine hochrangige indonesische Militärdelegation eintrifft, zu deren Bedienung wir vorrangig eingeteilt wären. Dazu wurden als Erstes aus einem auf dem Ministeriumsgelände befindlichen Magazin Konserven, Getränke, aber auch Geschirrteile in die Fest- und Tagungsräume transportiert.

      Es war das Jahr 1965, in der DDR-Provinz herrschte noch das Kundenkartensystem. Das Magazin war auch keineswegs überfüllt, viele Regale standen halbleer. Ich bemerkte, wie sich die anderen Abkommandierten die eine oder andere Dose Ananas oder Ölsardinen in die Taschen steckten, was damals ausgesprochene Delikatessen waren. Der Hauptmann schien das aber geflissentlich zu übersehen.

      Ich entdeckte zwei Flaschen Beaujolais in einem ansonsten völlig leeren Regal. Beaujolais rangierte damals, noch vor sowjetischem Sekt, als höchste Delikatesse. Mich erinnerte er an genussvolle Abende mit Bruni, aber auch an das Weinstädtchen Clochemerle mit seinen sympathischen Bewohnern, die ich allerdings nur aus dem bekannten Roman von Gabriel Chevalier kannte, und das ich, da es auf NATO-Gebiet stand, nach dem Willen der Armeeführung zu gegebener Zeit, bei der „Vernichtung des Aggressors auf seinem eigenen Territorium“, mit meiner Haubitze zerdeppern sollte.

      Die beiden einsamen Flaschen standen in Griffhöhe; ich würgte also eine davon in meine Hosentasche. Das ließ der Hauptmann jedoch nicht durchgehen, befahl mir, die Rotweinflasche sofort wieder ins Regal zu stellen. In versöhnlichem Tone erläuterte er, das seien die beiden letzten, denn die Franzosen lieferten nicht mehr; nun seien sie ausschließlich für den Genossen Walter Ulbricht reserviert, wenn der zur Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates im Ministerium erscheine.

      *

      Dann erschien der indonesische Luftmarschall mit großem Gefolge, wurde mit allem militärischen Brimborium empfangen: mit Ehrenkompanie, Salutschüssen und lärmendem Militärorchester. Er war ein mickriges kleines Kerlchen in einer exotischen Phantasieuniform, seine Begleitung war nicht anders.

      Die Feierlichkeiten anlässlich des hohen Besuches, bei denen auch einige sowjetische Generäle zugegen waren, verlief wie gewöhnlich. Ansprachen wurden gehalten, wobei der Luftmarschall, über seinen Dolmetscher, bittere Klage über die imperialistischen Kolonialherren führte, die ihm auf der Militärakademie nur Englisch, kein Deutsch beigebracht hätten. Natürlich wurde die antiimperialistische Solidarität beschworen.

      Das Blabla ging noch eine Weile, dann hob ein Besäufnis an, das den leichtgewichtigen Asiaten nicht gut bekommen sollte.

      Hier kommt bei mir wieder der Mathematiker durch, eigentlich nur der Grundschüler, der das Einmaleins gepaukt hat: Wenn sich ein großer, dicker russischer General von 125 Kilogramm Lebendgewicht 100 Gramm („sto gramm“) Wodka von 45 Volumenprozent hinter die Binde kippt, hat er gerade mal 0,36 Promille intus, wenn hingegen der winzige Indonesier, mit gerade mal 88 Pfund, die gleiche Menge Wodka konsumiert, ist er mit 1,02 Promille schon längst fahruntüchtig. In diesem Verhältnis befand sich auch der Trunkenheitsgrad der Teilnehmer dieser antiimperialistischen Veranstaltung, zumal bei Toasts in Militärkreisen immer ausgetrunken werden muss. Wir vier Abkommandierten schenkten wahrlich immer fleißig ein.

      Am nächsten Tag setzte sich das Treffen der Militärs erst am frühen Nachmittag fort; der Alkohol wollte und wollte aus den Körpern der Indonesier nicht weichen. Nach der Mittagstafel zog sich die Generalität – Armeegeneral Heinz Hoffmann war jetzt mit dabei – in die Tagungsräume zurück, zu denen wir Ordonnanz-Kräfte keinen Zutritt hatten.

      Nach dem Abendessen, das wir in der Art eines russischen Buffets auf der U-förmigen Tafel angerichtet hatten, wollten die Gäste abreisen. Über seinen Dolmetscher beklagte sich der Luftmarschall über die Unzuverlässigkeit der westlichen Flugzeugtechnik, die bislang in seinen Hangars steht; von diesen Jets fielen ihm jedes Jahr mehrere vom Himmel. Der Landsknechttyp Stechbarth brüllte über die Tafel: „Das passiert bei uns auch, dafür sind wir ja Soldaten!“

      Die Gäste erhoben sich, machten in strammer Haltung noch einige nichtssagende Bemerkungen über die Freundschaft und die antiimperialistische Solidarität und entfleuchten in ihr fernes Inselreich.

      Danach eilte unser Hauptmann auf uns zu und sagte,